Der Mann hinter Marley


Wie sich Chris Blackwell, der Labelboss und Produzent, der den Reggae in die westliche Welt brachte, an seinen wichtigsten Künstler erinnert.

Es ist ein diesiger Nachmittag im Frühherbst 1992. Der Mann mit den stahlblauen Augen macht ein wehmütiges Gesicht, als er den Blick über die Ufer des Tegernsees schweifen läßt.“.Hierhabe ich Bob das letzte Mal lebend gesehen“, erinnert sich Chris Blackwell, .. denn gleich nebenan war die Praxis von Dr. issels, dem deutschen Spezialisten, bei dem Bob sich behandeln ließ, bevor er dann auf dem Heimweg noch Jamaika in Miami starb“.

Blackwell befindet sich in Deutschland, um die 4-CD-Box Songs of freedom vorzustellen, die nach dem Ende der juristischen Streitigkeiten um Marleys Erbe das musikalische Vermächtnis des Reggae-Superstars dokumentiert. Er fällt auf im gediegen-konservativen Ambiente des bayerischen Nobelhotels. Obwohl längst Multimillionär, in Ehren ergraut und um die Hüften ein wenig füllig geworden, bevorzugt Blackwell Sneakers, Jeans und T-Shirt als Berufskleidung – der Prototyp des Turnschuhmanagers.

Als Sohn eines Plantagenbesitzers wuchs der in London geborene Blackwell in Jamaika auf. Nach dem Ende seiner Internatszeit in England gönnte er sich ein paar Monate Müßiggang in New York – mit ungeahnten Folgen:“.Ein Freund schleppte mich damals in Hartem in die Jazzclubs und machte mich auch mit einigen damals angesagten Jazzmusikern bekannt. Ich war nicht nur von ihrem Sound fasziniert, sondern auch von ihrem Lebensstil und ihrem ganzen Auftreten“. erinnert sich Blackwell.“.Zurück in Jamaika, fing ich an, selbst im Musikgeschäft mitzumischen. Zunächst importierte ich Jazzplatten aus Amerika, dann gründete ich 1959 mit einem Startkapital von 1000 Dollar mein eigenes Label. “ Den Namen für seine Firma fand der belesene Jungunternehmer in der Literatur: Island Records wurde nach Alec Waughs Jamaika-Roman“.Island In The Sun“ benannt.

Mit dem Hit“.My Boy Lollipop“ der 15jährigen jamaikanischen Sängerin Millie gelang Blackwell 1964 der Einstieg ins internationale Geschäft und es erwies sich, daß er einen Riecher für Talente hatte: Mit der Spencer Davis Group um Steve Winwood, King Crimson, Cat Stevens und anderen hatte er bald einige von Englands besten Pop-Acts unter Vertrag. In den 70er und 80er Jahren mischte Island unter Btackwells Ägide tonangebend im weltweiten Popgeschehen mit – von Blackwell verpflichtete Acts wie die B 52s, Grace Jones und U2 (heute die erfolgreichste Band der Firma) waren Volltreffer. Seinen größten Beitrag zur Popgeschichte schrieb Chris Blackwell aber ab 1971, als er systematisch begann, den Popsound seiner Heimatinsel weltweit erfolgreich zu machen. Seine Reggae-Acts sorgten für Erfolge am Fließband: Toots & The Maytals, Burning Spear, Third World, Sly & Robbie – und allen voran Bob Marley & The Wailers.

Blackwell und Marley waren 1971 Partner geworden, nachdem Jimmy Cliff, damals gerade durch die Hauptrolle in dem Reggae-Film „The Härder They Come“ populär geworden, das Island-Label verlassen hatte.

„Ich wollte Reggae damals unbedingt international durchsetzen – und dazu mußte ich auf den Erfolg des Films aufbauen. Die Wailers waren zu der Zeit in Jamaika schon recht populär. Als ich Bob traf, spürte ich genau, daß er viel mehr als nur ein Ersatz für Jimmy Cliff sein würde.“

Bis zu dieser Stelle im Gespräch war Blackwell freundlich relaxt, ganz der karibisch-britische Genetleman. Jetzt aber lehnt er sich auf seinem Sessel nach vorn. Nun engagiert und dringlich im Tonfall, zeichnet der Mann mit dem legendären Gespür für „Starqualities ein pointiertes Bild seines wichtigsten Künstlers: „Fr war wirklich wie jener Charakter, den Jimmy im Film nur gespielt hatte. Er hatte auch abseits der Bühne diese echte, seltene Charisma, strahlte große innere Kraft aus. Auf seine spezielle Weise ein Star vom Scheitet bis zur Sohle. Und ein wirklicher Outlaw, jemand, der nach eigenen Regeln lebte, innerhalb dieser Regeln aber durch und durch aufrichtig und geradlinig war.“

Blackwell nahm die Geschicke Marleys von Beginn an nicht nur als Label-Boss, sondern auch als Produzent persönlich in die Hand. Im Frühjahr 1972 überarbeitete er mit Marley in den Island-Studios in der Londoner Basing Street die Demos, die der Jamaikaner aus der Karibik mitgebracht hatte.“.Mein Plan für dieses erste .richtige‘ Wailers-Atbum war, Bob und die Wailers wirklich als Band zu präsentieren. Als das, was sie in meinen Augen auch waren: eine schwarze Rockband! Wir wollten dieses herrschende Vorurteil, daß Reggae keine ernsthafte Musik sei, überwinden.“

Das Resultat, catch a fire. war zwar noch nicht Marleys endgültiger internationaler Durchbruch, aber immerhin das erste aus einer imponierenden Reihe von Marley & The Wailers-Alben, die Bob und Blackwell co-produzierten und die heute praktisch alle Klassikerstatus haben. Blackwell spielt seinen Anteil an deren Sound bis heute gern etwas herunter:“.Bob nannte mich immer seinen musikalischen Übersetzer. Während er die Songs für die Alben schrieb, aussuchte, arrangierte und aufnahm, steuerte ich später meinen Blickwinkel bei. Ich fügte hier und da noch einen Bläsersatz hinzu, nahm im Mix an manchen Stellen noch etwas weg und legte die Reihenfolge der Songs fest, um seinen Sound auch für das europäische Publikum zugänglich zu machen.“

Heute tobt Chris Blackwell seine kreative Seite vornehmlich mit seiner Filmfirma Palm Pictures als Produzent erfolgreicher Streifen wie“.Kuß der Spinnenfrau“ oder“.Mona Lisa“ aus. Für angeblich 300 Millionen Dollar hat er 1989 die Rechte an Island Records größtenteils verkauft und 1997 auch das Direktorium der Firma endgültig verlassen. Kürzlich hat er allerdings zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder aktiv ins Musikgeschäft eingegriffen: Für das am 21. Juli erscheinende Album yell fire der Polit-Hip-Hopper Michael Franti & Spearhead ließ er sich als Berater ins Studio locken.