Der Vinyl Baron


Einst fuhr er mit einem Mini-Cooper durch London und verkaufte vom Rücksitz aus Singles. 25 Jahre später hat Blackwells Plattenfirma Island Geschichte geschrieben. Nicht nur, weil er Bob Marley und den Reggae für die Popwelt entdeckte. Nicht nur, weil er Talente wie Steve Winwood, Robert Palmer und U2 bedingungslos förderte. Chris Blackwell hat es vor allem verstanden, auch als Big Boss immer das Flair des honorigen Edelmannes zu bewahren. Steve Lake traf Blackwell an der Cote d’Azur.

Cannes, Südfrankreich. Es ist Dienstagmorgen, elf Uhr. An den Bäumen reifen die Orangen, Palmen ragen in den strahlend blauen Himmel. Vereinzelt wagen sich schon Badegaste in die Fluten des Mittelmeers, dessen Wellen sich nur ein paar Meter vom Hotel Excelsior entfernt am Strand kräuseln. Im fünften Stock des Hotels wird eine Tür aufgerissen, um den Blick auf einen Mann freizugeben, der lediglich mit einem Bademantel bekleidet ist. Der Duft eines aufdringlich teuren Parfüms weht in den Hotelflur, als er mit seiner wohlklingenden Lehrer-Stimme verkündet: „So wie ich jetzt angezogen bin, werde ich den ganzen Tag über bleiben! Also komm rein!“

Er setzt sich in einen Korbstuhl vor dem Fenster. Mit seinem Umhang und den gewellten Haaren sieht er fast majestätisch aus. Ja, Chris Blackwell hat durchaus etwas Königliches an sich. Aber auch etwas Bubenhaftes. Er fummelt an einem Walkman und einem Paar kleiner Boxen herum. Die Musik von U2 ertönt, ihr neues Album THE JOSHUA TREE. „Das ist die größte Band der Welt!“ ruft er mit offensichtlich echter (oder zumindest überzeugender) Begeisterung. „Und das ist eine der wirklich ganz tollen Platten, die wir dieses Jahr herausbringen. Die andere wichtige ist das nächste Sly & Robbie-A Ibitm, das Bill Laswell produziert hat. Du hast es gehört??? Was haltst du von den Streicherarrangements ?“

Ich bin einigermaßen verblüfft. Man findet selten einen Plattenboß, der sich die Platten, die seine Firma auf den Markt bringt, tatsächlich anhört, geschweige denn analysiert. Viele von ihnen sind nämlich nicht gerade aus musikalischer Berufung in dieses Geschäft gegangen. Da gibt es ehemalige Vertreter, die früher ein Schuhgeschäft hatten oder Anzeigen verkauften; ihr Enthusiasmus und Ehrgeiz konzentriert sich vorwiegend auf die Geldbörse ihrer Kunden. Und dann gibt’s noch die andere Sorte (Walter Yetnikov von der CBS ist ein typisches Beispiel): gescheiterte Juristen, die das Hangeln und Rangeln um Verträge lieben. Wen sie letztendlich unter Vertrag nehmen, ist nicht so wichtig wie die Enttäuschung auf dem Gesicht der Konkurrenz.

Bei Blackwell war es schon immer in erster Linie die Musik. Er wuchs in Jamaika auf, wurde aber in Englands todschickem Internat Harrow erzogen und verbrachte einen großen Teil seiner Jugend mit Reisen, auf denen er die Musik verschiedener Kulturen kennenlernte. Er folgte seinem Vater — einem pensionierten britischen Armee-Offizier — nach New York und Chicago und stürzte sich auf Jazz und Blues; in England waren es die weißen Bluesbands, die ihn beeindruckten.

Aber es waren Ska und Bluebeat. die Vorläufer des Reggae, die sich unauslöschlich in seinen Gehörgängen festsetzten: das war die Musik, die er ins Rampenlicht der Welt bringen sollte. Fast alle international bekannten Reggae-Bands haben ihre Popularität letztlich Blackwell zu verdanken.

Eine der ersten Platten auf dem neuen Island Label war 1962 „Miss Jamaica“ von einem unbekannten Sänger namens Jimmy Cliff. 1965 brachte die Firma eine Single mit dem Titel“.Shame And Scandals“ von Peter Touch And The Wailers heraus. Touch nannte sich später Tosh, während Bob Marley vom Chorsänger zum Frontmann avancierte. Es dauerte noch ein Jahrzehnt, bevor der Rest der Welt ihr Potential erkennen sollte.

