Die Abhänger
Hoch im Norden ist es cool. Dieser Umstand und ein erfreulich hohes Maß an Musikalität und Humor machen den HipHop der Hamburger Fünf Sterne so deluxe.
ALLES BEGANN DAMIT, DAß TOBI, SEINES ZEICHENS genialer Beatbastler, Arrangeur und musikalisches Mastermind von Fünf Sterne Deluxe, beim I Offenen Kanal Hamburg auf Bo traf. Bis zu diesem Zufall hatte der 23jährige Halstenbeker zusammen mit Doc Renz (heute Mitglied der bis dato kommerziell erfolgreichsten Hamburg-Hopper Fettes Brot) in der Acid-Jazz-beeinflußten Formation Poets of Peeze gespielt. Die Poeten rappten auf Englisch, bedienten „echte“ Instrumente, und sie gehören heute der Vergangenheit an.
Vielleicht fehlte dem leidlich souverän agierenden Projekt einfach das, was man eine eigene Note nennt. Ein eigener Style eben.“Er hat gerapptund er hat geil gerappt“, berichtet Tobi über die Begegnung mit Bo. Es folgten die ersten Sessions, man verstand sich prächtig („Bo hat gezappt, und ich hab‘ Beats gemacht.“) und gründete das Duo Der Tobi & das Bo. Das war 1994. Zum damaligen Zeitpunkt dominierten die vielfach gedissten Fantastischen Vier auf der einen, die selbsternannten Gralshüter des HipHop um Advanced Chemistry auf der anderen Seite das deutsche Sprechgesang-Geschehen. Mit Andre Luth, Betreiber des Yo Mama-Labels und Besitzer der größten Soulplattensammlung diesseits von Motown, war auch gleich der richtige Mann zur Stelle, um Nägel mit Köpfen zu machen. Er nahm Tobi und Bo unter Vertrag und sperrte sie ins Studio. „Wir haben in drei Wochen ein Doppelalbum aufgenommen“, erinnert sich Tobi, „das ist dann auch so geworden: gut.“ „Genie & Wahnsinn liegen dicht beieinander“, behauptetete das Werk im Titel und bewies es im Inhalt: Albernheiten, A
grooviges Gefasel und herrlich respektlose Persiflagen über Beats und Samples, die – eine Seltenheit im Teutonen-Hop – an das heranreichten, was der HipHop-Gourmet an Klängen aus den fernen USA schätzt. Artverwandte und befreundete Bands wie Fischmob und Fettes Brot legten in der Folge mit ihren Veröffentlichungen nach und einen drauf. Bekifft – durchgeknallter Humor und vor nichts haltmachende Ironie wurden zu den definierenden Elementen des Hamburger HipHop-Mikrokosmos. Alles, inklusive des eigenen Schaffens, wird hier verarbeitet und durch den Kakao gezogen, ohne daß man sich platt unter „Spaß-HipHop“ einordnen lassen müßte. Und sollte das doch passieren, dann schert’s die Hanseaten wohl auch wenig. Erfreuliche Geisteshaltung im bisweilen doch sehr der reinen Lehre verpflichteten Rap-Gewerbe. „Das ist ziemlich locker, weil sich eigentlich jeder kennt, jeder seinen eigenen Style führt und sich trotzdem alle gegenseitig respektieren und gut finden. Das kenne ich so nur aus Hamburg“, freut sich Bo.
„Dezember’96, als Bound ich angefangen haben, für die zweite LP zu produzieren, lernten wir auf einem Konzert DJ Coolmann kennen und haben gesagt: dann machen wir das einfach mal zusammen“, schildert Tobi inmitten seines wahnsinnig unaufgeräumten Studios/Wohnzimmers das weitere Zustandekommen des Fünf-Sterne-Projekts. „Was dann sehr gut geklappt hat, aber nicht mehr Der Tobi & das Bo, sondern ein neues Bandgefüge war.“ Die Fischmob-Connection trieb den Dreien schließlich noch Graphiker, Multimedia-Stylist und Adolf Noise-Kommunarde Marc Nesium aus Flensburg in die Arme. Da waren’s dann vier. Warum also fünf Sterne Deluxe? „Eine gute Frage, die bekommt man selten gestellt“, lacht Tobi. „Fünf Sterne Deluxe ist ja ein Oualitätsurteil für unsere Musik. Da wir aber nur vier Sterne sind, repräsentiert der fünfte Stern immer den Faktor Außenwelt, d.h. der Leser dieses Interviews ist etwa gerade der fünfte Stern.Tolle Philosophie.“ Solchen kompromißbereit konkreten Aussagen steht im Universum der fünf Sterne mindestens gleichberechtigt Satzschlacke ä la Bo („Wir flashen wie wir drauf sind“) zur Seite. Auf dem soeben veröffentlichten Album „Sillium“ wimmelt es geradezu vor sprachlichem Freejazz, der dem Hörer die Synapsen verspult. „Sillium ist der Press-Saft aus einer Langspielplatte von uns. Wenn man das zusammenschreddert und dann in so’n Automaten steckt, kommt unten Saft raus, den man sich ins Ohr träufelt und sich dann so fühlt, als höre man die Platte.“ Wer’s glaubt, hört Selig, wie es Bo auf der „5 Sterne“-Hymne, der ersten „Sillium“-Single, so treffend ausdrückt.
Den letzten Schliff bekamen die Tracks für „Sillium“ (Silly? Millenium?) beim Mischen in den New Yorker D&D-Studios, wo etwa DJ Premier und andere Meister ihres Fachs aufnehmen und produzieren. Dieser Schritt war naheliegend, „denn dort“, so Tobi, „sitzen Leute hinter den Reglern, die absolute Ahnung haben, was sie da machen.“ Kein Fall von erkaufter Professionalität, sondern eine Bildungsreise, die auch viel Anerkennung von den Vorbildern einbrachte. Auf dem Remix zur aktuellen Chartsingle „Willst Du mit mir gehn?“ steuert gar Biz Markie, der verrückte Old-School-Veteran und legendäre Kumpel der Beastie Boys, den deutsch gesungenen Refrain („Will Smith, Meer Gayne?“) bei.
Damit die Zukunft „deluxe-mäßig“ wird und“weil Hip-Hop eben von HipHop allein nicht leben kann“ (O-Ton Bo), arbeitet Allrounder Marc Nesium an der „totalen Vermischung von Text und Kontext“- und meint damit seine Arbeit an Optik und Artwork der Sterne (er entwirft auch Coverfür Fischmob, Lotte Ohm u.a.).“Durch Marcs Kompetenz können wir diesen Bereich des Business selbst in die Hand nehmen und so gar nicht erst irgendwelche Marketingstrategien aufgedrückt bekommen“, erklärt DJ Coolmann, der kürzlich sein eigenes Label Hong Kong Records gegründet hat. Die vier wollen sich nichts aus der Hand nehmen lassen und möglichst überall mitmischen. Addiert man hierzu die Tatsache, daß Studio, Management und Label unter einem Dach agieren, die Kräfte für die Chartattacke also auch geographisch gebündelt sind, könnte der Eindruck entstehen, daß da im verborgenen ein Masterplan arbeitet. Smells like Gesamtkunstwerk. Und ist doch nur das glückliche Zusammentreffen kiffender Ketzer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Sie bringen Silli um. Damit wir, ahm, leben können.