Der wahre Horror: „Der weiße Hai“ von Steven Spielberg
Mit „Der weiße Hai“ gelang Steven Spielberg nicht nur der Durchbruch, er schuf auch einen Klassiker des Gruselfilms und die Blaupause für kommende Hollywood-Blockbuster. Doch die Dreharbeiten stellten die Crew vor eine Zerreißprobe. Der Regisseur erwog sogar, sich eine Treppe hinunterzustürzen, um sich arbeitsunfähig melden zu können.
Dass aus dem Film ein Erfolg werden würde, war Spielberg aber immer noch nicht klar. Erst als bei einer Testvorführung ein Zuschauer entsetzt aus dem Kino rannte und sich im Foyer übergeben musste, wusste er: Das Ding ist ein richtig guter Horrorfilm geworden.
Als „Der weiße Hai“ dann im Sommer 1975 offiziell ins Kino kam, erwies er sich aber nicht einfach nur als guter Horrorfilm, sondern als ein Werk, das im Alleingang die komplette Kinobranche durcheinanderwirbelte, und zwar weltweit. Dies war der erste Film, für den massenhaft Fernseh-Spots geschaltet wurden und der in Amerika landesweit in Hunderten Kinos gleichzeitig gestartet wurde. Das klingt heute selbstverständlich, war damals aber vollkommen unüblich – und sollte sich für künftige Filmprojekte ähnlicher Art als ökonomischer Masterplan entpuppen. Innerhalb von nur 78 Tagen wurde „Der weiße Hai“ zum bis dahin kommerziell erfolgreichsten Film aller Zeiten. Der Blockbuster war erfunden, der mit hohem Aufwand und teuren Marketing-Kampagnen die Straßen leer fegt und die Zuschauer aggressiv ins Kino lockt.
DIE ERFINDUNG DES BLOCKBUSTERS
Dass diese Entwicklung, die Spielberg mit seinem Hai lostrat und die Hollywood bis heute prägt, nicht nur positive Folgen hatte, zeigte sich aber ebenfalls bald. Denn Blockbuster trieben ab 1975 die Kosten für Marketing und Verleih dermaßen in die Höhe, dass eine gefährliche Preisspirale immer abstrusere Filmbudgets forderte. Und weil die Kosten so immens stiegen, sank gleichzeitig die Risikobereitschaft der amerikanischen Filmstudios: Wenn sie schon so viel Geld investierten, dann wollten sie ihr Produkt auch möglichst nah am Mainstream halten, um kein potenzielles Publikum zu verprellen.
Peter Bogdanovich, einer der Star-Regisseure des New Hollywood, dem auch Spielberg kurzzeitig zugerechnet wurde, erzählte später: „‚Der weiße Hai‘ war das Todesurteil für kleine, künstlerische Filme. Die Studios vergaßen, wie man so was macht. Sie verloren das Interesse daran.“
Aber nicht nur die Filmproduzenten hatten nach „Der weiße Hai“ einen Höhenflug, auch Spielberg stieg der Erfolg zu Kopf. Er war sich so sicher, dass er für dieses Meisterstück eine Oscar-Nominierung als bester Regisseur bekommen würde, dass er extra ein Fernsehteam zu sich ins Büro einlud, um ihn beim glücklichen Empfang der glamourösen Nachricht zu filmen. Nur gab es dann leider gar keine Nominierung für den armen Steven.
Dafür begann nun seine Karriere als der raffinierteste Traumverkäufer, den das Kino jemals gesehen hat. Keinem anderen Regisseur gelang der ewige Spagat des Filmemachers zwischen Wirtschaftlichkeit und persönlichen Ambitionen so elegant wie Spielberg nach dessen Lehrzeit mit „Der weiße Hai“. „E.T.“, „Indiana Jones“, „Jurassic Park“: alles weitere Kapitel in seiner großen Blockbuster-Bibel, die seine Konkurrenten gierig studierten. Steven Spielberg ist der Mann, dem mit seinen Filmen die endgültige Auflösung der Grenze zwischen Realität und Traumblick gelungen ist und der gleichzeitig das Kino als Werbespot für seine eigene Warenwelt erfunden hat. Die perfekte Harmonie von Kunst und Kommerz.