Der Grübler


Die Frage nach Sein und Sinn stellt er immer noch. Aber mit 43 gibt Nick Cave sich deutlich gelassener.

Where The Wild Roses Crow“ war Ihr größter Hit. Für die meisten Leute sind Sie daher der Typ, der Kylie Minogue mit dem Stein erschlägt und ins Wasser wirft. Besitzen Sie eine Waffe?

Einen Revolver oder so? Nein, ich bin gegen Gewalt. Dass Ich so oft darüber singe heißt nicht, dass ich sie gerne ausübe. Aber Gewalttätigkeit ist eine faszinierende menschliche Eigenschaft. Gerade die unbewaffnete, verbale, literarische.

In früheren Jahren galten Sie als unberechenbar und selbstzerstörerisch wie der Rock, den Ihre Band, Birthday Party, zelebrierte. Heute schreiben Sie Lieder von blanker Schönheit und melancholischer Ruhe. Was ist passiert?

Vielleicht liegt das daran, dass ich älter geworden bin, ich weiß nicht. Ich habe heute mehr Verantwortung, mehr Erfahrung. Und die Musik, die ich mache, ist eben die Musik eines 43-Jährigen. Daran kann ich nichts ändern, selbst wenn ich es wollte. Und das will ich nicht. Nachdem ich sie überlebt habe, haben selbst die Drogen ihren Reiz weitgehend verloren. Ich arbeite stattdessen intensiv und regelmäßig.

Ist die Party vorbei?

Ich bleibe heute lieber zu Hause, ja. Ich habe eine Wohnung, in der ich mit meiner Familie lebe. Und ein Büro, in dem nichts weiter steht als ein Klavier, eine Liege und ein Schreibtisch vor dem Fenster. Dort steht auch meine Schreibmaschine. Alle meine Lieder schreibe ich mit Blick aus diesem Fenster.

GESPRÄCHSPARTNER: ARNO FRANK, FOTO: JOE DILWORTH

daher ist es gut, sich ebenfalls ändern zu können und dort zu leben, wo man leben möchte. Die Qualität meiner Arbeit steht und fällt mit der Umgebung. In Berlin habe ich gerade das Nachtleben, na ja, nicht gerade genossen, sondern sehr intensiv erlebt. Auch wegen der Drogen. Das war anstrengend, aber auch sehr produktiv. In Berlin schrieb ich auch den Roman („AndThe Ass SawThe Angel“- Anm. d. Red.), und das hat mich fast umgebracht.

Brauchen Sie das Gefühl, als Fremder an einem fremden Ort zu leben?

Keine Ahnung. Ich bin Australier, das ist schon komisch genug. In Australien fühle ich mich aber auch nicht besonders heimisch. Um zu existieren, brauche ich ein kleines Paradies, ein Refugium, ein Zuhause, mein Büro. Wo ich die Tür zumachen und arbeiten kann. Denn wenn ich arbeite, bin ich in einer anderen Welt. Egal, in welcher Stadt.

Ein Grund, nach Brasilien zu ziehen?

Der Grund war eine Frau. Aber dort war es umgekehrt: Tagsüber wurde viel gefeiert, nachts konnte ich arbeiten. Aber auch nicht richtig: Die Stadt hat mich bei der Arbeit gestört. Am Anfang ist es sehr angenehm, dass alle gut drauf sind. Aber wenn du in Brasilien lebst, musst du Brasilianer werden: Feiern, den Fußball lieben, tanzen und solche Sachen. Südamerikaner verstehen nicht, dass man auch mal seine Ruhe braucht. Es gibt keinen Platz für so etwas wie Melancholie in einer Stadt wie Säo Paulo. Sie ist zu hektisch und auf Dauer zu laut.

Was sehen Sie?

Viel Himmel. Und das Restaurant gegenüber Ich sehe wenig, und das ist gut so. Ich bin fünf Tage in der Woche dort, komme morgens, schreibe und gehe abends wieder heim zu meiner Freundin und den Kindern.

