Dick und glücklich
Sie hält sich für „ehrlich und verlogen, schwach und stark, positiv und negativ, selbstbewußt und unsicher, kurz: eine gespaltene Persönlichkeit“. Alison Moyet war eine Hälfte Yazoo, bis sie sich ebenso erfolgreich selbständig machte. Private Probleme ließen sie ihr zweites Album mehrfach verschieben – jetzt ist CHASING THE RAIN da, und die Moyet auf Tournee. Vorher unterhielt sich „Alf“ mit Teddy Hoersch über dicke Popstars und glückliche Mütter.
Ich habe einen immer wiederkehrenden Alptraum“, sagt Alison Moyet nachdenklich. „Ich stehe auf der Bühne, die Band spielt Songs, die ich nicht kenne, der Saal wird leer… Wenn es jemals soweit käme, würde ich sofort aufhören und etwas anderes machen. „
Seltsame Worte aus dem Mund einer erfolgreichen, hitgewöhnten Sängerin. Doch Alf, wie das schwergewichtige Pop-Aschenbrödel gerufen wird, ist längst nicht so robust, wie sie aussieht. „Vor jedem Konzert dreht sich mir der Magen rum. Ich muß mich immer übergeben.“
Alison zeigt zwar Nerven, aber sie bringt auch Leistung. „Man ist nur dann ein guter Performer, wenn man sich einen Scheißdreck darum kümmert, wie man aussieht. Man muß sich selbst vergessen und sein ganzes Herz in die Sache packen. Nur dann ist man wirklich gut.“
Damit hatte Alison nie Probleme— dick wie sie war und ist. Andere konnten blenden, sie mußte überzeugen. Denn die Natur hatte das Mädchen aus der Grafschaft Essex nicht gerade beschenkt. Doch anstatt sich mit dümmlichen Diäten zu quälen, der Welt den Rücken zuzukehren und mit ihrem Schicksal zu hadern, besann sich Alison auf eine erprobte Strategie: Angriff ist die beste Verteidigung. Nachdem sie mit 16 Jahren die Schule verlassen hatte, versuchte sie sich in verschiedenen Jobs. Der Punk-Urknall weckte sie dann aus ihrem musikalischen Schlaf. „Seit ich den alten Billie-Holiday-Titel ‚Thal Old Devil Called Love‘ interpretierte, denken die Leute, ich sei aus der Blues-, Soul- und Jazz-Ecke. Mitnichten! Ich bin ein New Wave und Punk-Kid. Aber wenn mir ein Song gefallt, singe ich ihn halt. Doch um weitere Irrtümer zu vermeiden: Ich finde Jazz ganz nett, aber mehr als zwei Songs — und es fängt mich an zu langweilen.“
Aus Alison Moyet wird Alf der Punk. Doch No Future-Dogmatik liegt Alison, der Frohnatur, nicht:
„Wir wollten nur frei sein …“ Nach und nach entdeckt sie Bluesgrößen wie Howlin Wolf, Sängerinnen wie Billie Holiday, Soul und R&B.
Ihre Stimme entdeckt sie selbst.
„Singen kann doch jeder, wenn er nicht gerade taubstumm ist. Man muß sich nur entspannen und richtig reinlegen — mit allem, was man hat. „
Vince Clarke wird auf sie aufmerksam, nachdem er Depeche Mode verlassen hat und neue Sangespartner sucht. Im Dezember 1981 wird die Ehe zwischen Blues-Belcanto und Maschinen-Pop geschlossen. Das erste von vielen Hitkindern heißt „Only You“. Vince Clarke, der kleine Blonde mit der komischen Tolle, paßt zu Alison Moyet, der großen Dunklen mit der kräftigen Stimme, wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Dennoch werden Yazoo — nach Depeche Mode — der erfreulichste Beitrag zum Techno-Pop-Geschehen.
16 Monate bestand die unmögliche Mischung. Zu unterschiedlich die Charaktere und Anlagen. Vince humorlos, scheu, introvertiert; Alison ein Scherzkeks, das Herz auf der Zunge, kumpelhaft.
Nächster Schritt: Solokarriere. Moyets Debüt ALF erfüllt zwar alle Erwartungen, wirft Hits („Invisible“, „All Cried Out“) ab und verkauft sich 60000ümal. aber die Hauptperson ist während der Produktion „völlig durcheinander“. Private Probleme, Beziehungskisten, Schwangerschaft.
„ALF ist für meine Begriffe viel zu balladesk“, sagt die, die es wissen muß. „Denn für mein Publikum sah es so aus, als wolle ich in die Sadel New Jazz Ecke. Das neue Album CHASING THE RAIN hat dagegen viele Uptempo-Stücke und ist viel mehr Alison Moyet als das erste. „
Alison, die „viele Instrumente schlecht spielt und für Texte und Melodien zuständig ist“, weiß sehr genau, was sie will. Und nicht nur in puncto Musik. Nachdem sie sich von Malcolm Lee, dem Vater ihres zwei Jahre alten Sohnes Joe getrennt hat, ist sie wieder zur alten Form aufgelaufen.
„Ich möchte Spaß haben, kreativ sein und tun, was ich für richtig halte.“
Standhaftigkeit und Ausdauer sind nicht gerade ihre Tugenden. „Ich hatte mal eine 250er Honda, auf der ich in meiner Freizeit rumgekurvt bin. Tolle Sache — aber als man in England auch für diese Klasse einen Führerschein machen mußte, habe ich die Maschine verkauft. „
Über ihren Sohn, ihre Rolle als Mutter, ihr Privat- und Liebesleben möchte sie nicht sprechen. „Das geht euch Journalisten gar nichts an“, grinst sie. Dafür erzählt sie mir lang und breit, wie schwer es ihr fiel, den Erfolg zu verdauen. „Eine Zeillang ist mir das wirklich zu Kopf gestiegen. Plötzlich war man ein gefeierter Star, mußte vor Kameras stehen und blöd lächeln. Das hat mich wirklich irritiert. „
Auch das viele Geld (Jeder ist ein Sozialist, bis er selbst verdient“) hat sie verändert. Vor allem das, was andere mit ihr verdienten. „Ich bin so gelinkt worden — es ist einfach unglaublich. Noch von den nächsten vier Alben muß ich ein Drittel abgeben, um meine Schulden abzutragen. Darum ist mein Plan: Wenn ich nicht mehr singe, möchte ich die mächtigste Frau im Schaugeschäft werden. Ich wäre immer fair zu den Künstlern, aber knallhart zu allen anderen. Weißt du, man fängt mir der Singerei an, weil man kreativ sein möchte. Und dann kommen diese Haie und knebeln dich mit Verträgen, reiten dich in Schulden rein — mit dem Effekt, daß man zu schlechter Letzt alles andere ist, nur nicht mehr kreativ. „
Kaum hat sie diesen gewichtigen Satz gesprochen, folgt auch schon der Einwand. „Aber man muß auch nicht unbedingt in der Popwelt leben, um kreativ und glücklich zu sein. Ich würde auch singen, wenn mich keiner hören wollte.“