Der Zen-Meister
Kunst versteht DJ Krush als spirituelle Suche. Auf Tour gewährte der bedeutende Turntable-Artist und HipHop-Produzent dem ME Einblicke in seine Plattenkiste.
Wer zu DJ Krush, einem der bedeutendsten HipHop-DJs und Produzenten der Welt, mehr als „Hello“ sagen will, sollte einen Übersetzer mitbringen. Obwohl der Japaner in den letzten zehn Jahren dank seines außerordentlichen Rufs mit Koryphäen wie The Roots, Gang Starr, DJ Shadow, dem Avantgarde-Künstler Bill Laswell, Ronnie Jordan und sogar kd lang gearbeitet hat, überfordert ihn bereits einfachster Smalltalk. Es kommt erschwerend hinzu, dass er kein Mann der vielen Worte ist. Höfliche Komplimente über seine außergewöhnlichen Konzerte oder Platten rufen stets die gleiche Reaktion hervor: Sobald alles übersetzt ist, deutet der Meisterproduzent eine Verbeugung an und dankt wortlos, in dem er die Faust vor der Brust in die offene Hand legt. Mehr noch als DJ Spooky ist Krush ein ernsthafter und besonnener Künstler. Am kommerziellen Chart-HipHop hat er kein Interesse, er wechselt bei seinen Live-Shows vielmehr mit der Ruhe und Präzision eines Zen-Meisters zwischen gewichtigen, Sample-reichen Underground-HipHop-Beats, Jazz und handgemachten Soundkollagen, die moderner Kunst von höchster Abstraktion gleichkommen. Dass er der Urvater des HipHop in Japan ist, interessiert dort heute kaum mehr jemanden. Während sich die Jugend in seiner Heimat inzwischen in Solarien einen afro-amerikanischen Taint zulegen will, um die US-HipHop-Stars zu imitieren, füllen sich in Europa bei Krushs Audienzen jährlich größere Hallen. Electronica-Liebhaber und HipHop-Kids kommen zwar meist zum Tanzen, vergessen aber nicht selten nach einigen Minuten alles und sich selbst, um mit offenem Mund einen inzwischen leicht grauhaarigen Mann zu bestaunen, der seine langen, dünnen Finger mit der Feinmotorik eines Violinisten über das Vinyl gleiten lässt.
In einem Cafe in München lässt sich Krush vor dem Auftritt seinen Koffer bringen, um dem Musikexpress auf einem tragbaren roten Plastikplattenspieler einige seiner Lieblings-LPs vorzuspielen. „Hip… Hop?“, fragt ihn unsere japanische Übersetzerin, eine klassisch ausgebildete Pianistin. Da lacht Krush schüchtern, ohne die Augen von der Tischplatte zu heben.
„Populäre Platten? Hab ich nicht dabei und will ich auch nicht dabeihaben“, sagt er bestimmt, als er zunächst die Vinyl-Edition seines eigenen neuen Albums „Shinso“ aus der Tasche holt. Nicht um die Musik darauf anzupreisen, sondern um den Holzschnitt auf dem Cover zu erklären. Solche Dinge sind ihm wichtig. Wer würde ihn da unterbrechen?
1 DJ Krush
Shinso – The Message At The Depth
Dieses Bild ist eigentlich viel größer. Der Künstler heisst Igo. Der Stil kommt vom japanischen Kabuki-Theater. Im Menschen gibt es gute und schlechte Geister, und dieser Krieqer tötet die schlechten Geister. Der Drache unten rechts ist der Teufel. Das Stück ist nicht in meinem Besitz, aber der Künstler hat den Holzschnitt extra für mich gemacht. Seit Jahren fertigt er zu jedem Album etwas an, jeweils passend zu den Songs. Von „Shinso“ lege ich „The Blackhole“ und „Toki No Tabiji“ auf. Manchmal noch mehr, je nach Lust und Laune.
2 Miles Davis – Kind Of Blue
Mein Vater hat schon Miles Davis geliebt. Das lief ständig bei uns im Haus. Bevor ich das überhaupt bewusst wahrgenommen habe, war ich schon seiner Musik ausgesetzt. Damals hab ich es nicht verstanden, aber ich denke, dass das enorm wichtig war. So etwas prägt den Geschmack.
3 The Opus – Live
Österreich? Nein. Das sind amerikanische HipHop-Produzenten. Ich mag ihren Klang so gerne. Das ist ein sehr freier Stil. Nicht eingeengt im HipHop. Der Sound ist fantastisch. Als Opus in Tokyo waren, hab ich eine Widmung auf meine Platte bekommen. Ich lege davon ein Stück auf, das total Underground ist. Man kann fast nicht dazu tanzen, höchstens ein bisschen mit dem Kopf nicken. Es ist instrumental und sehr abstrakt.
4 Thelonious Monk – Thelonious Himself
Er beruhigt mich. Die Platte verbreitet eine angenehme Stimmung. Manchmal benutze ich es auch in der Show. Aber normalerweise höre ich mir das alleine im Hotel an, wenn ich müde bin, weil ich bis frühmorgens auflege. Dafür ist mein tragbarer Plattenspieler gut. Der ist eigentlich altmodisch, wird jetzt aber wieder hergestellt, weil er in Japan sehr populär wird. Wenn ich auf Tournee eine Platte geschenkt bekomme, kann ich sie im Hotel gleich anhören.
5 Think Tank – Eat One
Hinter Think Tank verbirgt sich ein guter Freund von mir. Er macht HipHop und kommt aus Tokyo. Er ist ganz und gar verrückt, wirklich. Der Text ist auch total verrückt. Er rappt auf Japanisch.
6 Boss The MC – Delight
Das ist auch sehr japanisch. Ich lege gerne Boss The MC mit „Delight“ auf. Boss hatte auf ZEN einen Gastauftritt, er hat bei „Candle Chant“ gerappt. Das hier ist von einer Compilation, an der er beteiligt war. Verschiedene Musiker haben sich getroffen, um zusammen diesen Sampler mit Techno, House und HipHop aufzunehmen. „Delight“ is tsehr langsamer Techno.
7 Antonio Carlos Jobim – The Composer Of Desafinado Plays …
Das mag ich besonders. Schon möglich, dass nur ich mir das anhören kann. Das ist ein brasilianischer Jazz-Gitarrist. Er hat mit Chet Baker gearbeitet und war von Debussy beeinflusst. Selten lege ich das auch mal auf, aber normalerweise höre ich mir das einfach nur an. Die Platte hab ich in einem Second-Hand-Plattenladen in Tokyo gefunden. Es gibt im Stadteil Shibuya sehr viele gute Läden. Die Amerikaner beschweren sich, dass die Japaner die gebrauchten Platten kaufen und sie in Japan billig weiterverkaufen. Darüber ärgern sie sich. Deshalb kommen in Tokyo auch europäische Musiker vorbei und kaufen da ihre Platten.
8 Miles Davis – Asenceur Pour L’Echafaud
Diesen Soundtrack zu Louis Malles Film „Fahrstuhl zum Schafott“ habe ich immer und überall dabei. Aber ich hab die Hülle verloren. Das ist wie ein Glücksbfinger. Ich benutze davon alles. Die Trompete ist so in den Vordergrund gemischt, dass man sie gut zu anderen Beats verwenden kann. Mich hat die Musik in dem Film sehr fasziniert.