Die Ärzte
Zur Einstimmung auf ihre große Tour spielten Die Ärzte in der Dortmunder Westfalenhalle jeweils ein Konzert nur für ihre weiblichen und ihre männlichen Fans. Wir haben Reporter zu beiden Shows geschickt. Eine Gegenüberstellung.
Ein Konzertexperiment, bei dem man die XX- von den XY-Chromosomen zeitlich voneinander trennt – ein origineller Gedanke, der dank rosa geblümter Mädchentickets und massiver Hinweise auf strikte Einlasskontrollen im Vorfeld eine unterhaltsame Ernsthaftigkeit vermittelte. Dass es jedoch schlecht verkleidete Männer sind, die rosa Jutebeutel, kühle Getränke und alte Brezeln verkaufen, entzieht der Idee ein wenig Charme. In der gut gefüllten Westfalenhalle fällt es dann aber ohnehin schwer, echte Mädchen auszumachen, was der Optik der gemeinen Ärzte-Anhängerin geschuldet ist. Schlabbriges Bandshirt, nicht minder schlabbrige Jeans, Unfrisur und Non-Make-up haben beim vorrangig mittelalten Publikum Konjunktur. Kein Rosa, kein Plüsch, kein Tutu. Erinnern wir uns an Konzerte der Band in den 80ern, war die Farbe Pink zwar auch nie ein Thema, aber zumindest ein perfektes Styling – von der toupierten Farin-Lookalike-Haartracht bis zum dicken, schwarzen Lidstrich. An diesem Abend scheint das eher egal. Und doch werden die durch klischeehafte Bilder von Make-up- und Hygieneartikeln im Drogeriemarktregal auf den LED-Leinwänden vor Konzertstart ausgelösten Buhrufe von absolut mädchenmäßigem Kreischen abgelöst, als sich der Vorhang öffnet und Farin Urlaub, Bela B. (ganz in Weiß) und Rod González auf einem Sofa aus rotem Samt vor einem roten Herzen auf die rosa Bühne hinabschweben. Ein großer Nachteil eines rein von Frauen besuchten Konzerts ist neben langen Schlangen vor den Toiletten die Tonlage, die Tausende weiblicher Kehlen erreichen. Das erfährt man umgehend, als Farin mit dem Satz einsteigt: „Wir sind gerade in einen Bottich Vaseline gesprungen und werden euch den Rest des Abends mit dem ganzen Körper in den Arsch kriechen.“ Dank passend dazu ausgewählter Songs wie „WAMMW“ („Wenn alle Männer Mädchen wären“), „2000 Mädchen“, „Lady“ und „Roter Minirock“ übersteigt der Pegel vielfach die Schmerzgrenze. Farin und Bela machen aus ihren wilden Wortwechseln eine ganz eigene Show, während Rod mal wieder weitgehend den Sprachlosen mimt. Da wird von Farin auch schon mal über zehn Minuten die La-Ola-Welle forciert und die holde Weiblichkeit zu „Schmacht“-Stöhnern für Bela und „Kreisch“-Attacken für Rod animiert. Überhaupt mutiert Herr Urlaub zum echten Charmeur und freut sich am Ende, die Frauen „mal kennengelernt zu haben“, während Herr B. Witze über falsche Fingernägel und weitere Klischees macht, die die vielen Raubein-Frauen aber kalt lassen. Die wollen ihn lieber nackt sehen und verdeutlichen dies durch „Ausziehen“-Rufe. Glitterregen und Pyrospiele entlocken den pogenden Gören dann aber doch verzückte „Ohs“ und „Ahs“. Es sind Hits wie „Schrei nach Liebe“ und „Unrockbar“, die sie in einer Stimmlage mitgrölen lassen, die Frauen selten erreichen. Erst bei den Balladen „Ich weiß nicht (ob es Liebe ist)“ und „Mach die Augen zu“ fühlt man sich wieder unter seinesgleichen. Amüsant ist es freilich, wenn Die Ärzte ganz öffentlich von „Mädchen“ schwärmen, gemeinhin macht das der Mann jenseits der 40 doch eher heimlich – hinter dem Rücken seiner gleichaltrigen Frau.
