Der Himmel über Berlin


In einer neuen Biographie erzählt Autor Steve Malins die ganze Geschichte von Dave Gahan und Co. Die in ME/Sounds vorab veröffentlichten Auszüge zeigen: In den Berliner Jahren Anfang der 8oer reiften Depeche Mode vom Teenie-Act zur ernst zu nehmenden Band.

NACH DEM ENDE DER AUFNAHMEN IM Garden-Studio (für „Construction Time Asain“

-Anm. d. Red.) sahen sich Depeche Mode noch nach anderen Studios für den Mix um, denn „The Garden“ verfügte nur über ein Mischpult mit 24 Kanälen. Währenddessen war Gareth lones (Depeche Mode-Producer -Anm. d. Red.) nach Berlin gereist, wo ihn eine Band als Produzent haben wollte. „Eigentlich hatte ich keine Lust, in Berlin zu arbeiten. Aber dann zeigte mir der Manager das Hansa-Studio – ein großes Penthouse mit einem 56-Kanal-Mischpult, damals das einzige seiner Art auf der Welt. In diesem Studiokomplex war alles sehr hightech, was mich sehr beeindruckte. Daniel Miller (Chef des Depeche Mode-Plattenlabels Mute – Anm. d. Red.) hielt sich ebenfalls in Berlin auf. Denn Nick Cave, der auch bei Mute unter Vertrag stand, arbeitete im Hansa-Studio 2, das eine riesige Halle ist – wie ein geräumiger Tanzsaal mit fabelhafter Akustik. Ich fragte Daniel, ob wir ‚Construction Time Again‘ nicht hier mixen sollten, und er war dafür.“ Ein weiterer Vorteil des Hansa-Studios war die Kostenersparnis. „Der Kurs des Pfunds war sehr günstig, dabei konnte man Geld sparen“, erinnert sich Gareth lones. „Die Band konnte in einem Top-Hotel wohnen und ihr gesamtes Equipment nach Berlin schicken – und es war immer noch billiger als eine Abmischung in London.“

Die Mitglieder der Gruppe waren sofort begeistert vom Vorschlag, in einer anderen Stadt und Umgebung und in einem eleganten Hotel zu wohnen. Die Hansa-Studios hatten ja auch eine interessante musikalische Geschichte, weil David Bowie dort in den späten siebziger Jahren seine berühmte Berliner Trilogie – die Alben „Low“, „Heroes“ und „Lodger“ eingespielt hatte. Der Engländer und sein Freund Iggy Pop hatten beide einige fahre lang in Berlin gewohnt, und Bowie hatte Iggy Pops Alben „The Idiot“ und „Lust For Life“ in den Hansa-Studios produziert. Der Standort des Studios – direkt an der Berliner Mauer – hatte sicher auch zur klaustrophobischen Atmosphäre dieser Platten beigetragen.

„Wir hatten dort eine gute Zeit“, sagt Daniel Miller. „Wir arbeiteten buchstäblich direkt neben der Mauer und konnten nach Ost-Berlin hinübersehen. Berlin war eine kleine Insel mitten in der DDR, und das hatte eine seltsam beunruhigende Wirkung.“ Das Berlin von 1983 hatte sich seit David Bowie und Iggy Pop kaum verändert. Wie Pop sagte, war Berlin „eine Geisterstadt, aber mit allen sich daraus ergebenden Vorteilen. Die Polizei übte Nachsicht gegenüber allem kultigen Benehmen. Und irgendwer schwankte immer angetrunken durch die Straßen.“ Bowie formulierte es so: „Berlin ist eine Stadt voller Bars für traurige, enttäuschte Leute, die sich nur noch betrinken wollen.“

