Dexter im Interview: „Im Deutschrap ist vieles festgefahren“
Vom Kinderarzt zu Daddy’s Rap: Caspers und Cros Produzent Dexter im Interview über Doktor- vs. Deutschrapkarriere, Elternschaft, seinen Schlaganfall und ein gutes Leben.
Dexter aus Stuttgart hat mit seinen Produktionen den Sound einer ganzen Deutschrap-Underground-Generation in der vergangenen Dekade geprägt, war aber auch auf Cros RAOP und Caspers XOXO vertreten. Mit YUNG BOOMER erscheint nun ein neues Album des Rappers und Produzenten, der eigentlich Felix Göppel heißt und bis vor wenigen Jahren zusätzlich als Arzt tätig war. Ein Gespräch über Möbelwerbung, Zeitgeist und seinen Schlaganfall.
Musikexpress.de: Als ich neulich durch meine Insta Stories geswipt bin, kam mir eine bezahlte Werbung unter, bei der ich dachte: „Den Typen kenn‘ ich doch”…
Dexter: Meinst Du die Werbung für Freistil Rolf Benz?
Genau die. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit einem Sofa-Hersteller?
Das Unternehmen kommt auch aus Süddeutschland. Und weil man mich hier ein bisschen kennt und sie mich wohl als interessante Person, die zu der Kampagne passen würde, angesehen haben, haben sie ganz klassisch angefragt, ob ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen könne.
Hattest Du keine Bedenken?
Ich war in der Tat erst skeptisch. Als ich mir aber angeschaut habe, was sie sonst so machen, wie sie ihre Produkte bewerben und wie die Kampagne aussehen soll, habe ich mich entschlossen, das mal zu probieren. Die Produkte sind unverfänglich. Bei der Anfrage eines Autoherstellers hätte ich vermutlich „Nein” gesagt. Letztendlich bin ich ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis.
Gutes Design steht ja für viele auch für Lebensqualität. Und damit für ein gutes Leben.
Ich bin nicht der Typ, der eine durchgestylte Wohnung hat. Ein paar Stücke wie beispielsweise Vitra-Stühle finde ich ganz cool. Aber meistens bin ich auch einfach zu geizig und kaufe dann eher Equipment, statt Designermöbel. Mal ganz zu schweigen davon, dass ich mir die meisten Sachen auch gar nicht leisten kann.
Für mich passt diese Werbung auch zu der Piccolo-Flasche Weißwein, die Du Deiner Box beigelegt hast und letztendlich zu Deinem neuen Album YUNG BOOMER. Das hat eine sehr positive Ausstrahlung und man hört der Platte an, dass Du ein gutes Leben führst – in mehrfacher Hinsicht.
Mit der Flasche wollten wir aufgreifen, dass ich mit dem Rapper der Wein trinkt assoziiert werde. Das liegt daran, dass auf dem vorherigen Album HAARE NICE, SOCKEN FLY der Song „Vino“ enthalten ist und mich seitdem ständig Leute verlinken, wenn sie Bilder von sich beim Weintrinken posten. Ich wollte dieses Bild von mir in erster Linie ironisch kommentieren. Was nicht heißen soll, dass ich nicht gerne Wein trinke! Aber ich bin kein Weinkenner. Der Gag passt zum Album, zu Twenty-Somethings, die im Park ihre Flasche Weißwein trinken und natürlich auch zu den Boomern, denen man ja nachsagt es eher ruhig und stilvoll anzugehen.
Der positive Vibe des Albums hat auch sehr viel damit zu tun, dass Du Deinen Umgang mit der Rapszene und Deine Rolle im Leben gefunden zu haben scheinst. Auch und gerade als Vater. War das schwierig für Dich?
Zu akzeptieren, dass man nicht mehr tun und lassen kann was man will und nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich ist, das hat schon eine ganze Weile gedauert. Das geht glaube ich allen Eltern so, vielleicht sogar Vätern mehr als Müttern. Aber ich habe dann auch gemerkt, dass ich alles Vorherige zu Genüge gemacht habe. Es war Zeit für den nächsten Schritt und das was da kam, war natürlich auch sehr erfüllend. Das hat mich entschädigt für das, was jetzt in den Hintergrund gerückt ist oder mir sogar mehr gegeben. Mit der Zeit hat sich ein Alltag eingespielt, jeder in der Familie hat seine Rolle. Die Musik habe ich in den Alltag integriert. Es fehlt mir also an nichts.
