Die 50 meist unterschätzten Bands der Welt


Sie sind unfassbar einflussreich, unfassbar stilprägend, unfassbar wichtig. Doch die Welt kennt sie nicht oder der Kenner verschmäht sie. Vorhang auf für 40 Künstler, die endlich auf den großen Bühnen stehen sollten und für zehn, die eben doch zu Recht auf großen Bühnen spielen!

Subjektiv, gemein und bestechlich. Die Redaktion hat entschieden: Oliver Götz, Albert Koch, Sassan Niasseri, Stephan Rehm, Jörg Rohleder, Floyd Schulze und Christian Stein

Von der Welt unterschätzt

1. Neu!

Neben Kraftwerk einer der wenigen nicht schämenswerten Beiträge zur Internationalität der schwachen Musikexport-Nation Deutschland: Von Neu! haben alle gelernt, doch Neu! hören wollen nur die wenigsten.

2. Pixies

Die besten Licks, die mächtigsten Hymnen, der pure, schönste Wahnsinn. Dieses perfekt zusammengesetzte Quartett hat Indie-Rock für einige Zeit quasi allein gerettet und sollte heute zu den großen Fünf der 80er und 90er gezählt werden, verdammt!

3. Wire

Ihre Verehrer reichen von R.E.M. über Blur und My Bloody Valentine bis Minor Threat und sogar bis Fischerspooner. Dennoch nehmen die Auftrittsorte der Londoner seit 34 Jahren selten mehr als Jugendzentrumsgröße an.

4. Mutter

Eine radikale Band, obwohl der Rockmusik längst alle Radikalität abgesprochen wird. Schmerzensecht, sterbenswichtig. Jochen Distelmeyer: „Später werden die Leute sagen: Das hat kein Schwein wahrgenommen – das ist aber das Geilste gewesen!“

5. Pavement

Sie pfiffen auf Rockstar-Manierismen und wurden mit einem Mix aus schlampigen Gitarrenriffs und ironischen Texten – retrospektiv – zur wichtigsten Indie-Band ihrer Zeit. Die Massen, die heute zu Pavements Reunion-Gigs rennen und behaupten, sie wären auch damals schon „dabei“ gewesen, sie lügen großteils.

6. Sparks

Die Gebrüder Mael meistern seit 40 Jahren fast jede musikalische Aufgabe, die sie sich selbst stellen. Sei es Glam-Rock, Mainstream-Pop, Barockpop oder Dance. Morrissey, Depeche Mode und New Order blähen vor Begeisterung auf. Der Rest der Welt raffte sich bisher nur ein-, zweimal zusammen, um Sparks-Songs zumindest zu Halbhits zu machen: „This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us“ und „When Do I Get To Sing ‚My Way'“.

7. Suicide

Minimalistische Elektronik, Rockabilly, No und New Wave: Mit ihrem ersten Album erfanden die New Yorker Alan Vega und Martin Rev eine Musik, deren Echo in den folgenden Jahrzehnten aus unzähligen Epigonenbands herauszuhören war.

8. Big Star

Drei essenzielle Power-Pop-Alben nahm die Band um den kürzlich gestorbenen Alex Chilton auf. Der kommerzielle Erfolg blieb aus, doch Kennern – zu denen unter anderen Wilco und R.E.M. zählen – gelten Big Star als Ikonen.

9. They Might Be Giants

Dieses Duo sollte längst Millionen verdient haben – Millionen für Melodien für Millionen. Ihre ca. 500 Hits sind so geistvoll und hinreißend, dass man eine eigene (kunterbunte) iPod-Serie damit vollspielen möchte.

10. Gonzales

Ein Genie. Ein versierter Musiker obendrein. Kann alles, hat mehr als ein Dutzend Hits, ist ’ne Entertainment-Kanone. Und wohl einfach nur zu mehrdeutig für den großen Erfolg.

11. The Replacements

Eddie Argos: „Ich weiß, ich sage das jedes Mal, wenn ich betrunken bin, aber: Die Replacements sind die beste Band, die je existiert hat.“

12. Gang Starr

Heute produziert ihr DJ Premier für jeden, der nicht bei drei in den Charts ist. Sogar für Christina Aguilera. Aber das hat einen Grund: Gang Starr gaben vor, wie moderner Hip-Hop zu klingen hat. Der nicht aus der Ruhe zu bringende Flow ihres Jazz-affinen, Mitte April überraschend gestorbenen MCs Guru ist unerreicht.