Blackwell hatte ein Gespür für Talente, die noch in den Kinderschuhen steckten. Er entdeckte die Spencer Davis Group, die in einem Birminghamer Club spielte, um sich das Taschengeld aufzubessern, und wurde ihr Manager. Ihr Sänger Steve Winwood war damals 15 Jahre alt.

Zur selben Zeit verkaufte Blackwell vom Rücksitz seines blauen Mini-Coopers Bluebeat-Singles im Londoner Viertel Ladbroke Grove. So fing Islands Records an, als echt“.alternatives“ Label. 150(1 Singles gepreßt, 1500 verkauft, um damit die nächste zu finanzieren.

Seinen ersten Coup landete er bei Lizenz-Geschäften mit etablierten Industriefirmen. Er importierte aus Jamaika eine 14jährige Sängerin namens Millie Small und brachte sie bei Philips/ Fontana unter. Ihre erste Single, „My Boy Lollipop“, ein naiv-lustiger Popsong, verkaufte sich sechs Millionen Mal.“.Keep On Running“, das Blackwells jamaikanischer Freund Jackie Edwards für die Spencer Davis Group geschrieben hatte, erwies sich als ein weiterer Millionenhit.

1967 konnte er Island zu einem Album-onentierten, „progressiven“ Rock-Label ausweiten. Unter seinen Künstlern waren Cat Stevens. King Crimson. Free. Fairport Convention. Traffic. Nick Drake. John Martyn … Und sogar diejenigen, deren Platten sich nicht so spektakulär verkauften, verhalfen Island zum Image eines gewissenhaften, qualitätsorientierten Konzerns. Trotz magerer Jahre, in denen“.Qualität“ aus der Mode kam, hat Island dieses Image weitgehend behalten.

Jetzt, im Mai 1987. hat das Unternehmen beschlossen, einmal in die eigenen Trompeten zu stoßen, sich selbst auf die Schulter zu klopfen und den 25. Geburtstag zu feiern. Ein Buch soll in diesen Tagen erscheinen, eine Klteilige Serie in England über den Äther gehen, mehrere Fernsehberichte, Konzerte — und für ein Festival im Wembley Stadion sollen so viele Island-Künstler wie möglich auf eine Bühne gestellt werden. Blackwell muß da doch nostalgisch werden, oder?

„Eigentlich nicht“, sagt er mit einem kleinen Lächeln. „Ich dachte bloß, daß man Islands Geburtstag dazu nützen sollte, eine An Statement zu machen, was wir für eine Art Unternehmen sind. Aber mein Rück ist eigentlich auf die Zukunft gerichtet. Ich wollte die Firma bloß nieder ein bißchen … greifbarer machen. Um zu betonen, daß wir eine unabhängige kleine Organisation sind, die die Dinge auf ihre Art macht.“ (So klein ist sie inzwischen gar nicht mehr: Blackwell hat 250 Mitarbeiter, die auf fünf internationale Niederlassungen verteilt sind.) „Ich nehme an, Ende der öder hatten wir unseren Höhepunkt erreicht, dann hatten wir mit Bob Marley einen weiteren großen Schub — und danach ging’s eher ein bißchen in den Keller. Viel kick, weil ich dus Potential von Punk und New Ware zu spät erkannt habe. Ich war so mit diesen Reggae-Gcschklucn beschäftigt…

Als Marley starb, starb auch viel von meiner Begeisterungsfähigkeit. Mit Bob Marley zu arbeiten, war anders als das übliche Plattenbusiness, in dem man verpackte Ware an den Mann bringt. Das war eher wie ein Kreuzziig. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, jemanden bekannt zu machen, der wirklich Substanz hat und der die Welt ein bißchen verändert. Es war hart fiir mich, nach Marley wieder zum Tagesgeschäft zurückzukehren.

Xun ja, ich habe z. B. mit Grace Jones gearbeitet

— und es hat… Spaß gemacht, war aber absolut oberflächlich. Also habe ich angefangen, mich langsam zurückzuziehen. Dummerweise hatte ich keine gute Organisation aufgebaut, die den Laden auch dann am Laufen hält, wenn ich mich selbst ein wenig rar machen wollte. Ein ebenso dummer wie schmerzhafter Fehler.

