Der stille Knall
Aus Clubkids kann also doch etwas werden: Jetzt machen sie Musik für Vernissagen und Wohnzimmer, experimentieren mit harmonischem Rauschen und Leerstellen. James Blake ist ihr gefeierter Star der Stunde. Denn in der Ruhe liegt die Nacht.
In Momente der Stille lässt sich viel hineininterpretieren. Das liegt in ihrer Natur. Sind sie eine Verweigerung? Oder nur der Sprachlosigkeit geschuldet? Sind sie Entspannung oder Verzweiflung? Sollen sie Platz schaffen oder Qualen auslösen? Sind sie ein Nachdenken oder ein Nachdenkenlassen? Aussage oder Verlangen? Wir sollten uns darüber klar werden, was mit der Stille anzufangen ist, denn: „Das Zeitalter der Stille kommt über uns.“ So zumindest titelte ein englisches Magazin zu James Blakes Debütalbum. Die Promo-CDs waren bei deutschen Journalisten auffällig begehrt, weiß das Label Universal. Etwa so wie die letzte Portishead-Platte. Doch wenn es um die Interpretation seiner Musik geht, ist auch James Blake selbst eher still.
„Der neue Minimalismus“, „das neue Zeitalter der Stille“. Ihr Album ruft eine Menge etikettenhafter Einordnungen hervor.
James Blake: Das Album ist sehr noisy, sehr rauschend. Also läutet es hoffentlich eher das „neue Zeitalter des Rauschens“ ein.
Bezeichnen Sie Ihre Musik eigentlich auch als Post-Dubstep, wie es immer heißt?
Blake: Nein. Ich habe nie versucht, Post-Dubstep-Tracks zu schreiben, es kommt einfach aus mir raus und klingt dann so. Es wäre doch etwas überheblich und voreilig, meine Musik so zu kategorisieren, aber wenn es andere tun, dann ist das schon okay.
Was da rauskommt, ist ein dezentes Spektakel aus harmonischem Kratzen, ätherischen Schleiern, verschiedenen Schichten von durch Gerätschaften gejagten Stimmen. Fragmente, die die Erlösung durch gasartige Harmonien anschieben. Space Is Only Noise nannte Nicolas Jaar sein Debütalbum Anfang des Jahres, das in eine bemerkenswert ähnliche Kerbe schlägt wie das selbst betitelte Debüt James Blake. Die neue Langsamkeit. Das ist elektronische E-Musik für die Rave-Boheme.
Beide Musiker haben früh mit der Musik begonnen, haben sich dann in der Clubmusik umgeschaut, effektive und großartige Hits für den Dancefloor geschrieben und nun Alben veröffentlicht, die sich dem Viervierteltakt und der Kick-Drum verweigern, dabei jedoch beweisen, dass gewagte Pausen und die Reduktion des Basses keinen Mangel entstehen lassen müssen. Was ist bloß los mit den Clubkids?
Warum machen Sie plötzlich emotionale Musik für die Wohnzimmercouch?
Blake: Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass Musiker wissen, warum sie ihre Musik so schreiben, wie sie es tun. Sie machen es einfach.
Früher gab es Clubmusik und Musik, die man zu Hause hörte. Nun vermischt sich beides.
Blake: Die Leute, die in Clubs gehen, hören die Musik auch auf Kopfhörern. Das war nicht immer so. Sie kommen nach einer Nacht nach Hause und haben Zugang zu der Musik, die sie gerade eben gehört haben, sie können sie herunterladen, von ihrem Handy aus aufnehmen und hochladen. Das ist ein sehr postmoderner Zugang zu Musik. Das ist der Grund, warum Club- und Kopfhörermusik überhaupt nicht mehr so unterschiedlich sein können.
Gibt es eine neue Sehnsucht nach Wärme? Nach Realität und Lebendigkeit im Club?
Blake: Ich glaube, das Gefühl gibt es schon länger. Für mich hatten Clubs immer eine komische Atmosphäre. Sie sind komplett unwirklich. Sie werden jeden Tag wieder auf null gesetzt. In einem leeren Club zu sein ist eine total merkwürdige Erfahrung. Es ist wie in einer leeren Schule oder einem leeren Krankenhaus. Du hast das Gefühl, dass am Tag zuvor noch so viel passiert ist. Der Unterschied zwischen einem Club und einer Schule ist nur, dass es im Club keine stetige Entwicklung gibt.
Wie meinen Sie das?
Blake: Was in der letzten Nacht passiert ist, existiert heute nicht mehr. Du erinnerst dich nicht mehr. Bei den meisten ist es zumindest so. Neuerdings sind die Leute wieder bewusster unterwegs und analysieren genau, was sie gerade erlebt haben.
Und es gibt heute ein viel größeres Interesse am DJ als früher.
Blake: Früher konnte man noch anonym bleiben, heute stehst du vor einem großen Raum und die Leute schauen dich beim Tanzen direkt an. Als würden sie auf eine Predigt warten.
Ist Ihre Musik so unwirklich wie ein Club?
Blake: Ja, das würde ich schon sagen.
Sie sagten mal, The XX hätten Ihnen den Platz vorgewärmt.
Blake: The XX haben den Schock für meine Hörer ein wenig gedämpft. Ihr Album ist ziemlich kompromittierend, elektronisch und heftig minimalistisch. Deswegen denke ich, man ist jetzt weniger schockiert, wenn man mein Album anhört.
