Der Widerspenstigen Lähmung
Vorhang auf zum zweiten Akt: Mit dem Nachfolger zu „Nevermind" haben Nirvana nicht nur Ruf und Status, sondern auch die eigenen An- sprüche zu verteidigen. Die Helden aus dem Untergrund auf ihrer abenteuerlichen Odyssee zwischen Kunst und Kommerz: Schon das Vor- spiel zu „In Utero" wäre fast zur Tragödie geworden.
«DIE WIDERSACHER
COURTNEYLOVE
Sängerin, Ehefrau und Mutter: Cobains Angetraute sorgt regelmäßig für Verwirrung im Nirvana-Lager. Kurts Mitmusiker noch vor der Hochzeit:
„Die will sich doch nur wichtig machen.“
STEVE ALBINI
Untergrund-Produzent mit strenger Ideologie. Verbrachte zwei Wochen mit Nirvana im Studio und prahlte hinterher: „Diese Platte wird von Geffen niemals veröffentlicht werden.“
DAVID GEFFEN
Plattenf irmenboß: freut sich an 9,5 Millionen verkauften „Nevermind“-Exemplare, doch Kunst ist ihm angeblich wichtiger als das Konto: „Wir veröffentlichen, was immer Nirvana uns liefert.“
Die Vorgeschichte: Im September 1991 veröffentlicht ein in Untergrundkreisen semi-bekanntes Trio aus Aberdeen/Washington seine erste Platte „Nevermind“ beim amerikanischen Tonträgerriesen Geffen Records. Drei Monate später sind Kurt Cobain. Krist Novoselic und Dave Grohl Popstars. Vier Monate spater heiratet Kurt Cobain Hole-Sängerin Courtney Love. Das Drama nimmt seinen Lauf…
Liebe, Macht und Reichtum, das ist der Stoff, aus dem Tragödien sind. „Tragische Helden“ kämpfen mit „tragischen Konflikten“ und im klassischen Fall gehen sie dabei hops, um, wie das Lexikon so schön sagt, „die ewige Gerechtigkeit wiederherzustellen“. Fairerweise bekommen sie vorher nochmal Gelegenheit, „ihre Charaktergröße zu beweisen“.
Charaktergröße ist kein besonders populärer Begriff, wenn es darum geht, Platten zu verkaufen. Seit unsere Helden aus dem Untergrund an die Oberfläche geschwappt sind, wie muntere Fische ans Trockene, seit sie versuchen, die Glaubhaftigkeit ihrer Fetzenjeans gegen weltweit 9,5 Millionen verkaufter „Nevermind“-CDs zu verteidigen, warten Medien. Fans und Plattenfirma auf den zweiten Akt im Nirvana-Drama.
Im Jahre zwei nach „Nevermind“ summt man „Smells Like Teen Spirif“ schließlich schon mit einem sentimentalen Zug um den Mund. Berichte und Analysen der verklärten Heldensaga vom Alternativ-Trio gegen den Rest der kommerziellen Welt bekommen den seltsamen Klang von Veteranen-Berichten, Marke .Ich war auch dabei‘:
“ Wir haben damals ein Vorab-Tape von Geffen bekommen. Ich weiß noch, wie wir im Tour-Bus ,Smells Like Teen Spirit‘ immer und immer wieder zurückspulten. Es war großartig, „prahlte der Schlagzeuger der englischen Band Teenage Fanclub unlängst im britischen „Select“.
Mit Nirvana 1992 auf Tour in England waren Teenage Fanclub eine der vielen Bands, die im Gefolge des Seattle-Trios ihren Mini-Hype erfahren haben — welcher sie natürlich keinen Schritt weitergebracht hat. Denn das seltsame Wunder, daß sich ein Produkt aus dem alternativen Rockbereich ohne große PR-Aktivitäten und vorab geschürte Hysterie fast von selbst zum Mega-Seller entwickelt, läßt sich logischerweise nicht wiederholen.
