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„Die anderen haben Fun, und man selbst stirbt.“ – Schnipo Schranke bei Rock am Ring


Schnipo Schranke revolutionieren die deutsche Popmusik. Sie haben keine Angst vor Kraftausdrücken und kluger Syntax, und auch nicht davor, übers Bumsen zu singen. Das taten sie in diesem Sommer sogar vor Menschen, die eigentlich Black Sabbath und Volbeat hören: bei Rock am Ring und Rock im Park. Eine Geschichte über das Scheitern, Aufstehen und Weitermachen.

Der Himmel zieht sich immer weiter zu. Wir suchen den Dressing-Room, damit sich Schnipo Schranke auf ihren Auftritt vorbereiten können. An einer großen Industriehalle werden wir von zwei Bodyguards in schicken Anzügen abgewiesen. „Das ist wohl für die großen Kinder, nicht für uns“, sagt Ente ­entschieden und winkt den Rest der Truppe wie ein verantwortungsvoller Familienvater zur Seite. Die Männer zeigen auf eine schmucklos zusammengeklöppelte Zeltkon­struktion. Dahin gehören wir also. Genauso wie We Are Scientists (links vom Schnipo-Dressing-Room), und Karate Andi (gegenüberliegend). Von den meisten Bands, die hier auftreten sollen, ­haben Schnipo Schranke noch nie gehört. Sie freuen sich trotzdem sehr und sind sich durchaus ­bewusst, wie legendär Rock am Ring ist. Ganz besonders Dani setzt die Vorstellung zu, hier gleich auf die Bühne zu müssen. Fritzi ist zur Toilette gegangen, Ente steht draußen, starrt in den Gewitterhimmel, raucht.

Dani hockt vor einem ­großen Spiegel und versucht, sich zu schminken. Sie lässt ihre Mascara ­fallen. „Boah fuck, ich bin ganz ­zittrig“, sagt sie und verschmiert mit dem Handrücken ­ihren knallroten Lippenstift. Ohne entstelltes Make-up kann sie heute nicht performen. Die optische Verfremdung hilft gegen Aufregung und Unsicherheit, da ist sie sich sicher. Fritzi hingegen wirkt gefasst, ­erstaunlich professionell. Sie war früher bestimmt eines dieser Mädchen, die in der Schule beim Austeilen der Klassenarbeiten nie etwas gesagt haben, ­während alle um sie herum kreischten, dass sie sicher eine Fünf haben, am Ende aber trotzdem mindestens mit einer Eins minus in die Pause hüpften. Und Fritzi? Die Klappe ­ge­halten und eine Zwei bekommen.

Fritzi und Dani im Dressing-Room bei Rock am Ring.
Fritzi und Dani im Dressing-Room bei Rock am Ring.

Dani matscht sich noch mehr Schminke ins Gesicht. „Ich würde gerade töten für ’ne ­Valium“, brummt sie und sieht gefährlich aus. „Rock-am-Ring-Fusel!“, prustet Ente begeistert, als er wieder in den Raum trampelt und einen kleinen Karton auf dem Tisch öffnet. Ein edler Tropfen Wein erblickt das Licht der Welt. Er trägt ein Rock-am-Ring-Etikett. Genauso wie die Jägermeisterfläschchen, die sorgsam daneben drapiert wurden. Sie stehen in Reih und Glied. Blöd nur, dass Schnipo Schranke momentan keinen Alkohol anrühren. Und noch mal schnell einen zu rauchen, bevor es auf die Bühne geht, lehnt Dani auch ab. Die Situation ist ernst. „Du siehst aus wie der kleine Waschbär, der mal bei mir gewohnt hat“, sagt Ente lieblich und streichelt seiner Freundin sanft über die Wange. Danis apathisches Verhalten beunruhigt, ihr Blick geht ins Leere. Wir möchten ihr unbedingt helfen, ­wissen aber nicht wie.

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Fritzi und Ente sprechen letzte Details ab. Sie gehen die Setlist durch und trommeln sich auf ihren Oberschenkeln warm. „Wir haben gestern extra noch Tempi geübt“, sagt Fritzi stolz. Für einen kleinen Augenblick schimmert etwas Vorfreude in ihren Augen. Der „Schnipo Song“ dürfe nicht zu schnell gespielt werden, das sei wichtig. Und etwas, das sich die Band schon häufiger vorgenommen hat. Vielleicht klappt es ja diesmal. Sie nehmen es locker, ­sind trotzdem konzentriert. In der anderen ­Zimmerecke hockt Dani. Regungslos, unberechenbar. Rastet sie gleich aus und wirft mit den Jägermeisterfläschchen, die hinter ihr stehen? Oder sackt sie in sich zusammen und braucht einen Arzt? „Ich glaube, ich muss kotzen“, sagt sie schließlich. Die anderen bleiben ruhig und schauen sie an. „Wirklich?“, fragt Fritzi leise. Dani zuckt mit den Schultern und greift zu ­einer Asia-Imbiss-Tüte, die neben ihr auf dem Boden liegt. Für alle Fälle.

Dani ist schlecht.
Dani ist schlecht.
Foto: Robin Hinsch / Musikexpress
Foto: Robin Hinsch / Musikexpress