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„Die anderen haben Fun, und man selbst stirbt.“ – Schnipo Schranke bei Rock am Ring


Schnipo Schranke revolutionieren die deutsche Popmusik. Sie haben keine Angst vor Kraftausdrücken und kluger Syntax, und auch nicht davor, übers Bumsen zu singen. Das taten sie in diesem Sommer sogar vor Menschen, die eigentlich Black Sabbath und Volbeat hören: bei Rock am Ring und Rock im Park. Eine Geschichte über das Scheitern, Aufstehen und Weitermachen.

Keiner kann uns nehmen, was ­zwischen uns lief. Oh Baby, dein Sperma schmeckt so intensiv“, säuselt Fritzi Ernst. Sie steht auf der Bühne bei Rock im Park in Nürnberg, und mit ihr säuseln Tausende Menschen. Sogar die Jungs in der ersten Reihe, obwohl viele von ­ihnen sicher noch nie fremdes Sperma ­geschluckt haben und das auch nicht ausprobieren wollen. Niemand scheint hier zufällig vorbeigeschlendert zu sein, das Publikum ­bildet Chöre („Schnipo Schranke! Schnipo Schranke!“), hat Schilder gebastelt („Schnipo, wir wollen ein Kind von dir!“), lässt bei ­„Tamponade“ die Hosen runter und tanzt zu „Cluburlaub“ Polonaise wie im „Megapark“ auf Malle. Schnipo Schranke sind Rockstars. Und die wahrscheinlich einzige Band bei Rock im Park, die mit ihren zutiefst romantischen ­Texten sogar die Security aufweckt.

„Komm in meine Arme, komm in meinem Mund“, fährt Fritzi fort. Zwei Männer vom Sicherheitsdienst, die den Fotograben vor der Bühne ­bewachen, werden plötzlich aus ihren Tagträumen gerissen. Einer davon hat die Haare wie ein Fußballspieler, er trägt an den Seiten ein hineinrasiertes Muster, das ein bisschen wie ein Arschgeweih aussieht. Er schaut sich um, fragend, dann weiter zur Band, und begreift nach und nach, dass er soeben eine Cumshot-Anspielung verstanden hat. Glückwunsch! Die Sprache von Schnipo Schranke ist schließlich eindeutig, fast schon so direkt, dass manch ­einer nicht glauben mag, was sie singen. Wer es simpel mag, liebt die Band für den Fäkal­humor in ihrer Musik, den sie auf den ersten Blick zu versprühen scheint, wer es tiefgrün­diger mag, schubbelt sich an den klugen ­Doppeldeutigkeiten und Wortspielereien glücklich. Dass sich an diesem Wochenende aber überhaupt noch euphorische Gefühle ­regen, hat eigentlich niemand mehr für ­möglich gehalten.

Die Fans eskalieren bei Rock im Park.
Die Fans eskalieren bei Rock im Park.

„Haben die nur Dixies? Wenn ich da kacken geh, krieg ich Durchfall“, sagt Ente, Teilzeitbandmitglied, sobald Schnipo Schranke auf Tour gehen, und hievt sich 24 Stunden vor dem Auftritt bei Rock im Park aus dem schwarzen Tourbus an einer Tankstelle in Kottenheim, das ist in Rheinland-Pfalz. Hinter ihm schälen sich Fritzi Ernst und Daniela Reis, Entes Freundin, aus ihren Sitzen. Sie sehen ­verknautscht aus. Ihr Tourmanager Thorben organisiert derweil alles, was wir für die Weiterreise zu unserer ersten Station, Rock am Ring, benötigen: einen Auto-Ausweis für die Windschutzscheibe, Essensmarken, Spielpläne, Backstage-Pässe. „Mir pocht das Herz!“, ist der erste Satz, der Dani ­an diesem Morgen über die Lippen geht. Ihre ­Augen sind weit ­aufgerissen, ihre Gliedmaßen steif. Das ist die Aufregung, und die ist äußerst berechtigt.

Das große Jahresrückblicks–Liederraten 2015 mit Schnipo Schranke
Wir fahren weiter. Die Wolken hängen tief über den Tälern in der Vulkaneifel, seit Tagen wüten heftige Unwetter. Plötzlich bäumt sich das Festivalgelände vor uns auf – wie eine fremde Stadt voller Soldaten, die uns ganz ­genau beäugen, ehe wir passieren dürfen. Am „Alternatent“, so heißt die Bühne, auf der Schnipo Schranke spielen sollen, angekommen, müssen wir zügig den Van entladen. Alles ist streng getaktet, die Festival-Crew trotzdem recht höflich. Die Band muss schon drei ­Stunden vor ihrem Auftritt vor Ort sein und sich mindestens eine halbe Stunde vorher in unmittelbarer Nähe der Bühne aufhalten, so lautet das Regelwerk am Ring, der kein Ring mehr ist, weil das Festival in diesem Jahr schon zum zweiten Mal in Mendig, knapp 30 Kilometer östlich vom Nürburgring stattfindet. Schnipo Schranke befolgen die Anweisungen, sind ­sogar pünktlich, obwohl ihr Tourmanager heute Morgen verschlafen hat. Etwas zu essen brauchen Fritzi und Dani. Am ­besten Fleisch. Dazu eine Cola. Und was zum ­Rauchen.

„Joko!“, schrillt Dani, als wir nach all dem zu suchen beginnen, und schlägt sich im nächsten Moment die Hand vor den Mund. Wir verrenken uns hektisch die Hälse. Da drüben steht Joko Winterscheidt, er dreht etwas für „Circus HalliGalli“. Dani hat ihn erspäht, er sie aber zum Glück nicht. Das wird sich im ­Verlauf des Tages noch ändern, und das wird sehr unangenehm werden. Bis dahin streunen wir durch den Backstage-Bereich der größten Rock-Festival-Maschine Deutschlands, und tatsächlich: Hier sollen gleich Fritzi, Dani und Ente auftreten – nach ihnen sind Billy Talent, Deftones und die Red Hot Chili Peppers dran. Theoretisch, denn die Wetterprognosen für Rock am Ring sehen düster aus.

Foto: Robin Hinsch / Musikexpress