Wahre Enthusiasten, wie etwa Thurston Moore von Sonic Youth (auf dessen heftiges Betreiben Nirvana 1991 zu deren Label-Kollegen bei Geffen wurden) sind außerdem immer noch überzeugt, daß „Nevermind“ kein Zufallstreffer, sondern ein ausgesprochen gutes Album ist: ^Nevermind ‚ ist ein Klassiker. Ich kann das A lbum zwar im Moment nicht mehr hören, aber wenn sie zufällig was daraus im Radio oder auf MTV spielen, vermittelt die Musik immer noch dasselbe Gefühl schlichter Schönheit. “ ¿
Das Warten auf die „neuen Nirvana“ war also vergeblich, es mußte was Neues von Nirvana her. Eine klassische Situation: Das zweite Album nach dem großen Durchbruch hat schon so manchem Jungstar schlaflose Nächte bereitet. „Du mußt verkaufen“, zischt die Plattenfirma im Traum, „Bitte enttäusch uns nicht“, winseln die Fans, und im Hintergrund schmettert das Hohngelächter neidvoller Kollegen: „Ausverkauf! Ausverkauf!“ In besonderen Härtefällen wird der zerrissene Künstler außerdem noch von seinen eigenen Ansprüchen geplagt.
Als Nirvana im August 1992 erstmals vermeldeten, die Arbeit an einem neuen Studioalbum aufzunehmen, konnte Kurt Cobain zumindest seine Ansprüche eindeutig formulieren. Im englischen „New Musical Express“ verkündete er:
„.Nevermind‘ war zu glatt und zu soft. Mit dem neuen Album werden wir wahrscheinlich die Hälfte unseres Publikums wieder verlieren, denn es wird auf gar keinen Fall so zugänglich sein wie .Nevermind‘.“
Ein Spruch, der wohl so ziemlich jedem in der oberen Etage einer großen Platienfirma die Lust auf seine Sekretärin verdirbt. Und der seither ein wildes Gerücht nach dem anderen über die Qualität des neuen Nirvana-Materials entstehen ließ. Da gab es zu lesen, daß Nirvana eine absolut unhörbare Punkplatte produzieren würden, daß Nirvana ein Album ohne einen einzigen Refrain machen würde, daß Geffen das neue Album kurzum abgelehnt hätte, oder, noch besser, nach dem Hören der fertigen Bänder meinte: „Gute Demos, wann können wir denn mit dem Album rechnen?“
Daß Kurt Cobain mit seinem angekündigten Stilbruch ernst machen würde, war schließlich schon an der Wahl des Produzenten zu erahnen. Steve Albini, bekannt für puristische Untergrundklänge von Pixies bis Urge Overkill, war mit Nirvana zwei Wochen in Minnesota im Studio zugange, und er war es schließlich, der die letzte Würze in die Gerüchteküche streute:
„Ich glaube nicht, daß dieses Album veröffentlicht wird. Das ist kein Album für Weicheier“, verkündete er vollmundig in der amerikanischen Tageszeitung Chicago Tribüne.
