Der wahre Horror: „Der weiße Hai“ von Steven Spielberg
Mit „Der weiße Hai“ gelang Steven Spielberg nicht nur der Durchbruch, er schuf auch einen Klassiker des Gruselfilms und die Blaupause für kommende Hollywood-Blockbuster. Doch die Dreharbeiten stellten die Crew vor eine Zerreißprobe. Der Regisseur erwog sogar, sich eine Treppe hinunterzustürzen, um sich arbeitsunfähig melden zu können.
Bevor die Dreharbeiten zu „Der weiße Hai“ beginnen sollten, wollte der Regisseur Steven Spielberg seinen Kumpels George Lucas, Martin Scorsese und John Milius schnell noch stolz eines der imposanten Hai-Modelle vorführen, das seine Special-Effects-Tüftler in wochenlanger Arbeit gebaut hatten: Ein siebeneinhalb Meter langes Maschinen-Monster, das auf Knopfdruck seinen gewaltigen Kiefer aufreißen konnte, um seine riesigen Reißzähne zu zeigen, auf dass den Zuschauern angst und bange werde.
Spielberg hatte das Modell „Bruce“ getauft – so hieß sein Anwalt. Lucas begutachtete das Monstrum und blätterte beeindruckt in den Storyboard-Zeichnungen: „Wenn du bloß die Hälfte dieser Szenen mit diesem Ding in den Kasten bekommst“, sagte er zu Spielberg, „wirst du den größten Kinohit aller Zeiten landen.“ Doch als Lucas dann aus Spaß seinen Kopf in den Hai-Schlund steckte und Scorsese, der Scherzkeks, die Kieferautomatik betätigte, wollte das Biest seine Beute nicht mehr freigeben: Lucas steckte zappelnd fest, Spielberg und Scorsese hantierten panisch am eisernen Maul herum, das schließlich auseinanderbrach.
Spielberg, der zuvor mit seinem ersten Spielfilm, dem Lastwagen-Thriller „Duell“ (1971), einen ersten kleinen Hit hatte, überlegte im Anschluss nervös, was wohl die beste Wahl für sein nächstes Projekt sein könnte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Universal-Studios für die damals unglaubliche Summe von 175.000 Dollar die Filmrechte an dem Roman „Jaws“ des amerikanischen Schriftstellers Peter Benchley erworben – ein Riesenhit, der 44 Wochen lang in den amerikanischen Bestsellerlisten stehen sollte.
Die Handlung: Ein kleiner Badeort auf Long Island, an dessen Strand sich hübsche Touristen tummeln, wird von einem bestialischen weißen Hai heimgesucht, der Bikini-Mädchen und Beach-Boys auffrisst, bis eine kleine Gruppe mutiger Einwohner sich zusammenschließt, um den Riesenhai zu erlegen.
Das könnte doch der ideale Stoff für mich sein, dachte Spielberg und sprach bei den Universal-Bossen vor, die ihn nach kurzer Bedenkzeit tatsächlich zum Regisseur des Films ernannten – und damit fing das Chaos an. Die Studio-Chefs träumten von einem Film mit vielen Stars und hatten bereits Kontakt zum legendären Charlton Heston aufgenommen, den sie unbedingt mit an Bord haben wollten. Spielberg aber schwebte ein Film mit unbekannten Darstellern vor, weil diese die Geschichte für die Zuschauer noch unheimlicher machen würden: Der Hai würde nicht über berühmte Hollywood-Gesichter herfallen, sondern über ganz normale Menschen wie die Zuschauer selbst. Außerdem wollte er nicht in einem sicheren Studiobecken drehen, sondern auf dem Meer, was seinen Arbeitgebern ebenfalls nicht sonderlich zusagte, weil es die Kosten in die Höhe treiben würde. Nach heftigen Streits mit seinen Produzenten konnte Spielberg sich trotzdem durchsetzen.
DESASTER BEI DEN DREHARBEITEN
Dann aber begannen nervenaufreibende Dreharbeiten, von denen Spielberg heute sagt, dass er sie so schlimm später nie wieder erlebt habe. Drei Hai-Modelle im Wert von jeweils 250.000 Dollar wurden gebaut, aber nie darauf getestet, ob sie auch im Wasser funktionieren würden. Woraufhin eines der sündteuren Exemplare gleich am ersten Drehtag Richtung Meeresgrund verschwand. Die anderen beiden Hai-Puppen wiederum gingen ständig kaputt und sahen auf den ersten Aufnahmen nicht im geringsten furchteinflößend, sondern albern aus.
Und dann zerstritten sich auch noch die Hauptdarsteller – untereinander und mit ihrem Regisseur. Richard Dreyfuss, der den Meeresbiologen Matt Hooper spielt, gab mitten in den Dreharbeiten einer Zeitschrift ein Interview, in dem er verkündete, dieser Fischfilm, den er da gerade drehe, habe die besten Aussichten, der schlechteste des Jahres zu werden.
Spielberg wusste nicht recht, wie ihm geschah, ließ Szenen wieder und wieder drehen und haderte mit seinem eigenen Regiekonzept. Ursprünglich waren für „Der weiße Hai“ 55 Drehtage veranschlagt worden. Es wurden schließlich 159, und Spielberg überzog das Budget um über 300 Prozent auf über 10 Millionen Dollar – in den Siebzigern noch eine aberwitzige Summe für einen Unterhaltungsfilm. Spielberg war so verzweifelt, dass er überlegte, sich eine Treppe hinunterzustürzen, um sich arbeitsunfähig erklären lassen zu können. Erstim Nachhinein, im Schneideraum, erwies sich das ganze Desaster als Glücksfall, weil er die Stilmittel, die den „Hai“ so beklemmend machen, gerade aus jener Not heraus erfand. Dazu gehört in allererster Linie sein Einfall, die Geschichte auch aus der Perspektive des Hais zu erzählen, mit spektakulären Kamera-Aufnahmen unter Wasser und klaustrophobischen Handkamera-Aufnahmen direkt an der Wasseroberfläche. Das hatte den Effekt, dass der Hai zwar präsent war, aber nicht gezeigt werden musste – und die Zuschauer ihn sich in ihrer Fantasie viel grausiger vorstellten, als jedes Modell es jemals hätte sein können.
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