Kennen Sie Nicolas Jaar? Ihr Album erinnert mich an seines.
Blake: Nein. Aber danke, ich werde es anhören.
James Blake kommt aus dem fast ländlichen Norden Londons, er ist 22 Jahre alt, sein Vater ist Musiker. Zunächst wollte Blake den Namen seines Vaters nicht verraten. Doch dann wird ihm in diversen Blogs vorgeworfen, sein Song „The Wilhelms Scream“ sei zu großen Teilen gestohlen. Und zwar von einem Stück namens „Where To Turn“, das ein gewisser James Litherland geschrieben hat. Der Mann sei sein Vater und Autor des Songs, lässt Blake dann über Twitter wissen.
Mag Ihr Vater Ihre neue Interpretation?
Blake: Er mag sie sehr. Obwohl ich den Text etwas falsch verstanden habe. Darüber ist er nicht besonders glücklich. Aber er mag die Melodie und den Gesang. Alle Anerkennung für diesen großen Song gebührt meinem Dad.
James Blake spielt Klavier, seitdem er sechs Jahre alt ist. Später fängt er an, seine Stimme zu nutzen, improvisiert zu alten Soul- und Motownplatten. Er steht schon immer auf Gospelsongs, etwas, das man seinem Gesang und seinen Stücken heute noch anhört.
Haben Sie eine besondere Gesangstechnik?
Blake: Ich mag die Falsettstimme, aber nachdem ich das Album fertig geschrieben hatte, habe ich versucht, mehr Facetten meiner Stimme zu entdecken. Auf meinem zweiten Album wird man einen größeren Tonumfang hören.
Blake studiert Zeitgenössische Musik am Goldsmith College, an dem auch die englische Band Blur lernte. 2007 geht er auf eine Party, so die Legende, die sein Leben verändern sollte. „FWD
Gehören Sie zu einer Generation von Musikern, die genau plant und nichts aus Versehen tut? Sie sind ausgebildeter Pianist, haben das Goldsmith College besucht und bringen Gospel mit dem Programm Logic zusammen.
Blake: Ich weiß nicht genau, was ich tue. Ich probiere einfach viel aus. Ich habe am College nicht gelernt, wie man Musik schreibt, das können Sie mir glauben.
Kann man denn überhaupt lernen, Musik zu schreiben?
Blake: Nicht am Goldsmith.
Also ist alles nur Fleiß und Übung?
Blake: Man kann lernen, Dinge selbstbestimmt zu tun und keine Kompromisse einzugehen.Aber das lernt man nicht im Pianounterricht.
Irgendjemand schrieb, Ihre Musik klinge, als hätten Sie eine Menschenphobie.
Blake: Ich bin geselliger, als man denken könnte, wenn man meine Musik hört. Ich gehe ziemlich viel in Clubs. Und die Erfahrungen mit den Menschen, die ich dort in den letzten Jahren kennengelernt habe, haben die Art, wie ich Musik schreibe, sehr beeinflusst.
Auch Ihre Texte?
Blake: Meine Texte sind mir sehr wichtig. Ich schreibe sie wie Gedichte, und dann werden sie zu den Lyrics der Songs, die noch nicht geschrieben wurden. Ich muss mir sicher sein, dass ich mich wohl mit ihnen fühle. Ich singe sie, dann nehme ich auf und mixe die Aufnahme.
Nehmen wir den Text über Ihre Geschwister, die nicht mehr mit Ihnen reden wollen. Was haben Sie sich da ausgedacht, warum sie nicht mehr mit Ihnen sprechen?
Blake: Na ja, ich habe ja keine Geschwister.
Aber Sie singen über Ihren imaginäre Geschwister.
Blake: Ich weiß nicht genau. Ich mochte den Sound. Ich weiß nicht, warum, aber es hat für mich Sinn ergeben. Es ist etwas surreal, oder?
Sind Sie eigentlich schon genervt vom Hype um Sie?
Blake: Ich will einfach nur weiter Musik schreiben und spielen, ich will singen, Menschen treffen, mich unterhalten und all das genießen.
Der junge James Blake ist der lebende Beweis für das Alter, in das die elektronische Musik gekommen ist. Sie ist ernster geworden, gewagter. Sie mischt sich mit altem Staub. Sie erfüllt eine neue soziale Aufgabe für eine veränderte Zielgruppe. Aber vielleicht interpretiert man manchmal auch zu viel in die Stille hinein, die letztlich einfach nur ausloten will, wann sie am besten vom Sound abgelöst wird, um größtmögliche Emotionen auslösen zu können.
Ich habe folgenden YouTube-Kommentar gelesen: „Ich liebe James Blakes Musik, aber die Leute, die ihn hören, sind echt prätentiös und überheblich.“
Blake: (lacht)
Denken Sie, der Kommentar stimmt?
Blake: Ähm, ja.
Eine letzte Frage.
Blake: Warten Sie, ich habe gerade YouTube aufgemacht und ich habe noch einen Kommentar für Sie. Jemand schreibt: „Zu dieser Musik will ich Sex haben.“
Ob es wirklich ein Sex-Album ist?
Blake: Der Kommentar ist zu einem älteren Stück, „CMYK“.
Das ist vielleicht besser, um dazu Sex zu haben.
Blake: Okay, ich werde das nächste Mal mehr darauf achten.