13. Hüsker Dü

Hüsker Dü erfanden in den 80ern die 90er. Das Trio aus Minneapolis überführte den Hardcore in das, was später „Alternative Rock“ genannt wurde. Was damals wie heute niemanden interessiert (hat).

14. Young Marble Giants

Während, ähem, alle Welt über die Musik von The XX orgasmiert, interessiert sich wieder mal kein Schwein für Young Marble Giants. Die Band aus Cardiff hat XX-Musik schon vor X Jahren, genauer: 30, gemacht.

15. Ja, Panik

Die größte Talentanhäufung in einer deutschsprachigen Band seit mindestens Tocotronic. Brillante Texte, in die man die Welt hineininterpretieren kann, die dies aber zu keiner Sekunde fordern. Dazu ein Gespür für hinreißende Hooks, das acht Zehntel der Songs auf jedem ihrer bislang drei Alben zur vorstellbaren Single macht.

16. Orange Juice

Solch wunderschöne Musik kann entstehen, wenn Schotten ohne Job in verregneten Städten von ihrer Sehnsucht nach der Welt singen. Bedauerlicherweise nahezu ohne Erfolg (einziger Hit: „Rip It Up“). Ohne sie aber gäbe es keine Franz Ferdinand.

17. Love

Sturheit, Streitereien und Drogen haben dafür gesorgt, dass die 60s-Psychedeliker nicht berühmt wurden. Aber in den folgenden 40 Jahren hätte sich ruhig ein wenig weiter herumsprechen können, welches Juwel da zwischen Byrds und Beatles noch funkelte.

18. Mudhoney

Mit ihrem „Touch Me I’m Sick“ war Grunge 1988 schon auf den Punkt gebracht. Grunge war die Dreckpfütze, in die der Hardrock der späten 60er und Garagenpunk der späten 70er gepisst hatten und Mudhoney sprangen mitten rein.

19. Guided By Voices

Nicht an ihrer Lo-Fi-Soundästhetik sollst du eine der wichtigsten Indie-Rockbands der letzten 20 Jahre fest machen – sondern an ihren Songs.

20. XTC

Immer wieder denkt man: Uff, die sind ja mehr Universum als Band, das hebe ich mir für später auf … Dabei haben XTC zwischen New Wave und 60s-Psychedelic nicht weniger als den Heiligen Gral des Gitarrenpop gefunden. Hopp, hopp: Mit XTC hat so manche Suche ein Ende!

21. The Sonics

In den 60ern waren The Sonics mit ihrem protopunkigen Garagenrock ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus. Heute bewegen nur noch ein paar Indie-Kids ihre Hintern zu dieser giftigen, hochgefährlichen Musik.

22. Digital Underground

Ein Hit in 21 Jahren fiel für eine der verlässlich unterhaltsamsten Bands der Hip-Hop-Geschichte ab: „The Humpty Dance“. Und selbst den legt heute keiner in der Oldie-Strecke nach „Jump Around“ auf.

23. The Chrysanthemums

So wie diese britischen Psychedelicpopper hätten die Kinks in den 80ern klingen sollen. Auf Alben wie ihr Is That A Fish On Your Shoulder, Or Are You Just Pleased To See Me hatte man jahrelang von Syd Barrett gewartet.

24. Xiu Xiu

„Your acne is like a pearl / Mine, I swear, is brimstone“. Für Morrissey, I swear, hätte man solcher Zeilen wegen nie wieder seine Zähne in ein totes Tier gegraben.

25. Dexys Midnight Runners

Vielen Bands wird Unrecht damit getan, sie retrospektiv zum One-Hit-Wonder zu degradieren. Hier möchte man aber besonders laut rufen: Come on Eileen, Tom, Julia und ihr anderen, hört endlich die (ersten beiden) Alben!

26. Meat Puppets

Das sind bittere Momente, wenn du beim Auflegen „Lake Of Fire“ spielst und dann einer, trunken oder untrunken, auf dich zupöbelt: „Alter, was soll denn DIE Scheiße bitte? Nirvana zu covern ist oberstes Sakrileg!“

27. Low

Nicht die Erfinder des „Slowcore“, aber sicherlich die Urheber des Begriffs: Low aus Duluth, Minnesota, spielen 17 Jahre nach ihrer Gründung einen No-Indie-No-Rock, der außerhalb der Zeit steht.

28. Van der Graaf Generator

Die einzige Band aus den 70ern, die das Prädikat „Art Rock“ verdient hat. Aber nein, die Menschen wollten lieber den Pomp von Genesis, Yes und Emerson, Lake & Palmer hören.