Geregelte Arbeitszeiten in der Klause?

So ist es. Nur ohne Anspruch auf Pension oder Rente.

Sie haben lange in England, Deutschland und Brasilien gelebt. Seit einiger Zeit sind Sie nun wieder in London. Wirkt sich Ihr Wohnort auf Ihre Arbeit aus?

Sehr stark sogar, in unterschiedlicher Weise. Jede dieser Städte hat eine ganz eigene Atmosphäre, die immerauch ihren Niederschlag in meiner Arbeit findet. Aber das Leben ändert sich fortwährend, und Ihr Album „Henry s Dream“, das aus dieser Phase hervorging, enthält aber auch ein paar lateinamerikanische Momente…

Da ist der Son, diese brasilianische Traurigkeit. Und da waren diese Straßenmusiker, die ihre Instrumente quälten. Mir schwebte vor, das Album so akustisch und aggressiv wie möglich zu halten. Dass es dann ein ziemlich glattes Rock-Album geworden ist, lag vielleicht an der Produktion, vielleicht an den Kompromissen, die wir machen mussten. Es sind gute Stücke drauf,die auch heute noch funktionieren. Aber es enthält nichts mehr von der ursprünglichen Vision:“Henry’s Dream“ ist das Album von mir, das ich am wenigsten mag.

Das ME-Interview

Also sind Sie wegen der Arbeit nach London zurückgekehrt?

Auch, ja. Ich mag London eigentlich nicht. Es ist eine dunkle, oft unfreundliche Stadt, die einen in Ruhe lässt. Aber das ist genau das, was ich suche. Ich mache einfach gern dieTür hinter mir zu. Mit anderen Musikern habe ich wenig zu tun. Ich gehöre eben keiner Szene mehr an …

Über Kolleginnen haben Sie jedenfalls gerne geschrieben. Der Song „Black Hair“ auf Ihrem letzten Album bezieht sich auf Ihre Affäre mit PJ Harvey, die Passage „twinklin‘ cunt“ in „Green Eyes“ auf Tori Arnos… Wer sagt das?

Sie haben das gesagt!

Wem?

James NcNair vom Musikmagazin „Moio“, 1997.

Ach,da habe ich nur Spaß gemacht., den habe ich ein bisschen verschaukelt. Wenn ich Songs über Frauen schreibe, wissen sie meistens, ob sie gemeint sind. Beschwert hat sich noch keine. Ich schreibe auch keine Lieder aus Rache. Wenn ein Song lange wirken soll, darf er keinen Schaden anrichten. Es ist nicht gut, Dinge in die Welt zu setzen, die Schaden tun. Oder schlecht sind. Die Welt ist schlecht genug, und hasserfüllte Musik macht sie nicht besser.

Macht Ihre traurige Musik die Welt etwa bes- ser?

Zumindest spricht sie authentischer von ihr. Ich habe nichts gegen Partymusik, aber vor gefälliger Fröhlichkeit muss man sich in Acht nehmen: Sie ist falsch, weil die Welt eben nicht nur fröhlich und bunt und lustig ist. Du kommst ihr nur auf den Grund, wenn du Tiefe hast. Und zur Tiefe gehört eben auch die Melancholie, das Wegbrechen unter den Gegebenheiten. Alles andere mag lustig sein, ist aber nur bunte Babykotze.

In Wien haben Sie vor ein paar Jahren einer Hand voll Studenten beigebracht, wie man ein Liebeslied schreibt. Was hat Sie damals gereizt, als Dozent aufzutreten?

Blixa Bargeld hat es mir empfohlen. Er war ein Jahr vorher dort und meinte: „Es ist so bewegend, da ist so viel Liebe“. Bei Blixa ging es aber darum, einen Song, einen Hit herzustellen, was ich mir doch sehr formal und systematisch vorstelle. Deshalb wollte ich mich auf das beschränken, was ich kann: Liebeslieder schreiben. Es waren 14 Schüler, sieben Männer, sieben Frauen. Jeder sollte innerhalb einer halben Stunde ein Liebesgedicht auf seinen Gegenüber schreiben. Es war außerordentlich, und ich habe viel gelernt. Die Studenten waren sehr talentiert.

