Die Deep Purple Saga – Dezibel Dämonen


"Erfunden" haben sie Hardrock und Heavy Metal nun gerade nicht. Dennoch: Ohne sie wäre der Metal-Express in eine völlig andere Richtung geprescht. Deep Purple waren neben Led Zep die wohl einflußreichste Hard 'n' Heavy-Combo der Rockgeschichte: Mit ihrer Synthese aus Klassik und Rock setzten sie nicht nur musikalische Maßstäbe - sie läuteten auch das Zeitalter der gnadenlosen Phon-Orgien ein und zelebrierten erstmals die Kunst der öffentlichen Selbstzerfleischung. Doch es sind nicht nur ihre historischen Verdienste, die an dieser Stelle gewürdigt werden sollen. Anläßlich ihres Comebacks kramte Jon Lord in seinen Erinnerungen, um A.Kraatz das Protokoll der Purple-Saga zu diktieren.

Selbst der begabteste Dramatiker – und hieße er Shakespeare – hätte die Karriere der „Könige des Heavy Metal“ (Lilian Roxon) nicht spannender inszenieren können. Es begann mit vier Personen und einem Anruf und endete schließlich mit einem Scherbenhaufen. Dazwischen lagen Jahre, in denen Deep Purple wie kaum eine andere Hardrock-Band von Erfolg zu Erfolg eilten.

Swinging London 1967. die Zeit der „roaring sixties“. Man schwärmte von den Beatles. Stones. Kinks, Who und Yardbirds. Pläne wurden geschmiedet und gleich wieder verworfen. Neue Bands wurden gegründet und am nächsten Tag schon wieder begraben.

Chris Curtis, der ehemalige Drummer und Sänger der Searchers. die 1964 mit „Needles And Pins“ ihren größten Erfolg hatten, war einer von vielen, die sich von der Aufbruchsstimmung anstecken ließen. Noch schien alles möglich, selbst für einen Musiker, der seinen Zenit bereits überschritten hatte.

Curtis spielte schon lange mit dem Gedanken, eine „Supergroup“ aus Musikern der Londoner Szene iuf die Beine zu stellen. Was ihm Sohlte, waren das Geld und – die Band.

In Tony Edwards, einem Textilfabrikanten mit musikalischen Ambitionen, hatte er schon bald den Finanzier gefunden. Jon Douglas Lord, der sich mit diversen Bands über Wasser hielt, war schließlich der dritte im Bund. Man schrieb inzwischen das Jahr 1968.

John Lord, der spätere Organist von Deep Purple und mit seinen mittlerweile 43 Jahren der Senior der Band, kann sich noch genau erinnern, wie alles begann. „Chris Curtis war es. der mich und Ritchie Blackmore zusammenbrachte. Es war seine Idee, eine Band namens Roundabout zu gründen. Den Nukleus sollten er an den Drums und als Sänger, ich an den Keyboards und Ritchie an der Gitarre bilden.

Wir waren die eigentliche Basis der Band, die je nach Situation durch andere Musiker ergänzt werden sollte. Es war ein Projekt, wie es in diesen Jahren oft praktiziert wurde. Doch eines Tages war Chris spurlos verschwunden, und so blieben am Ende nur Ritchie und ich übrig.

Als Tony von dem Vorfall erfuhr, rief er uns an und fragte: .Seid ihr noch an dem Projekt interessiert? Darauf wir: ,Natürlich!‘ Dieser Anruf, kann man sagen, war der eigentliche Beginn von Deep Purple.“

Lord hatte sich ähnlich wie Richard Harald Blackmore schon einen Namen als Sessionmusiker gemacht, bevor er zu Roundabout/ Deep Purple stieß. Engagements in kleinen Rhythm n‘ Blues-Bands hatten ihm dabei ebenso geholfen wie ein kurzes Gastspiel bei den Flowerpot Men („Let’s Go To San Francisco! ). Aus dieser Zeit kannte er Nick Simper. einen Bassisten, der auf sein Angebot hin das Lager wechselte und bei Purple einstieg.

Auch Blackmores musikalische Vergangenheit konnte sich durchaus sehen lassen. Er hatte in Bands wie The Savages. der BackingBand von Screaming Lord Sutch, bei Nefl Christians Crusaders, Mike Berrys Outlaws, Heinz And The Wild Boys sein Lehrgeld bezahlt und zudem 1965 mit einer Solo-Single „Getaway/Little Brown Jug“ sein Glück versucht.