29. DJ AM

Ja, er war mit Nicole Richie verlobt. Und ja, er war einer der teuersten DJs der Welt. Platten auflegen können viele, aber nie hat jemand so kreativ aus dem Repertoire der Pop-Annalen ein so geniales Bouquet gestrickt. Check: http://tinyurl.com/y7s254x

30. The Modern Lovers

Die Popvariante Velvet Undergrounds. Teilweise mit noch weniger Akkorden pro Song. Und noch weniger Studioalben zu Lebzeiten als die Sex Pistols: nämlich gar keinem. Ihr erstes, eine umjubelte Sammlung von Demos, erschien erst zwei Jahre nachdem Mastermind Jonathan Richman die Band aufgelöst hatte.

31. Pantera

Nicht unterschätzt, weil COWBOYS FROM HELL eigentlich schon das fünfte Album von Pantera war, nein. Unterschätzt, weil Pantera auch Hair Metal konnten, weil der Gitarrist wirklich sein Handwerk verstand – und das auch bewies, bevor Pantera mit „Walk“ jenen musikalischen Mittelfinger veröffentlichten, der Montagmorgen erträglich macht.

32. The Make-Up

Ohne sie keine The (International) Noise Conspiracy. Die Schweden klauten Musik, Kleidung und politische Attitüde bei den US-Postpunks, die von 1995 bis 2000 existierten und ihren Stil „Gospel Yeh-Yeh“ nannten. Immerhin ließ der liebe Gott Gerechtigkeit walten und die Conspiracy zur Altherrenrockband verkommen.

33. Pharoahe Monch

Die 90er kommen wieder, auch im Hip-Hop: Freddie Gibbs klingt, als habe er sein Mixtape 1993 aufgenommen, Reakwon rappt wieder wie auf CUBAN LINX PT. 1. Es wird also Zeit, auch hier die unterschätzten Meisterwerke auszugraben: Und da führt kein Weg an Organized Konfusion und Pharoahe Monch vorbei, dem Jungen aus Brooklyn, der für viele zu abstrakt, zu komplex rappte – und damit die Blaupause für die Reime Eminems lieferte.

34. The Outsiders

Der Bandname ist (immer noch) Programm. The Outsiders aus Cleveland, Ohio, waren eine der ersten „weißen“ Soul-beeinflussten Bands. Größter Hit: „Time Won’t Let Me“ – 60er-Jahre-Garagenrock mit souligen Bläsern und Streichern.

35. The Auteurs

Hat der Britpop-Esel im Galopp verloren. Dummer Esel! Vier durchweg großartige, majestätische, dunkel dräuende Alben in knapp zehn Jahren. Die besseren Suede?

36. Kreator

Weil Mille im Kinderkanal am besten erklären kann, wie ordentlicher Thrash Metal geht, weil sie Slime gecovert haben, weil die letzte Kreator einfach groß ist und weil Slayer zu offensichtlich wäre. Punkt.

37. Goblin

Zombies beißen. Zombies fallen. Zombies sterben. Und Goblin schenkten den Untoten ihre Herzrasenmusik – miteinander wettlaufende Gitarren, Trommelwirbel und Kirchenorgel-Düsternis. Seit den Siebzigern als „Soundtrackband“ für Dario Argento und Co. abgestempelt, hat die italienische Fusiongruppe doch viel mehr erreicht: Klänge, die so tiefe Spuren hinterlassen wie die Filmhandlung selbst. Und schließlich – was wären Justice ohne diese Samples-Quelle!

38. Sam Gopal

Die Band, die das Psychedelic-Versprechen einlöste, das Pink Floyd und 13th Floor Elevators gegeben hatten: schwerer Psychedelic-Rock mit Tabla statt Schlagzeug. 1968, nach dem einzigen Album, ist Lemmy (Motörhead) eingestiegen.

39. Mos Def

2009 war Hip-Hop im besten Fall tot, im schlechtesten klang er wie Cher in den 90ern. Selbst „The New Yorker“ sah kaum noch Hoffnung für Chuck Ds „CNN der Schwarzen“. Vielleicht hätte man sich mal die Mühe machen sollen, in THE ECSTATIC reinzuhören. Und wenn das nicht reicht, einfach mal „Ms. Fat Booty“ googeln!