Würden Sie sich selber auch als talentiert bezeichnen? Oder ist Ihre Kunst immer noch jedes Mal aufs Neue ein hartes Ringen um Form und Ausdruck?

Ich bin nicht talentiert, ich bin begnadet (lacht). Weil ich tun kann, was ich wirklich tun möchte. Aber ich bin der Letzte, der darüber reden sollte. Ich denke nicht darüber nach, dass ich nun dies oder jenes tun sollte. Ich sitze da und mach’s einfach, es rollt auf mich zu. Zwar habe ich eine gewisse Vorstellung davon, was ich ausdrücken will, wie die Grundidee arrangiert werden könnte. Wie es letztlich umgesetzt wird, liegt aber an den Bad Seeds. Der Sound liegt in ihrer Hand.

Zuletzt sind Sie solo auf Tournee gegangen, nur von einem Geiger begleitet. Brauchen Sie die Band überhaupt noch?

Ich bin nicht daran interessiert, mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten. Technik und Handwerk langweilen mich. Ich mag keine Musiker, aber ich verstehe die Bad Seeds. Also was soll’s?

Ihr neues Album „No More Shall We Part“ erinnert stellenweise stark an den Leonard Cohen der siebziger Jahre…

Wirkich?

Die Grabesstimme, der weibliche Background-Gesang, der Einsatz von Violinen…

Kann sein, dass ich versucht habe, die Musik in der Weise von Leonard Cohen zu arrangieren. Die Frauen stammen übrigens, wie Cohen, aus Kanada. Die Bad Seeds wollten halt ein Album machen, das überhaupt nicht nach den Bad Seeds klingt. Und ich mag Cohen, obwohl ich ihm nie begegnet bin – oder weil ich ihm nie begegnet bin. Begegnungen entzaubern. Ich war ein Fan von Screamin’Jay Hawkins.Alsich ihn kennenlernte, merkte ich, dass er ein lästiger, nerviger, äußerst unangenehmer alter Mann war. Bleib‘ mir nur weg mit Musikern. Ich höre ja selber kaum noch Musik…

Hat Nick Cave keine Ikonen?

Höchstens Johnny Cash. Ja, Cash steht über allem. Mein erstes musikalisches Erlebnis hatte ich als Kind bei der „Johnny Show . Johnny Cash stand da, mit dem Rücken zum Publikum. Plötzlich schwang er herum, blamm, und los ging „Ring OfFire“. Das habe ich nie vergessen. Und bin sehr stolz und dankbar, dass er meinen Song „The Mercy Seaf’auf seinem neuesten Album gecovert hat.

Sie bezeichnen sich selbst also nicht als Musiker?

Nicht wirklich. Ich habe ein intrinsisches Verständnis von Literatur und ein sicheres Gespür für das geschriebene Wort. Das versuche ich mit Musikern umzusetzen. Dass ich dabei selbst am Klavier komponiere, spielt eine untergeordnete Rolle. Es geht um die Idee, die Ahnung dahinter. Den Ausdruck, wenn Sie so wollen.

Im Anfang war das Wort? Ihr Vater war ein anglikanischer Priester. Und Blixa Bargeld hat einmal gesagt, dass sich Ihre Arbeit unterteilen lässt in eine alttestamentarische und eine neutestamentarische Phase. Würden Sie dem zustimmen?

Ja, durchaus. Ich war lange Zeit fasziniert vom Gott des Alten Testaments, dem eifersüchtigen, zornigen, gewalttätigen Gott. Inzwischen habe ich mich aber mit dem Gedanken der Erlösung angefreundet.