Daniel Miller sagt: „Berlin öffnete die Augen für einen Blick auf ein gänzlich anderes Dasein. Man konnte um zwei Uhr in der Frühe im Studio fertig sein und danach noch ausgehen und einen trinken. Außerdem herrschte in der Stadt eine Atmosphäre, die viel mit der politischen Situation zu tun hatte. Berlin stand nach wie vor unter Kontrolle der vier alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs. Deshalb gab es keine Wehrpflicht in Berlin, und wer in Berlin ein Geschäft eröffnen oder ein Unternehmen gründen wollte, kam in den Genuss von Steuererleichterungen. Und so kamen viele junge kunstorientierte und kreative Leute nach Berlin. Die Stadt war voll von Studios, Künstlern und Menschen, die sich für eine alternative Lebensweise entschieden hatten. Es war eine 24-Stunden-Stadt mit einem Flair von Erotik, Abenteuer und Spannung, und ganz offenbar brachte das auch viele Menschen auf gefährliche Abwege. Manche Berliner führten ein exzessives Leben. Sie gingen manchmal vier oder fünf Tage lang nicht schlafen, nahmen alle Arten von Drogen und waren in künstlerischen Dingen recht radikal.“

Für Depeche Mode war dies eine gute Gelegenheit, in einer fremden Stadt mit dem Ruf von Ausschweifungen, Kunst und Extremismus Hemmungen loszuwerden. „Hansa war ein tolles Studio, und wir konnten dort wirklich interessante Dinge tun“, sagt Alan Wilder (damals inertes Mitglied von Depeche Mode

-Anm. d. Red.), „aber ich glaube nicht, dass dies wesentliche Auswirkungen auf unsere Arbeit hatte. Ich denke eher, dass sich die Tatsache auswirkte, dass wir weg von zu Hause waren und jetzt zum Spielen hinaus durften – die ganze Nacht in Clubs herumhängen, das Nachtleben ausprobieren. Besonders Martin Gore war aus diesen Gründen gern im Ausland – weil er dort ein bisschen mehr aus sich herausgehen konnte.“ Für Dave Gahan jedoch stellte sich alles ein wenig anders dar. Neben dem etwas älteren Wilder war er das weltgewandteste Bandmitglied und lebte schon lange in einer festen Beziehung. Zu Journalisten sagte er: „Martin ist hier und jetzt so, wie er eigentlich immer sein wollte. In seinen Teenagerjahren verpasste er so viel. Er ging fast nie aus, um etwa mit einem Mädchen zusammen zu sein oder sich mal voll laufen zu lassen. letzt lebt er das alles aus. Und das ist auch gar nicht so schlecht – jeder sollte diese Phase einmal durchmachen.“ Auch für Wilder war das eine ¿

„absolut wichtige Phase, in der einige von uns ein wenig vertrauter mit der Welt wurden. Da kam es zu manchen Veränderungen, am wenigsten wohl bei Dave, glaube ich. Es gab keine dramatische Umwälzung bei ihm, aber ich bemerkte, dass er an Gewicht verlor, dass er drahtiger und aggressiver in seinem Auftreten wurde. Vielleicht spürte er einen gewissen Druck in seinem Privatleben mit Jo (seine damalige Freuruiin -Anm. d. Red.).

In dieser Phase trat auch der Kontrast zwischen den Persönlichkeiten von Gahan und Gore klar zutage. Gahan blieb stets zurückhaltend und vorsichtig, während sich der junge Songschreiber dem lebenslustigen, spielerisch erotischen Lifestyle von Berlin anpasste. Chris Carr (Depeche Mode-Pressesprecher-Anm. d. Red.) bemerkte die Unbekümmertheit, mit der Gore neue Erfahrungen in sich aufnahm, während Gahan gegen jede Art von Ausschweifung ankämpfte: „Osmose wäre ein gute Name für Martin. Er destilliert alles in seinem Inneren und nimmt dann davon, was ihm gefällt. Ich glaube, Martin war Dave nun durchaus ebenbürtig geworden, aber Dave denkt nicht in diese Richtung – ob er sich darüber klar ist oder nicht. Er checkt die Leute gern aus. Gehören sie zu mir und meiner Art, oder stehe ich für sie auf einem anderen Niveau? Dave muss sich auch immer irgendwas beweisen. Martin hat es in dieser Hinsicht allem Anschein nach viel leichter, bei ihm geht alles wie von selbst. In Martins Gesellschaft ist man von seinem großzügigen Verhalten und überhaupt seiner ganzen Ausstrahlung gefangen, wenn nicht gar befangen. Mit ihm zusammen kann man leicht in Verlegenheit kommen.“