40. Kula Shaker

Zwischen all dem Oasis-Gepose, dem The-Verve-Pathos und Radioheads jährlicher Popneuerfindung im England der 90er Platten verkaufen zu wollen, kommt einem Kampf gegen Windwühlen gleich. Indisch angehauchter Grooverock und Texte in Sanskrit als Rezept scheinen unter diesen Umständen wie ein musikalischer Stinkefinger, der Kula Shaker zu einer der wichtigsten der unwichtigen Bands des Britpop macht.

Vom Nerd unterschätzt

1. Queen

Eine der atemberaubendsten Bands der 70er, die in den 80ern mit ihrem superschwul auftretenden Sänger (dem besten ever?) maßgeblich zur Akzeptanz von Homosexualität im Mainstream beitrug. Warum gelten T-Shirts der reaktionären Led Zeppelin als cool und warum kennt man niemanden mit Queen-T-Shirt?

2. Snap!

Es ist die Liebe auf den zweiten Blick. Als „Rhythm Is A Dancer“ 1992 aus den Boxen plumpste, wollten wir das Zimmer verlassen. Jahre später legten wir es als Witz selber auf, irgendwann freuten wir uns sogar darüber. Einfach, weil es guter Pop vom Rummelplatz ist. Fragt mal Stromae!

3. Neil Diamond

Neil Diamond ist zwar auch der Las-Vegas-mäßige Pop-Opa, der immer noch die größten Hallen füllt, um es mit seiner Musik den Mittfünfzigern leichter zu machen, ihrer Jugend nachzutrauern. Vor allem aber ist er einer der größten Songschreiber aller Zeiten.

4. Frankie Goes To Hollywood

Mit den chaotischen Strukturen von „Relax“ und „Two Tribes“ neue Standards im Pop gesetzt, dann eins der unpeinlichsten Liebeslieder überhaupt nachgeschoben: „The Power Of Love“. Ihre offensiv homosexuelle Performance war wie ein Tritt in die Eier der Menschenfeindlichkeit.

5. Take That

Welche Boygroup hat so eine Geschichte? Ein Außenseiter trennt sich von der größten Band Europas, die sich daraufhin auflöst. Der Außenseiter wird zum größten Popstar seit Michael Jackson. Als er aufhört, das zu sein, kehrt die Ex-Band zurück, wird noch größer, noch besser (siehe „Patience“ und „Shine“) als jemals zuvor und schafft es als einzige sogenannte Teenieband, in Würde zu altern.

6. Electric Light Orchestra

Abba haben es doch auch geschafft, die verdiente Anerkennung zu bekommen. Was spricht also (mit drei Jahrzehnten Sicherheitsabstand) gegen kompromisslos überproduzierten, symphonischen Rock’n’Roll mit so viel Schmiss und melodischer Kraft?

7. Tears For Fears

Die Aufnahmen von The Seeds of Love (1989) verschlangen angeblich mehr als eine Million Pfund. Das Duo Roland Orzabal/Curt Smith trennte sich danach – das heute nahezu vergessene Album aber, mit seinen himmlischen Chören, den afrikanischen Instrumenten sowie den immer wiederkehrenden Flanger-Effekten, ist das vielleicht poppigste Psychedelia-Album der gesamten Dekade.

8. Jan Hammer

Sollte man nicht leichtfertig auf die Titelmelodie von „Miami Vice“ reduzieren. Das Referenzwerk heißt: Timeless – 1a-Easy-Feeling-Jäzz. Das dachten sich auch cLOUDDEAD, die auf ihrem Debüt den Titelsong der Platte sampelten und mit ihrer Nachfolgeband Why? den Song auch gerne noch mal live spielen.

9. Phil Collins

Ein zu Unrecht ausschließlich in der Rap- und R&B-Community fair behandelter Interpret (Ice-T: „Don’t mess with my man Phil!“), der zudem mit „Tomorrow Never Knows“ die einzige Beatles-Coverversion aufgenommen hat, die besser ist als das Original (Leserbriefe herzlich willkommen!). Das liegt auch an Collins‘ bis heute unerreichtem Schlagzeugsound: hart, poliert, gewichst, gewienert.

10. The Darkness

Sich seit 26 Jahren immer wieder begeistert „This Is Spinal Tap“ reinzuziehen, aber das zweite (ebenso wie das erste monströs unterhaltsame) Album der Briten als „wiederholten Witz“ zu rügen, das ist einfach falsch. Wieso schämt man sich einer Band, die das Leben nicht zu ernst nimmt? Weil das Leben nun mal ernst ist? Okay, aber es kann doch auch nicht immer Radiohead die Antwort auf alles sein.