Schon damals hatten seine Auftritte das Flair des Extravaganten. Lord Sutch erzählt: „Als Ritchie bei uns einstieg, war er gerade 16 und dazu noch sehr schüchtern. Er stand immer versteckt in seiner Ekke hinter den Verstärkern. Doch er war der beste Gitarrist weit und breit. Oft kamen die Leute von weit her, nur um ihn spielen zu sehen.“

Sowohl Blackmore als auch Lord erwiesen sich vom ersten Augenblick an als die musikalischen Köpfe, die kreative Achse des ehrgeizigen Projekts. Sie bestimmten das Material, wählten die Songs, aber auch die Musiker aus.

Neben Simper hatte man sich durch zwei neue Gesichter. Rod Evans als Sänger und lan Paice an den Drums. verstärkt. Noch bestand ihr musikalisches Angebot vornehmlich aus Cover-Versionen von Beatles-Songs bis hin zu“.Im So Glad“ und „Hey Joe‘-Adaptionen.

Am 20. April 1968 war es dann endlich soweit – das Quintett, besser bekannt als Deep Purple „Mark I“, feierte seine Bühnentaufe im dänischen Tastrup. Weitere Auftritte in England und der Schweiz folgten. Dennoch stand ihre Premiere unter keinem günstigen Stern, wurden sie oftmals „ausgepfiffen“, wie Chris Welch vom Melody Maker zu berichten weiß.

Nur in Amerika, wo man gleich mit der ersten Single „Hush“, einer Joe Simon Komposition, bis auf Platz vier der Billboard-Charts kletterte, hatte man auf Anhieb Erfolg; im eigenen Land wurden die Newcomer einfach ignoriert.

Dieses Bild änderte sich auch nicht nach SHADES OF DEEP PURPLE, ihrem Debüt-Album, das in zwei Tagen entstanden war und im September auf den Markt kam und zur Hälfte gecoverte Songs enthielt. Und auch nicht nach THE BOOK OF TALIESYN. dem zweiten Opus, das noch im gleichen Jahr in Amerika, in England aber erst acht Monate später erschien.

Amerika, das wurde schnell deutlich, war das Land, das sie mit offenen Armen empfing. Dort landete ihre zweite Single „Kentucky Woman“, aus der Feder von Neil Diamond, in den Charts – und dorthin zog es sie auch, als man für die Farewell-Tour der legendären Cream als Support verpflichtet wurde. Und obwohl man nach nur drei Konzerten vom Headliner in die Wüste geschickt wurde, dauerte der Trip ganze drei Monate: Deep Purple hatten ausgiebig Gelegenheit, ihre wachsende Popularität zu untermauern.

Nachdem die Aufnahmen zum dritten Album DEEP PURPLE beendet waren, ging es im April und Mai 1969 ein zweites Mal in die Staaten – bevor man überhaupt englische Bühnen betrat. Die Tour bedeutete zugleich das Ende der ersten Purple-Formation. Sänger Rod Evans und Bassist Nick Simper wurden gefeuert.

Es war schon lange kein Geheimnis mehr, daß John Lord wie auch Ritchie Blackmore mit der musikalischen, aber auch personellen Entwicklung der Band höchst unzufrieden waren. John Lord: „Unsere ersten drei Alben wurden viel zu schnell eingespielt, weil die Manager ihr investiertes Geld zurückhaben wollten. Dummerweise hatten wir unsere Identität als Band noch immer nicht gefunden. Wir wußten einfach nicht, wer wir eigentlich sein wollten. Und in dieser Phase stellte sich heraus, daß Rod Evans und Nick Simper die falschen Leute waren. „

Die Situation, in die sich die Band selbst manövriert hatte, ähnelte der Suche nach dem berühmten Stein der Weisen: Einerseits wollte man sich von dem Covern und Adaptieren, das den Stil der ersten Alben geprägt hatte, endgültig lösen: andererseits fehlten die geeigneten Songs, um den Sprung nach vorne zu schaffen.

„£s gibt ein berühmtes Stück des italienischen Schriftstellers Pirandello: .Sechs Figuren suchen einen Autor. Und wir waren anfangs fünf Musiker auf der Suche nach einem Stil. Wir wußten, daß wir gute Ideen hatten, aber nicht, wie wir sie umsetzen sollten. Deshalb spielten wir diese Cover-Versionen von ,Hush‘. ,River Deep Mountain High‘ und die Beatles-Songs. Es hat uns 14 Monate gekostet, um den richtigen, nämlich unseren eigenen Weg zu finden. „

Am 10. Juli 1969, nur sechs Tage nach dem offiziellen Abschied der „Mark T-Formation, präsentierte sich „Mark II“ mit lan Gillan als Sänger und Roger Glover als Bassist in Londons Speakeasy Club.