Zur gleichen Zeit verliebte sich Gareth lones in die Sängerin einer deutschen Band und zog ebenfalls nach Berlin. Der empfindsame Produzent meint: „Es hat etwas Seltsames, in einer eingemauerten Stadt zu leben, die allem Anschein nach von Feinden umgeben ist. Jedenfalls schien mir in Berlin alles völlig anders als in London. Die Stadt hatte Stromlinienform, war fast futuristisch, und in die vielen düsteren Bars konnte man zu jeder Tages- und Nachtzeit gehen. Und dann die vielen schwarz gekleideten Freaks, in Kellern, Lagerhäusern und düsteren Bars.“ Auch Martin Gore passte sich im Stil seiner Kleidung dieser Szene an, nachdem er eine Weile in Berlin gelebt hatte. „Außerdem herrschte in Berlin eine gewisse Großzügigkeit in den gesetzlichen Bestimmungen zu Pornographie und Alkohol“, erinnert sich Gareth Jones.

All diese Veränderungen im Lebensstil wirkten sich bei den künftigen Projekten aus. Aber zunächst einmal wurde am 11. luli 1983 die erste Single aus „Construction Time Again“ veröffentlicht. Das Album war sehr erfolgreich in Deutschland, doch die Single „Love In ltself“ war ein Flop. „Das geht uns nicht in den Kopf. Kann ja sein, dass der Erfolg völlig unberechenbar ist.“ Der begeisterungsfähige Dave Gahan fand den kommerziellen Erfolg von Depeche Mode in Deutschland toll: „Das ist ein spannender Markt. Wir genießen es, in Deutschland zu sein. Dort kann man sehen, dass sich etwas tut, dass wir weiterkommen. Jedesmal wenn wir in Deutschland spielen, merken wir, dass wir immer größer werden.“

In den ersten Monaten des Jahres 1984 befand sich der Mittelpunkt der Welt von Depeche Mode in Deutschland, wo – abgesehen von einer Londoner Session im lslington’s Music Works Studio – „Some Great Reward“, das nächste Album, geschrieben, aufgenommen und gemixt wurde. Die neuen Songs von Martin Gore bestimmten den Ton der durch Erfahrung korrumpierten Unschuld auf dieser Platte, die ein militaristischer Beat begleitete. Berlins düsterer Hedonismus zog Gore zwar an wie das Licht die Motten, aber gleichzeitig konnte das Leben unter dem grauen Himmel der Stadt auch isolierend, leer und langweilig sein. Die einsamen Stunden des Songschreibers in seiner Mietwohnung in Charlottenburg trugen ihren Teil zum neuen Album bei. Inzwischen war seine Beziehung zu Christina (seine damalige Berliner Freundin -Anm. d. Red.) zum stärksten Einfluss aufsein Schreiben geworden, indem er die erste Blüte der Liebesaffäre verarbeitete.

Martin Gore hatte sich im Nachtleben der Stadt wohl gefühlt, aber dann erkannte er, dass er in dieser Szenerie der Ausschweifung fehl am Platz war. Deshalb schmähte er 1985 in einem Interview den Berliner Lifestyle in seiner charakteristisch vagen Art: „Ich habe dort zwei lahre gewohnt, bin in ein paar Clubs gegangen und habe ein paar Leute kennen gelernt. Aber all das habe ich nicht besonders ernst genommen, obwohl es vielleicht einen unterbewussten Einfluss auf mich gehabt hat. Die Berliner Szene ist ein Mythos – man denkt sofort an viele Ausgeflippte und Junkies, von denen es dort tatsächlich viele gibt. Die Clubs sind recht gut, aber lange nicht so schockierend und ausgefallen, wie manche Leute glauben.“

Wahrend der Produktion von „Some Great Reward“ war eines der Lieblingslokale von Depeche Mode in Berlin das „Jungle“, wo sie immer gegen Mitternacht eintrafen. Dieses Lokal war trendy, eine Mischung von Cafe und Club, und David Bowie war dort während seiner Berliner Zeit Stammgast gewesen. Das „Jungle“ war hell beleuchtet. Man sah gleich die Leute an den Tischen sitzen, die sich gegenseitig betrachteten und sich in Pose rückten. Ganz hinten gab es auch eine Tanzfläche, aber niemand ging in diesen Teil des „lungle“. In den ganz frühen Mor“DIE ATMOSPHÄRE IN DEN BERLINER S&M-CLUBS WAR SEHRFREUNDLICH. DORT KAMEN MIR VIELE IDEEN“

MARTIN GORE

genstunden nahm die Band ihre letzten Drinks in kleinen Clubs, in denen nur eine Handvoll Leute Platz hatten, oder in Nachtcafes und Bars.