Ich habe die Organisation inzwischen umstrukturiert, mit Leuten, diefiirdie verschiedenen Bereiche selbst verantwortlich sind — die gehobenere, „künstlerische“ Ecke, die Disco-Schiene und so weiter. Ich habe einen so breiten musikalischen Geschmack, daß es sich als unmöglich erwies, einen einzelnen Mann zu finden, der alle meine Vorlieben abdecken konnte. Das war das große Problem.

So gesehen ist das musikalische Spektrum von Island genau das, vor dem man ein Independent-Label immer warnt. Normalerweise hat sich ein kleines Label zu spezialisieren; auf Jazz, auf Rap, auf Blues. Und genau diese Indenülät gibt ihm dann seine Kontur. Aber dummerweise kann ich das nicht, dafür sind meine Interessen viel zu vielschichtig. „

Die Interessen gehen jetzt in Richtung Film. Island Films haben bereits ein paar größere Hits mit Filmen gelandet, die mit Mini-Budget gedreht wurden. Spike Lees „She’s Gotta Have It“ ist gerade ein internationaler Erfolg, ebenso Jim Jarmuschs „Down By Law“, der wiederum den Plattenverkauf seiner Hauptdarsteller, John Lurie und Tom Waits, angekurbelt hat. Luries Lounge Lizards und Tom Waits nehmen, überflüssig hinzuzufügen, für Island auf. So arbeiten Film- und Plattenabteilung Hand in Hand. „Kiss Of The Spider Womarf, ein anderer Low-Budget-Film, erhielt sogar mehrere Oscars.

„Ich ging ins Filmgeschäft, weil die Zukunft des Films im Verkauf und Verleih von Heimvideos liegt. Anders gesagt: Der Film dringt in unsere Domäne als Heimunterhalter ein.

Es ist aufregend, in dieser Branche zu arbeiten, aber ich passe auf, daß die Pferde nicht mit mir durchgehen. Ich habe zwar das endgültige Sagen, aber ich habe eine Art A&R-Team fiir Filme, das jedes Skript sorgfältig durchgeht, bevor es an mich weitergereicht wird. Ich komme nicht mit einem Skript rein und sage: ,Diesen Film müssen wir machen. ‚ Ich verlasse mich noch nicht so auf meinen Geschmack wie in der Musik. „

Ist die Musik jetzt nicht mehr so wichtig wie in den 6()ern?

„Ich bin mir nicht sicher. Ich finde schon, aber ich weiß nicht, inwieweit diese Einschätzung mit meinem Alter zusammenhängt.“ Blackwell ist 51. „Ich meine, ich war auch in den bOern kein Teenager mehr, aber ich hatte den Eindruck, daß die Musik bei allen Leuten, die ich kannte, einen viel zentraleren Platz im Leben eingenommen hat. Heute ist die Verpackung scheinbar wichtiger als die Musik. Man verkauft gut verpackte Ware. Das

kann Spaß machen, aber ich mag’s nicht, wenn unter der Verpackung keine Siibstunz mehr ist. „

Dann ist aber ZTT (das Label von Produzent Trevor Hörn) ein etwas seltsamer Ableger von Island. Ist das nicht der Sieg von Stil über Substanz?

In der Konversation entsteht eine beachtliche Pause, während Blackwell trübselig den Kaffeetisch betrachtet.

„Mm, Trevor Hörn und ich hatten darüber einige Diskussionen.“ Offensichtlich war Hörn ursprünglich mit einem Plan für einen Musikverlag zu Blackwell gekommen. „Er wollte ein Haus mit lauter kleinen Räumen bauen, jeden Raum mit einem Kevboard und einem Cassettenrecorder ausstatten und eine Gruppe disziplinierter Komponisten in diesen Zimmern von zehn bis sechs Uhr beschäftigen. Ich sagte ,Hey, das klingt ja nach Molown!‘ und genau deshalb fand ich diese Idee auch so reizvoll.

Ich antwortete ihm: ,Okay, wenn du als Produzent ein derartiges Modell realisieren kannst, dann solltest du auch ein Label haben, dus das Material adäquat umsetzen kann.‘ Naja, so hat das wohl nicht geklappt.

Ich dachte, wir würden von langfristigen Beziehungen zu Komponisten und Künstlern reden, aber es stellte sich heraus, daß alles nur aus Marketing, Videos und Schlagworten bestand. Wobei das Marketing die eigenen Künstler in die Pfanne haute! ZTF-Sprecher gaben Interviews, in denen sie erzählten, wie toll das Marketing sei, während die Bands doch nur austauschbare Flaschen seien. Diese Methode fand ich total destruktiv.

