Der Runterschreiber
Als Journalist warf er sieh dem Rock und Roll und den Frauen an die Brust. Dann wurde Wolfgang Welt Romanautor. Und schließlich wahnsinnig.
Manche Geschichten klingen konstruiert. Oder was soll man davon halten: Ruhrpott-Junge aus der Bergarbeitersiedlung schafft es bis an die Uni, bricht sein Studium ab, wird Plattenverkäufer, wird als Musikjournalist (u.a. für den musikexpress) ein bisschen berühmt und kurz darauf wahnsinnig. Man entlässt ihn ungeheilt, das Leben zeigt sich gnädig und schenkt ihm einen neuen Job: Er wird Nachtwächteram Schauspielhaus Bochum, veröffentlicht seine Geschichte, die niemand kauft, bis sich ein prominenter Schriftsteller seiner annimmt. Klingt konstruiert?
Wolfgang Welt, Jahrgang 1952, hat sich diese Geschichte nicht ausgedacht. Aber aufgeschrieben. Jahre verstaubte sein biografischer Roman „Peggy Sue“ in den Regalen der Buchhandlungen. Der Autor ging jeden Abend zur Nachtschicht, grüßte Leander Hausmann, hörte „Musik zum Träumen“ auf WDR 2 und ließ den Herrgott einen guten Mann sein. Bis vor Kurzem: „Der Handke ist schuld“, sagt Welt.
Er SltZt auf einer zerknautschten Couch in einem mit Büchern überfüllten engen WG -Zimmer in Bremen, wo er am Abend lesen wird, und trinkt Rotwein aus einem bauchigen Glas. Er selbst ist mit den Jahren ebenfalls bauchig geworden, das ergraute Haar steht ihm ulkig vom Kopf ab. „Ich war schon als ij-Jähriger Handke-Fan „, erinnert er sich, „habe aber nie gewagt, ihm zu schreiben.“ Bis zu Bob Dylans 50. Geburtstag. „Ich hab‘ Handke meine DylanGeschichte geschickt. Daraufhat er tatsächlich geantwortet, so in der Art: iWar ihrVater Fleischer? Sie nehmen den Dylanja so auseinander!‘ Seitdem haben wir jedes Jahr einen Brief gewechselt. Mein neuer Roman („DerTunnel am Ende des Lichts“ – die Autorin) gefiel ihm auch, und dann hat er die Konzernspitze zu sich gerufen und gesagt: ,DerWelt muss bei Suhrkamp verlegt werden!'“
Das Ergebnis des Handke’schen Insistierens hört auf den Namen „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“. Neben „Peggy Sue“ enthältes die Fortsetzungen „Der Tick“ und das bislang unveröffentlichte „DerTunnel am Ende des Lichts“. Es ist ein atemloser Parforceritt durch die 80er, Discos mit bekloppten Namen, fremde Städte und verranzte Kneipen.
Auf dem Buchcover siehtman den jungen Autor, wie er gesehen werden will: Kippe im Mundwinkel, herausfordernder Blick. Zu lesen gibt es die anderen Geschichten: die des unsicheren, bauernschlauen Schluffis, der versucht, irgendwie durchzukommen – noch dazu permanent underfucked. Welt stolpert durch die Szene, droppt dauernd wichtige Namen (Diedrichsen, Bernd Gockel, Clara Drechsler), schreibt schnörkellos, oft geschwätzig, stets subjektiv. Es ist, als säße man ihm beim dritten Bier gegenüber und lässt ein Diktiergerät laufen: „Meine Artikel habe ich ja auch alle in 20 Minuten runtergeschrieben“, erinnert er sich.
Genau, die Artikel. Sein Verballhornung von Heinz-Rudolf Kunze als „singender Erhard Eppler“ (ME 3/1982) machte ihn über die Grenzen Bochums bekannt – die eigene Meinung als das Maß aller Dinge, so einfach war das. Hubert Kah? „Pubertärer Schrott.“ Andreas Dorau? „Bist du schwul?! “ Helen Schneider? „Grauenhafte Coverversionen,zum Kotzen.“ Es hätte ewig so weitergehen können, wenn Welt nicht „immer kafkaesker zumute gewesen wäre“. Die Ärzte diagnostizieren mit Ende 20 eine bipolare Störung sowie Schizophrenie. Bis heute schluckt er Psychopharmaka.
Man kann Welt vorhalten, er sei kein richtiger Schriftsteller. Nur ein hkerloser Runterschreiber. Ähnlich äußerte sich H.-R. Kunze in einem ME-Gespräch mit Popliterat Benjamin von Stuckrad-Barre: „Ich hasse Literatur, die nichts macht, als die Gegenwart zu beschreiben, ohne ironische Distanz ist das keine Literatur.“ Mit der Aussage konfrontiert, lächelt Welt und lehnt sich auf der maroden Couch zurück:
Er ist der Magister, er muss es ja wissen.‘ Welt wirkt gelassen. Sein bedächtiges Leben als Nachtwächter gefällt ihm. Noch immer wohnt der Junggeselle zu Hause bei seiner über 80-jährigen, pflegebedürftigen Mutter. „Wir schauen immer nachmittags zusammen Telenovelas „, sagt er. Mit der Musik ist er durch. Er nimmt noch einen Schluck Rotwein, als er auf die Frage antworten soll, wie er sich als später Suhrkampautor fühlt. „Im Hinterstübchen dachte ich mir immer: ,Du schaffst das schon.'“
Er sagt es so dahin. Außerdem hat sich die Frau gemeldet, der Welt „Buddy Holly“ gewidmet hat. Neulich haben sie sich getroffen, zum ersten Mal seit 20 Jahren. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Klingt das konstruiert?