Anfangs sahen die Berliner Musiker Depeche Mode als Teenage-Popband an, und Alan Wilder erinnert sich: „Ab und zu kamen Mitglieder der Einstürzenden Neubauten ins Studio, um Daniel Miller zu besuchen. Uns ignorierten sie einfach, weil wir ihnen zu uncool waren. Nur mit Blixa waren wir öfter zusammen.“ Blixa Bargeld hatte mehr Verständnis für die Elektro-Popband, was er auch Daniel Miller wissen ließ. „Da herrschte ein gegenseitiger Respekt“, sagt der Mute-Gründer. „Blixa und Martin kamen gut miteinander aus, und ich glaube, Blixa spürte, dass Depeche Mode die Grenzen des Pop-Terrains erweitern wollten. Schön war in Berlin, dass man in den Clubs immer wieder viele andere Musiker traf, die aus völlig verschiedenen Stilrichtungen kamen.“ Für Miller hatte die Zeit in Berlin große Bedeutung, weil die deutschen Bands der siebziger lahre wie Neu!, Can und Kraftwerk von erheblichem Einfluss auf ihn gewesen waren. Doch um so größer war seine Enttäuschung, wenn er mit deutschen Kids darüber sprach: „Ich fragte sie: ‚Mögt ihr Neu! und Kraftwerk?‘ Und ich bekam zur Antwort: ‚Ach nee, weeßte, wir finden Bob Dylan und )imi Hendrix besser.'“ Trotz des fehlenden Enthusiasmus der jungen Deutschen für ihr eigenes musikalisches Erbe interessierten sich Daniel Miller und Martin Core intensiv für die verschiedenen kleinen deutschen Plattenlabel, vor allem für Atatak.

Inzwischen trugen die Sessions in den Hansa Studios erste Früchte: Am 12. März 1984 kam „People Are People“ als zehnte Single in den Handel. „People Are People“ erreichte den vierten Platz der UK-Charts und führte drei Wochen lang die deutschen Charts an – es war die bislang erfolgreichste Single. Der Erfolg von „People Are People“ führte zu einer wahren Hochstimmung, die Jungs kamen in Berlin so gut wie nie zuvor miteinander aus. Auf diesem Höhepunkt ihrer Karriere gab es keine ernsthaften Spannungen zwischen den gegensätzlichen Persönlichkeiten. Wilder bestätigt: „Wir alle blicken auf die Zeil in Berlin als auf eine der aufregendsten Perioden unseres Lebens zurück. Im Studio herrschte eine dynamische Atmosphäre, und wir hatten riesigen Spaß in Deutschland, weil wir auf einmal großen Erfolg hatten und von so vielen Fans umgeben waren. Wir waren dauernd im Femsehen und begegneten immer wieder anderen britischen Bands wie Frankie Goes To Hollywood oder Spandau Ballet, mit denen wir um die Wette tranken. Es war einfach eine herrliche Zeit, in der wir alle gemeinsam viel ausgingen.“ In einem Interview 1984 stellte sich Wilder – ganz im Gegensatz zu heute – als „Geheimagent der Band“ vor und behauptete, „wenn einer von ihnen ein Problem hat, dann kommt er zu mir, was aber nicht heißt, dass ich der Boss bin. Dafür bin ich allzu sensibel. Martin Core ist der Chef.“

Um die Wartezeiten im Studio zu überbrücken, berichtet Wilder, „machten sich Fletch und Martin an ein Iux-Album, bei dem ich auch mitwirkte. Wir gingen in einen anderen Aufnahmeraum im Hansa Studio, wo ich Klavier und Martin GitaiTe spielte. Wir nannten das Album Toast Hawaii‘, weil das Martins Lieblingsessen im Restaurant im Erdgeschoss des Hansa-Gebäudes war.“ Gore aß fast jeden Abend Toast Hawaii, also Toast mit Schinken, Käse und Ananas, als „Some Great Reward“ im Studio entstand. „Wir nahmen eine Kassette mit dem Album Toast Hawaii‘ auf“, berichtet Wilder lächelnd, „aber Daniel wollte die Kassette nicht veröffentlichen. Warum, das weiß ich nicht.“ Wilder überlegt einen Moment und meint dann: „So etwas hätten wir sicher nach 1984 oder 1985 nicht mehr gemacht…“