Bis jetzt hat ZTT mit jedem ihrer Künstler nw eine einzige Platte zustande gebracht: Propaganda — nach einer verschwunden: Art OfNoise — nach einer verschwunden: Frankie Goes To Hollywood — eine und dann nach einem unglaublichen Streit eine zweite. Sie war in Deutschland erfolgreich, hatte aber längst nicht die kreative Kraft wie die erste. Es ist keine besonders tolle Platte, sie hat unglaublich viel Geld gekostet und ist trotzdem noch ein künstliches Produkt.

ZTT wird eine Menge Hits brauchen, wenn sie dieses Wegwerf-System überleben wollen. Ich verstehe diese Mentalität nicht. Im Endeffekt ist das doch alles viel zuviel Arbeit, weil man immer wieder von vorne anfangen muß. „

Aber nichts hält ewig, wie loyal eine Beziehung auch immer aussehen mag. Steve Winwood, der einen Großteil seines Erfolges Blackwell verdankt, hat Island gerade verlassen, nach 23 Jahren. Er hat bei Virgin Amerika einen 12 Millionen Dollar-Vertrag über drei Alben abgeschlossen. Im Vertrag enthalten sind fünf Millionen Vorschuß.

„Wir waren einfach nicht in der Lage, so ein Angebot zu überbieten“, kommentiert Blackwell. „Mir tut es leid, daß er geht, aber ich bin froh, daß er seine Zukunfi sichern konnte. Er kommt jetzt in die 40er, seine Karriere hat ihren Höhepunkt erreicht.

Er blickt nicht zurück und sagt: ,Die Spencer Davis Group war das Highlight.‘ Wogegen die meisten seiner Kollegen aus den U)ern vollkommen von der Bildfläche verschwunden sind.“

Blackwells Beziehung zu Winwood war ungewöhnlich und erstaunlich tolerant. Jahrelang hatte Winwood gar keine Musik anzubieten, dann war sein Output auf Versuche mit afrikanischen, lateinamerikanischen oder vom Popmainstream noch entfernteren Stilen beschränkt. Island war immer geduldig.

„Naja“, widerspricht Blackwell, „als er nach drei Jahren Arbeil an BACK IN THE HIGH LIFE immer noch nicht fertig war, hab ich ihm schon empfohlen, sich einen Produzenten zu nehmen.“

Island hat auch Musiker unterstutzt, die nie nennenswerte Hits verbuchen konnten. Wie zum Beispiel John Martyn, den großen schottischen Sänger/Songwriter. Noch immer sind sämtliche Platten von Martyn erhältlich — und sie verkaufen sich. Zwar langsam, aber stetig.

Wie lange kann Blackwell einen Musiker tolerieren, dessen Platten sich nicht spektakulär verkaufen?

„Im Prinzip — fiir immer. Das hängt alles von den Kosten ab. Wenn sie l(X)tXX) Dollar wollen, um eine Platte zu machen, die sich dann nur 20(KK)mal verkauft, würde ich sie nur eine sehr kurze Zeit lang tolerieren. Wenn sich aber die Kosten mit dem potentiellen Verkauf im Gleichgewicht hallen, dann können wir unbegrenzt weitermachen.“

Heißt das, daß Island schon immer langfristige Planungen bevorzugt hat?

„Nein. (Lächelt.) Ich glaube, meine Grundphilosophie ist, sich lieber langsam an den Erfolg herunzurobben, als ihn auf einmal in den Schoß gelegt zu bekommen. Im Idealfall, finde ich, sollte man sich ständig vorwärtsentwickeln bis, sagen wir, fiinf Minuten vor deinem Tod.“

Balckwell besteht darauf, keine Traume vom großen Unternehmer oder Vinyl-Imperium gehabt zu haben, als er noch in der Portobello Raod Singles verkaufte. „Ich hab diese Zeit geliebt. Platten aus meinem Auto zu verkaufen. Ich hab nie gedacht: ,Das muß ich jetzt noch drei Jahre lang machen, um die nächste Stufe zu erklimmen.‘ Ich hab halt ein paarmal Glück gehabt. Ich habe Millie mitgebracht, weil ich dachte, sie könnte einen Hit landen. Ich habe nie gedacht:, Wenn sie einen Hit landet, dann bin ich im Popbusiness.‘ Aber ihr Erfolg machte aus dem fliegenden Plattenhändler einen Manager. Und dann führte eine Sache zur nächsten. Ich hatte nie einen Plan. „

„Manchmal werde ich wahnsin nig, wenn die Flauen nichl meiner Vorstellung entsprechen.“

Blackwell fragt mich, was ich von New Age Music halte, und grinst voll Einverständnis, als ich den Daumen nach unten drehe. Island investiert statt dessen in Jazz und belebt das schlafende Antilles Label wieder. Jean Pierre Weiller, der französische Bassist, ist der Island-Beauftragte in Sachen Jazz. Er hat nun den finanziellen Background, um in „völliger kreativer Freiheit“ die Künstler unter Vertrag zu nehmen, an die er glaubt.