Die Weichen waren gestellt. Lord und Blackmore hatten – mit Paices Unterstützung – erfolgreich die Fäden gezogen und so. damals wohl noch ohne ihr Wissen, das erfolgreichste Kapital der Bandgeschichte aufgeschlagen.

„In der damaligen Situation haben sich Ritchie. lan und ich zusammengesetzt und gemeinsam überlegt, wie und wo ’s weitergehen sollte. Wir waren überzeugt, daß diese Band den Durchbruch schaffen konnte, wenn sie sich nur weiterentwickelte.

Das geschah denn auch, als Ian Gillan und Roger Glover zu uns kamen: da erst wußten wir. daß wir im richtigen Boot saßen.

Man hatte uns schon vorher von Gillans Gesang erzählt. Und so sahen wir uns eines seiner Konzerte an und waren sofort überzeugt.

Bei der Gelegenheit fiel uns auch der Bassist der Band auf. Doch Roger lehnte unser Angebot ab: er wollte bei Episode Six bleiben. Einen Tag später hatte er seine Meinung geändert und stieg ebenfalls ein.

Ian und Roger wußten genau, was sie wollten, und das entsprach exakt unseren Vorstellungen. Von dem Zeitpunkt an, August 1969. ging es bis Ende ’72 nur noch aufwärts. „

Der unaufhaltsame Aufstieg der Hardrock-Könige nahm seinen Lauf. Hals über Kopf und voller Enthusiasmus stürzte man sich in die Arbeit, schrieb neue Songs, darunter auch den Klassiker „Child In Time“, der von der Idee her „dem Song ,Bombay Calling‘ der amerikanischen Band It ’s A Beautiful Day entlehnt war“, wie Ian Gillan zugibt.

Während sich die einen noch den Kopf darüber zerbrachen, wie das stilistische Kleid der Band endgültig aussehen sollte, saß der andere bereits an den Vorbereitungen zu seinem „Concerto“. Jon Lord hatte sich seit Jahren mit der Idee befaßt, ein Konzert für Rockband und Orchester auf die Bühne zu bringen. So ungewöhnlich dieses Vorhaben auch erschien, so engagiert hielt er an dessen Verwirklichung fest.

„Das ist eine interessante Geschichte. Ich hatte mich mit diesem Projekt schon lange beschäftigt. Als ich einmal eine Platte von Dave Brubecks Jazz Quartett mit dem New Yorker Symphonie-Orchester gehört hatte, wollte ich etwas Ähnliches versuchen. Nur daß diesmal eine Rockband mit einem Symphonie-Orchester zusammen spielen sollte. Ich erzählte Tony Edwards davon. Eines Tages meinte er nur: „Ich habe bereits die Royal Albert für euch gebucht. Das kam dann doch aus heiterem Himmel. Also mußten wir Tag und Nacht schuften, um überhaupt was auf die Beine stellen zu können. Ich habe alles, von den Flötensätzen bis hin zum Doppel-Baß, allem geschrieben. „

Man stelle sich vor: Eine Rockband, die nicht gerade durch kultiviertes Auftreten glänzte, musizierte mit einem 110 Mann starken philharmonischen Orchester in der ehrwürdigen Royal Albert Hall.

Was niemand, nicht einmal der größte Optimist unter ihnen erwartet hatte, trat ein: Das einmalige Experiment, am 24. September uraufgeführt, ein Novum in der Rockgeschichte, markierten ebenso wie das anschließende Album CON-CERTO FOR GROUP AND ORCHESTRA den Wendepunkt in Purples Karriere.

Nun war England am Zuge. Presse und Publikum waren sich inzwischen einig – diese Band hatte ihre musikalische Substanz eindrucksvoll unter Beweis gestellt. „Dabei hatte das nichts mit Deep Purple zutun, sondern basierte vielmehr auf meinen verrückten Ideen. Doch das Ausmaß an Publizität, das wir dadurch erlangten, hat uns ungeheuer geholfen, auch später dann, als IN ROCK erschien“, urteilt Jon Lord aus heutiger Sicht.