Ein gefundenes Fressen für Amerikas Medienlandschaft. Als krönender Höhepunkt der Spekulationen erschien am 17. Mai ein ganzseitiger Artikel im US-Nachrichten-Magazin „Newsweek“ zum Thema Nirvana, in dem eine ungenannte Quelle aus dem Umfeld der Band die schlimmsten Befürchtungen bestätigte: „Nicht einer in Management oder Plattenfirma der Band glaubt, daß die neue Platte ein Erfolg werden könnte. Beide haben sie abgelehnt.“
Der offizielle Stand zur damaligen Zeit laut Pressemitteilung von Gold Mountain, dem Nirvana-Management: „Die Band denkt im Moment über ein paar zusätzliche Aufnahmen nach, und ist sich noch nicht ganz sicher über die endgültige Zusammenstellung der Songs. „
Kombinationsbegabte Zweifler vermuteten hinter dieser Aussage sofort die fade Kompromißbereitschaft der Band. Und auch dazu hatte die Newsweek-Quelle kleine Bösartigkeiten zu vermelden: „Kurt gibt sich gerne als aufrührerischer, zorniger Punk, aber gegen ein paar Millionen mehr auf dem Konto hat er auch nichts.“
Nirvana als Nachricht in Newsweek, allein daran läßt sich schon ermessen, daß es sich bei dieser Angelegenheit nicht mehr um eine unterhaltsame Meldung aus der tumben Welt der Popmusik handelte, sondern um ein Politikum größeren Ausmaßes. Wohl informierte US-Feuilltonisten erinnerten sich in diesem Zusammenhang natürlich gerne daran, daß Geffen 1983 Neil Young verklagte, weil er ein „völlig untypisches“ Album abgeliefert hatte, und daß auch Aerosmith mit ihrer ersten Version des letzten Albums „Get A Grip“ zum Nachsitzen wieder ins Studio geschickt worden war.
Geffen sah sich gezwungen zu reagieren. Herr David Geffen höchstpersönlich soll in dieser dringendsten Angelegenheit zum Telefonhörer gegriffen haben, um bei Newsweek seinen Unmut loszuwerden. Nirvana nahm in einem Leserbrief Stellung, in der Branchenbibel „Billboard“ wurde dessen Text gar als ganzseitige Anzeige geschaltet. jNewsweek-Journalistj Jeff dies hat einen Artikel über unsere Band, Nirvana, geschrieben, der weder mit unseren Ansichten übereinstimmt, noch sich auf irgendwelche Informationen unserer Vertreter stützt… dies hat unser Verhältnis zu unserer Plattenfirma aufgrund völlig falscher Informationen lächerlich gemacht. Geffen Records hat uns bei der Produktion dieser Platte in jeder Hinsicht unterstützt. Wir hoffen, daß in Zukunft die Informationen, die wir herausgeben, beim Wort genommen werden und Gerüchte Gerüchte bleiben. „
Der Rest der Medienwelt wurde in einem gemeinsamen Rundbrief von Geffen und Nirvana aufgeklärt. Der Tatsache wohl bewußt, daß jede Art der Rechtfertigung ein halbes Schuldgeständnis ist, schickte Geffen-Präsident Ed Rosenblatt einer im Mai veröffentlichten Presseerklärung voraus: „Obwohl es generell nicht die Politik unserer Firma ist, auf Gerüchte zu reagieren, sehen wir uns doch dazu gezwungen, da die derzeitige Situation in Sachen Nirvana vollkommen außer Kontrolle geraten ist. Wir werden veröffentlichen, was Nirvana uns liefert. Und wehren uns vehement gegen Gerüchte, die unterstellen, daß wir die Kreativität von Nirvana in irgendeiner Weise eingeschränkt hätten. „
Da die Aussagen großer Firmenpräsidenten generell eher ungeeignet sind, Punk-Philosophien zu verteidigen, lieferte im selben Schrieb vor allen Dingen Kurt Cobain längst fäl- ¿
lige Erklärungen ab: „Wir haben in den zwei Wochen mit Albini in Minnesota einige der besten Stücke aufgenommen, die wir jemals gemacht haben, und die meisten Mixes sind perfekt. Steve hat sich jedoch nicht viel-Zeit zum Mischen genommen, der Gesang ist auf einigen Tracks zu leise. Wir wollen das noch andern. „
Und auch für Albini persönlich, der seil seiner Aussage im Chicago Tribüne jeden weiteren Kommentar verweigert hatte, hatte Cobain noch ein paar deutliche Worte übrig: „Steves ganze Karriere baut letztlich darauf auf, lautstark gegen das .Rock-Establishment‘ zu wettern. Aberfar oder gegen Kommerz zu sein, hat nichts damit zu tun, einegute Platte zu machen. Dazu braucht es gute Songs. Und solange wir unsere Songs nicht so aufgenommen haben, wie wir sie hören wollen, werden wir diese Platte nicht veröffentlichen. „
Und so wechselten die Spekulanten die Fronten. Albini, so sprach sich schnell herum, sei schließlich dafür berüchtigt, Bands des Ausverkaufs und der Korruption zu bezichtigen. Auch für seine ehemaligen Freunde von Urge Overkill hat er heute keine netten Worte mehr übrig, seit sie ihren Major-Vertrag bei Geffen unterzeichnet haben. Es sei schließlich nicht lustig, so Albini über seine früheren Studienkollegen aus Chicago im amerikanischen Musikmagazin“.Request“, wenn „sich gute Freunde in einen Haufen Scheiße verwandeln „.