Das hört man.
Es geht ja auf dem Album auch darum, dass das Jungsein nicht aufhören muss, wenn man Elternteil wird. Es geht um dieses Zwischen-den-Stühlen-stehen. Alles Zeitgeistige in puncto Inhalte, Beats, Produktionsmittel und so weiter habe ich reingenommen – aber auch meine Jazzer-Mentalität, so will ich es mal nennen, behalten. Ich habe versucht diese beiden Dinge zu verknüpfen und nicht einer dieser Hiphop-Opas zu sein, der nur auf die Jugend schimpft.
Fällt es Dir nicht schwer, noch am Puls der Zeit zu sein?
Eigentlich überhaupt nicht, dafür muss man ja nicht jedes Wochenende in den Club gehen. Meine Musik wird auch von jüngeren Leuten gehört, zu meinen Konzerten kommen 18-Jährige, ich spiele auf den üblichen Festivals, finde also in einem jüngeren Kontext statt. Die jungen Künstler kennen mich vor allem als Produzent, haben früher vielleicht meine Sachen gehört und machen jetzt eigene Musik mit der sie das Spiel vorantreiben. Wenn man ins Gespräch kommt, ist der Respekt auf beiden Seiten immer groß.
Dieser generationsübergreifende Aspekt Deines Albums ist am offensichtlichsten an den Features zu erkennen.
Genau, da verstehe ich mich durchaus auch als Botschafter zwischen der alten und neuen Generation: Leute wie Lakmann und Döll, die für eine klassische Art von Rap stehen und beispielsweise Lugatti & 9ine auf einer Platte zusammen zu bringen. Gerade im Deutschrap ist vieles so festgefahren. Straßenrap, New School, Old School, Boom Bap, Trap – in den USA ist das nicht so, da wird das nicht so ernst gesehen. Ich empfinde es als meine musikalische Mission, Zeitgeist mit meiner organischen, jazzigen Seite zusammen zu bringen.
Hast Du deswegen bei YUNG BOOMER komplett auf Fremdproduktionen verzichtet, um bei der Umsetzung Deiner Vision auch alle Zügel in der Hand zu haben?
Das war nicht von Anfang an so geplant, im Gegenteil, ich konnte mir durchaus vorstellen mit anderen Produzenten zu arbeiten. Es hat sich aber nach ein paar Tracks herausgestellt, dass es auch vom Soundentwurf her alles in eine Richtung geht. Ich hätte trotzdem noch wen dazuholen können, aber es floss alles so aus mir heraus, dass ich für Externe keine Notwendigkeit mehr sah. Die Zügel in der Hand zu halten, ist mir aber sowieso wichtig. Ich mische meine Platten selbst, manchmal mastere ich sie auch. Dass man die Dinge selber macht, hat ja auch noch andere Vorteile, als nur seine Visionen komplett umsetzen zu können. Man muss zum Beispiel nicht darauf warten, dass einem Spuren geschickt werden!
Das Album schließt mit dem Track „Apoplex“ ab, in dem Du Deinen Schlaganfall thematisierst. War der ein Grund, weshalb Du Deine Anstellung als Arzt aufgegeben hast? Um es gewissermaßen „Jetzt oder nie” mit der Musik zu versuchen?
So eine Entscheidung fällt man nicht von heute auf morgen. Dieser Prozess hat bei mir sicher zwei, drei Jahre gedauert. Der Schlaganfall hat diese Entscheidung kürzer zu treten gewiss beschleunigt, auch wenn man herausgefunden hat, dass der Grund dafür angeboren und nicht den Lebensumständen geschuldet war. Meine Anstellung in der Klinik aufzugeben war aber keine gegen den Arztberuf, sondern für Prioritäten – und das war in dem Fall die Musik. Zu dem Zeitpunkt zeichnete sich ab, das es klappen könnte.
Und wenn es nicht geklappt hätte?
Das ist gar keine Frage von Erfolg oder Misserfolg. Ich mag den Arztberuf und ich mag es, Musik zu machen. Für mich ist klar, dass ich irgendwann auch wieder als Arzt tätig werde. Das kann ja auch nur an zwei Tagen in der Woche sein. Und sicher nicht in einer Klinik, sondern angestellt bei einem niedergelassenen Arzt.
Dexters neues Album YUNG BOOMER erscheint am 27. November 2020.