Unter den Musikern, die bis jetzt bei Antilles versammelt sind, befinden sich der brasilianische Percussionist Nana Vasconcelos, der indianische Saxophonist Jim Pepper, der farbige britische Jazzer Courtney Pine (dessen Debüt-Album JOURNEY TO THE URGE bereits in die Top 30 der britischen Pop-LP-Charts eingestiegen ist) und der moderne „klassische“ Komponist Samuel Zyman. Weiller, der inzwischen zu uns gestoßen ist. spielt mir Zymans „Sonate für Piano und Violine“ vor. Ein musikalisches Erlebnis, aber Welten entfernt von „I Shot the Sheriff“. Wenn Island das Ziel, von U2s THE JOSHUA TREE zehn Millionen Stück zu verkaufen, erreicht, dann wird’s Geld für unzählige Sonaten geben.

Trotzdem tauchen am Horizont noch mehr schlechte Neuigkeiten auf: Robert Palmer wird im September sein letztes Album für Island abliefern und dann weggehen. Die in jüngster Zeit unter Vertrag genommenen Künstler wie die Long Ryders. Julian Cope oder The Christians werden diese Lücke wohl kaum füllen können.

Im Zweifelsfalle heißt es back to the roots. Blackwell verlegt sich wieder verstärkt auf den Reggae. „Zweifelsohne ist Reggae nach Marleys Tod den Bach runtergegangen. Er ist wieder zur Schlagermusik verkommen. Die jüngsten Hits waren alle nett, amüsant und schnell vergessen. „

Island hat beschlossen, sich an Marleys wahre Erben zu halten. Man plant, 1987 Marleys alten Partner Bunny Wailer heftig zu pushen („er ist jetzt der ernsthafteste Musiker weit und breit“); außerdem ist eine Platte von Bobs Sohn Ziggy Marley in Vorbereitung. „Ziggy wollte schon seit Jahren zu mir kommen, aber seine Band (The Melody Makers) war bisher an die EMI gebunden. „

Für Ziggy Marley wird Blackwell wieder in seine Produzentenschuhe steigen. „Ich bin hin- und hergerissen von dem Wunsch, Platten zu produzieren. Irgendwie überlaß ich das lieber den Profis; aber manchmal habe ich eine ganz genaue Vorstellung davon, wie ein Künstler klingen sollte, und dann werde ich schier wahnsinnig, wenn die Platten nicht meiner Vorstellung entsprechen. Also werde ich in Ziggys Fall im Studio sein, weil ich seine Musik nicht per Femsteuerung auf den Punkt bringen kann. „

Fernsteuerung… eine gute Beschreibung für Blackwells Arbeitsweise. Er ist ein Mann, der nirgends zu Hause ist, dessen Leben aus einer Kette von Hotelzimmern besteht. Er verbringt mehr Zeit unterwegs zu Geschäftstreffen als seine Künstler, wenn sie auf Tour sind. Ihm gehört eine Hotel-Suite in New York, in L.A. hat er eine gemietet, aber sehen tut er beide nur selten; er pendelt zwischen London, Kingston und Nassau. Ihn in Cannes (bei der MIDEM) live zu erleben, ist für die meisten anderen Musikbusinesshäuptlinge ein Ereignis. Die meisten kannten ihn nur vom Telefon.

Der französische Regisseur Jean Paul Goude, der Mann, der Grace Jones‘ Image entworfen hat, hat Chris Blackwell als einen „Kunstpapst“ bezeichnet.

Die Beschreibung läßt Blackwell erschaudern; obwohl er in Jamaika aufgewachsen ist, hat er die englische Abneigung gegen vulgäre Übertreibungen. „Kunstpapst???… Oh Gott, nein. Ich bin eher ein altmodischer Promoter. Du siehst etwas, was du gut findest und schaust, ob du nicht den Rest der Welt dafiir begeistern kannst.“

Am Ende des Raumes klingelt das Telefon. The world is calling…