Auf Ihrem neuen Album gibt es einige Songs, die wie Liebeslieder beginnen, um schließlich als traurige Gospels zu enden. Die Adresse des Besungenen wechselt anscheinend während des Stückes…

… und bleibt eigentlich die Gleiche. Schauen Sie, gegenseitige Liebe zwischen zwei Menschen gibt es nur sehr, sehr

selten. Beziehungen haben normalerweise nichts mit Liebe zutun. Liebe kann ein großes, romantisches Versprechen zwischen zwei Menschen sein. In ihrer eigentlichen Substanz ist sie aber ein Geschenk von höherer Qualität: Die Chance der Erlösung.

Beten Sie oft, als spiritueller Mensch?

Kommt darauf an, was Sie darunter verstehen. Ich falte nicht die Hände und bete zu Gott, nein. Aber ich bin oft in der Kirche, am liebsten, wenn sie leer ist. Ich mag die Vorstellung, dass Gott in den Kirchen eingeschlossen ist. Vielleicht fühlt man sich ihm näher, wenn die Kirche leer ist. Dem Beten am nächsten kommen wohl manche Momente auf der Bühne. Da passiert etwas, auf das ich keinen Einfluss habe, manchmal geht es, manchmal auch nicht. Bisweilen fühlt sich alles richtig an, und dann wiederum suche ich nur nach dem Song. Ich versuche ihn festzuhalten. Das kann wehtun und quälend sein,gehört aber dazu,wenn man auf derSuche nach diesem besonderen transzendenten Gefühl ist. Ich meine diesen Moment, in dem Song, Melodie und Text sich auflösen und mehr werden, als es vorher war. Die Magie der Poesie, nichts weiter.

Greift Nick Cave heute noch zur Bibel?

Lese ich schon seit Jahren nicht mehr. Ich glaube an Gott, an den Gott der Bibel. Aber ich gehöre auch keiner Konfession an. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre Katholik oder so was. Buddhist vielleicht, wie Leonard Cohen, aber dafür bin ich zu sehr ein Kind der westlichen Welt. Ich wünschte, ich hätte letzte Sicherheiten, an die ich glauben kann. Da dies nicht so ist, geht die Suche weiter. Es ist eine legitime spirituelle Suche.

Gesetzt den Fall, Sie würden irgendwann einmal finden, was Sie suchen – würde das nicht das Ende Ihrer künstlerischen Arbeit bedeuten?

Ich denke schon. Die Suche ist mein Motor. Das Schöne und Schreckliche aber ist doch, dass wir nie ankommen, nie finden, dass alles immer weiterfließt.

Sie waren viele Jahre lang abhängig von Heroin und anderen Drogen. Kann es nicht sein, dass Ihr Interesse an spirituellen Themen drogeninduziert ist?

Ich war ein Junkie, Mann. Da gibt es im Leben nur noch zwei Zustände: Du bist entweder grenzenlos glücklich oder abgrundtief verzweifelt. Glück ist, wenn du Drogen hast. Hölle ist, wenn du keine hast. In einer solchen Situation läufst du nicht durch die Gegend und denkst über Gott nach.

Ist das Kapitel „Drogen“ also für Sie erledigt?

Ich bin über den Berg, aber das Buch ist gewissermaßen noch nicht zu Ende geschrieben. Ich nehme Drogen, wenn ich will – nicht, wenn die Drogen es wollen. Das ist ein großer Unterschied. Ich habe mich unter Kontrolle.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Haben Sie zu viel Zeit verschwendet?

Angst ist vielleicht das falsche Wort. Wenn dir klar wird, dass du definitiv eines Tages sterben wirst, dann gehst du bewusster und sinnvoller mit der verbleibenden Zeit um.

Ich hätte lernen können, mich besser in Gesellschaft zu bewegen, bevor es zu spät war. Heute fehlt mir das Basiswissen für ein soziales Leben,für die einfachsten Dinge. Ich bin nicht sehr kommunikativ. Was vielleicht daran liegt, dass ich mich Jahre lang auf andere Dinge konzentriert habe.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, sich heute noch einmal als junger Mann zu begegnen: Was würden Sie sich selber raten?

„Schlaf dich einfach mal richtig aus. Junge. Aber ich glaube nicht, dass ich den Rat beherzigen würde.