Noch eindeutiger und im Tenor enthusiastischer fielen die Reaktionen auf ihre nächste LP aus. DEEP PURPLE IN ROCK war ihr musikalisches Credo, ein Meisterwerk, die Krönung des Hardrocks Anfang der 70er Jahre, mit dem sich die fünf Musiker selbst ein Denkmal setzten.

Jeder der sieben Songs, sei es etwa das fulminante „Speed King“, das bizarre „Living Wreck“ oder das hymnische „Child In Time“, zeigten die Band auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität. Elemente aus der Klassik, die Lord auf seiner Hammond-Orgel ausgiebig inszenierte, vermischten sich nahtlos mit harten, wenn auch durchweg melodischen Rock-Phrasen, die Blackmore auf seiner Gitarre beisteuerte.

Auch wenn die beiden oft den Eindruck erweckten, als wären sie menschlich und musikalisch völlige Antipoden, als gäbe es kaum einen gemeinsamen Nenner, so ergänzten sie sich doch, nicht nur auf IN ROCK, in ihrer Gegensätzlichkeit. Wer genauer hinsah, mußte entdecken. daß ihr ständiges Spannungsverhältnis das eigentliche Kraftzentrum der Band war.

Der Erfolg des Albums, das sich in Großbritannien 47 Wochen in den einheimischen Charts halten konnte (Die Single „Black Night“ brachte es erstmals bis auf Platz zwei) gaben ihnen jedenfalls Recht.

Jon Lord beschreibt sein Verhältnis zu Blackmore so: „Viele Leute haben eine völlig falsche Vorstellung von Ritchie und mir. Sie meinen, wir seien wie Öl und Feuer. Stimmt nicht! Wir sind wie Ol und Essig – und mischt man beides lange genug miteinander, erhält man ein vorzügliches Salat-Dressing. Wir sind nicht unbedingt das. was man enge Freunde nennt, doch kommen wir gut miteinander aus. Das reicht für die Musik.“

Geht man noch mehr ms Detail, so wird man schnell feststellen, an welchem Punkt sich ihre sonst so kontroversen Interessen trafen. Es ging um klassische Musik, um Zitate und Anleihen, die man vor allem live in die Songs integrierte. Der eine Pianist mit klassischer Ausbildung, der andere ein Gitarrist, für den laut eigener Aussage bis heute „Johann Sebastian Bach der Komponist schlechthin ist“.

„Das ist genau die Nahtstelle, an der wir zusammenkommen“, erläutert Lord. “ Vor allem auf der Bühne berührten sich unsere klassischen Interessen: Ich mußte damals einen Weg finden, meine Orgel so zu spielen, daß sie Ritchies Gitarre immer wieder ergänzte, ähnlich wie Jimmy Smith oder Brian Auger. Das ging schließlich soweit, daß ich Ritchies Akkorde schon ahnte, quasi roch, bevor er sie überhaupt gespielt hatte.“

Auf der Bühne konnte man manchmal aber auch die exzentrische, bisweilen sarkastische Ader des Mister Blackmore erleben. Wie angewurzelt stand er in seiner Ecke, in demonstrativer Distanz zum Rest der Gruppe, den Blick starr aufs Instrument gerichtet, während seine schmalen Finger übers Griffbrett glitten und mit jedem Riff den Lärmpegel in die Höhe trieben.

Auf diese Weise handelte man sich bald den wenig schmeichelhaften Titel „Dezibel Dämonen“ ein, eine Auszeichnung, die man 1972

durch die Eintragung im „Guiness Book Of Records“ als „lauteste Pop-Gruppe“ gar noch zu steigern wußte.

Aufschlußreich für Blackmores schwarzen Humor war auch ein Vorfall, der sich Anfang 1971 auf ihrer ersten großen und offiziellen England-Tour ereignete. Roger Glover, der etatmäßige Bassist, litt unter einer mysteriösen Krankheit. Worauf Ritchie den Vorschlag machte: Falls Roger auf der Tour abkratzen sollte, wäre es am besten, wenn dies auf der Bühne geschehe, als Teil ihrer Show…

Im Juli 1971. kurz vor dem Startschuß zur nächsten Amerika-Reise, wurde FIREBALL veröffentlicht, über dessen Qualitäten man allerdings innerhalb der Band geteilter Meinung war. Glover war enttäuscht. Gillan und Lord halbwegs zufrieden und Ritchies lapidarer Kommentar lautete: „FIREBALL war ein Schuß in den Ofen. „

So schnell mußte man die Flinte aber nicht ins Korn werfen. Rang 32 in den Staaten und eine Top-Position auf der heimischen Insel waren am Ende die Ausbeute für eine musikalisch mittelmäßige Leistung.