Nicole Ankelmann
10 000 Männer. In Worten: zehntausend. Erwartungsfroh bis angriffslustig stehen sie da, trinken Bier und vertreiben sich die Zeit mit dem ewigen Schmähgesang: „Scheiß Tribüne!“ Dann wird es dunkel, und die Ärzte geben den ungeduldig Scharrenden, was sie wollen. Auf den Leinwänden flimmern Bilder vorbei: ein Grill, ein Baumarkt, Schnitzel mit Pommes, Lara Croft, Bier. Jedes wird in tiefer Stimmlage grölend bejubelt, am meisten: das Bier, klar. Mit einem Knall fällt der Vorhang und Belafarinrod starten furios mit „Junge“ und „Ein Mann“, um noch mal klarzustellen: wir Männer – ihr Männer. Männer! Das starke Geschlecht beweist Textkenntnis und singt geschlossen mit: „Streicheln ist nicht so mein Ding, sind wir denn hier im Streichelzoo?“ Endlich kann ohne Rücksicht gemosht werden, das nutzen sie aus, die Zehntausend, noch bis weit hinters Mischpult geht es rund. „Und wer ist heute nicht hier?“, ruft Bela in die erste Atempause hinein: „Die Weiber!“ Tatsächlich haben sich kaum als Männer verkleidete „Weiber“ in die Westfalenhalle geschmuggelt. Dennoch baumelt an Rodrigo González‘ Mikroständer ein BH. Doch er wird einsam bleiben, denn das einzige Stück Dessous, das auf die Bühne fliegt, ist eine Männerunterhose. Bela zieht sie drüber und legt los: „Wie nennt man das Ding in der Hand einer Frau? Zapfhahn! Das einzige Sixpack, das ich beklatsche, kann man in der Hand tragen!“ Dass der Großteil der Männer völlig ironiefrei den Bierbecher hebt, ist ihm wumpe, und auch die skeptisch nach oben gezogenen Augenbrauen seines Partners Farin Urlaub kontert er lässig: „Wir sind hier im Ruhrpott und nicht in deinem verkorksten Prenzlauer Berg!“ Word. Noch eine Rülps-La-Ola, und die Stimmung ist Bombe, so ganz ohne Frauen. Doch in den thematisch ausgewählten Songs für den Männerabend sind sie sehr wohl anwesend: „Der Optimist“, „Vermissen, Baby“, „Alleine in der Nacht“, „Omaboy“, „Wie am ersten Tag“ und natürlich „Zu spät“ erzählen vom Schmerz verflossener oder unerreichbarer Liebe. Mit geschlossenen Augen und gereckten Fäusten wird mitgesungen, ja, in enttäuschter Liebe, darin sind wir Männer Spezialisten, von gebrochenen Herzen können wir ein Lied singen, und deswegen trinken wir auch so viel Bier. Bela fasst zusammen: „Männer interessiert doch sowieso nur Ficken und Bier!“, und weil das wieder so gut sitzt, wird gleich der „Ficken und Bier“-Walzer erfunden. Farin und Bela reimen irgendetwas zusammen („Warum bin ich hier?“ „Was willst du von mir?“ usw.), und das Publikum erwidert: „Ficken und Bier!“ Bela zieht das gnadenlos durch, Farin ist schnell genervt und sabotiert den Walzer immer wieder mit einem lauten Akkord (während Rod schweigend zuschaut). Die Männer finden das so geil, dass sie nicht mal mehr „Zugabe“ rufen, sondern eben – ja. Farins sauertöpfischer Versuch, das als „Teenagerliebe“-Wunsch falsch zu verstehen, funktioniert auch nur so halb. „DÄ“ sind professionell genug, das Konzert zu Ende zu bringen, und als die Band unter „Ficken und Bier“-Sprechchören in einer riesengroßen Hubschrauberattrappe der Bühne entschwebt, streckt Bela grinsend seine Hand aus. Es dauert – doch dann schlägt Farin ein.
Benjamin Weber