Im Hause Geffen reagiert man auf Albinis Polemik mittlerweile gelassen:
..Der fühlt sich doch nur gut, wenn jeder denkt, die böse, böse Plattenfirma hätte seine ach so kompromißlose Produktion abgelehnt.“
Letztendlich behilflich bei der Fertigstellung des Corpus Delicti mit dem Titel „In Utero“ (erscheint am 13. September) war schließlich nicht wie auch schon irrtümlich vermeldet „Nevermind“-Mixer Andy Wallace, der angeblich auch das neue Nirvana-Album rundum schon frisieren sollte, sondern der RE.M.-erfahrene Scott Litt. Doch auch er durfte nur Hand an die Single „Heart Shaped Box“ gelegt, ansonsten ist „In Utero“ letztendlich in Albinis Urform belassen worden.
Und spätestens wenn die Welt den klingenden Zankapfel denn endlich hören darf, wird das Vorspiel endgültig zur Schmierenkomödie. Das neue Nirvana-Werk ist nämlich alles andere als kompromißbereit. Sieht man von ein paar allzu offensichtlichen „Nevermind“-Anklängen ab, die man allenfalls als Selbstparodie durchgehen lassen könnte, ist „In Utero“ sicher alles andere als die Wunschplatte der Geffen-Chefetage. Sondern ein bösartig zynisch, funos lärmendes Werk.das die Nirvana-lypischen Elemente aufs Beste pervertiert.
Ob sich solche Radikalität auch noch verkaufen läßt, wird die weiterhin prominente Frage sein. Doch es gab schließlich auch eine Zeit, in der niemand „Nevermind“ eine Millionenzukunft prophezeit hätte. Vielleicht machen die mittlerweile für den musikalischen Untergrund sensiblisierten Kids, die heute schon die Suicidal Tendencies, Annihilator oder Biohazard in die Charts hieven, auch diese Bewegung mit.
Doch das Drama geht weiter — Kurt Cobain kämpft mittlerweile wieder an anderer Front. Die letzte NirvanaSchreckensmeldung: Cobain verbrachte drei Stunden im Gefängnis von Seattle, weil er seine Frau Courtney Love im Streit geschlagen haben soll. Die weiß von nichts und flötet in Reportermikrophone: „Wir schlagen uns nie.
Es gibt keinen besseren Ehemann als Kurt. Wir sind das perfekteste Paar der Welt. Ich habe die ganzen drei Stunden, die er im Gefängnis saß, mir geweint. Es war die Hölle.“
Vielleicht hat Frau Cobain auch in Zukunft nicht viel zu lachen. Untergrund-Fachmann Thurston Moore, der natürlich früh in die Sound-Geheimnisse des neuen Nirvana-Albums eingeweiht wurde, hat sein Urteil schon gefällt: „Die neue Plane ist überwältigend gut. Sie haben gemacht, was sie wollten. Wer das nicht mag, soll’s bleiben lassen.“
Und wenn der kommerzielle Erfolg diesmal ausbleiben sollte, so Moore, kann das sowieso nicht an Nirvana liegen. Denn: „Schuld ist immer nur Courtnev. „