Neben dem Experimentieren mit der Akustik im Hansa Studio beschloss Martin Gore auch noch, für sich ein natürliches Ambiente zu schaffen, als er im Keller des Studios sein Liebeslied „Somebody“ nackt sang. Lachend berichtet Wilder: „Martin zog sich bei jeder passenden Gelegenheit die Klamotten aus. Irgendwie war er fasziniert von seinem eigenen Körper. Meist brauchte er nur ein paar Drinks, und schon zog er sich nackt aus.“ Selbst Journalisten empfing er im Hansa Studio schon mal nur mit Badehose bekleidet, und nach einer Goldverleihung legte er einmal einen Strip hin…

Die zunehmende Vorliebe der Band für schwarzes Leder wirkte sich auch auf ihre Identität bei der Promotion aus. Gahan fühlte sich mit diesem Image weitaus wohler als zuvor, obwohl seine wasserstoffblonde Frisur nicht besonders gut ankam: „Als wir anfingen, uns in Leder zu kleiden, war das eigentlich ein schwuler Look. Aber das ist ein gutes, starkes und kraftvolles Image. Und auch wenn es kein Image ist, sieht es eben doch gut aus, und solche Klamotten trugen wir sowieso gern.“ Martin Gore ging am weitesten mit Kleidung, Make-up und Schmuck.

Er perfektionierte einen Stil, der sein Unschuldsgesicht und seinen zartknochigen Körper mit fetischistischen Lederriemen, Frauenkleidern, Lippenstift, einer Halskette und schwarzem, zersplittertem Nagellack kombinierte. Teils engelhaft, teils gespenstisch, gleichzeitig sexy, feminin und lachhaft – so gewann Gore viele neue Fans, indem er seinen Zuhörern ermöglichte, ihre eigenen sexuellen Phantasien auf ihn zu projizieren, der sich in keine ersichtliche Richtung festlegte. Während der Live-Shows blieb er die meiste Zeit unauffällig im Hintergrund und kam nur zu seinem Solo-Auftritt mit „Somebody“ nach vorn.

Gore bestätigte mit seinem New Look den Einfluss der S/M-Clubs in London und Berlin: „Ich empfand die Atmosphäre in diesen Clubs als sehr freundlich. Ich bin sicher, dass mir dort viele Ideen kamen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich Normalität hasse. Das Image des Machos fand ich stets todlangweilig.“ Vielleicht wollte er auch auf diese Weise unbewusst den sexuellen Inhalt seiner Songs zu einem Zeitpunkt unterstreichen, als ihn seine neue Beziehung inspirierte, und herausstellen, dass „70 Prozent unserer Songs mit Sex zu tun haben. Persönlich finde ich es sehr erstaunlich, wenn mir Leute im Gespräch sagen, für sie sei Sex etwas Zweitrangiges im Leben. Für mich ist Sex alles andere als zweitrangig.“

Im Übrigen war das Transvestitentum bei Gore eher nett als bedrohlich oder sogar recht abwegig. „Manchmal, wenn ich mir etwas Neues zum Anziehen kaufe und mich zum ersten Mal damit zeige, kriege ich Gelächter zu hören“, sagte er. „Oder Kommentare wie ,Das kannst du doch nicht anziehen!‘ So wie neulich, als ich mir Latex-Leggings kaufte. Das ist doch nichts Außergewöhnliches.“

Natürlich machte es den britischen Medien einen Mordsspaß, über Gores Bekleidung herzufallen, bis er diese Lebensphase schließlich als bedeutungslos abtat: „Das wurde alles völlig übertrieben dargestellt. Wahrscheinlich werde ich es irgendwann in Zukunft einmal bereuen, wenn meine Tochter alte Fotos von mir zu sehen bekommt. Es wird nicht leicht sein, ihr das zu erklären.“ Nichtsdestoweniger behielt Gore seinen abenteuerlichen Look für die kommenden Jahre bei.