Touren. Touren und nochmals Touren, dies- und jenseits des Atlantiks, dazwischen immer wieder aufreibende Studio-Sessions waren der eiserne Kreislauf, der den Alltag der Band bestimmte. So war man kaum aus den USA zurückgekehrt, da standen schon die Aufnahmen zu MACHINE HEAD vor der Tür. Aus steuerlichen Gründen fiel die Wahl des Studios auf das Casino im schweizerischen Montreux, wo sich die Band plus Co-Produzent Martin Birch am 6. Dezember 1971 versammelte.

Ein Brand, der im Anschluß an ein Zappa-Konzert den Platz völlig verwüstete, veranlaßte sie umgehend, ms leerstehende Grand Hotel zu ziehen. Auf diesen Zwischenfall bezog sich lan Gillan in dem berühmten Song „Smoke On The Water“: „We all came out to Montreux On the lake Geneva shoreline To make records with a mobile But some stupid with a flare gun Burned the place to the ground“. und einige Zeilen danach: „We ended up at the Grand Hotel it was empty cold and bare“.

„Smoke On The Water und „Highway Star“ waren die Highlights dieser überragenden LP. die mit drei Millionen Exemplaren zugleich auch Purples Topseller wurde. Zu keiner Zeit, weder davor noch danach, hat lan Gillans Gesang jemals wieder die lyrische Plastizität und den großen Ausdruck erreicht.

Daneben bestach die instrumentale Geschlossenheit, das blinde Verständnis zwischen Blackmores Gitarre und Lords Orgel auf der einen, Glovers präzisen Baßläufen und Paices ebenso versiertem wie technisch perfektem Schlagzeug auf der anderen Seite.

Hatte IN ROCK noch die Phase schöpferischer Neugier und Unruhe und eine für dieses Genre beachtliche kompositorische Vielfalt dokumentiert, so zeichnete sich MACHI-NE HEAD vor allem durch seine Reife und bisweilen bizarr schillernde Eleganz aus.

1972 wurde ein Meilenstein in ihrer Geschichte: es war das Jahr ihrer größten Triumphe. Deep Purple avancierten weltweit zum millionenschweren Mega-Seller. Man wurde mit Gold- und Platin-Lorbeeren förmlich überschüttet. Der Rubel rollte.

Fünf Amerika-Tourneen hatte man zu absolvieren: eine weitere, es wäre die sechste geworden, fiel letztlich nur wegen Krankheit ins Wasser. Blackmore hatte sich wie schon zuvor Roger Glover Hepatitis zugezogen. Erst nach seiner Genesung wurde das Mammut-Programm fortgesetzt, machte man in Europa und Japan Station, wo das live-Album LIVE IN JAPAN mitgeschnitten wurde.

Bei allem Glanz und aller Glorie, die sie rund um den Globus begleiteten, konnte man nur mit Mühe das gereizte, frostige Klima in den eigenen Reihen verbergen. Streß und Streit waren längst an die Stelle früherer Kooperation getreten.

Jon Lord: „Wir waren in jenem Jahr insgesamt 40 Wochen auf Achse und am Ende völlig erschöpft, sowohl physisch als auch psychisch. Aus jedem kleinen Streit wurde gleich eine handfeste Auseinandersetzung, die nicht selten in Schlägerein ausartete. „

Sänger lan Gillan zog als erster die Konsequenzen: Er reichte seinen Abschied ein. In einem Brief, addressiert an John Coletta und Tony Edwards, die geldgierigen Manager des Purple-Imperiums. erläuterte er seine Entscheidung: „Alles in allem glaube ich. daß aus Deep Purple eine stagnierende Maschine geworden ist. die nichts mehr gemein hat mit der innovativen Gruppe, die sie einmal war.“

Jon Lords Meinung fällt noch unmißverständlicher aus: „Wenn wir damals nur Leute hinter uns gehabt hätten, die sich wirklich Gedanken um uns machten! Doch sie ignorierten solche Entwicklungen, waren nur daran interessiert, soviel Kapital wie möglich aus uns zu schlagen. Wir waren müde und wollten nur unsere Ruhe haben, aber sie meinten: ,Macht weiter, spielt hier, spielt dort. Es war als ob man einem erschöpften Esel ständig mit Futter winkt, um ihn so zum Weitermachen zu animieren.“

Gillan hatte sich in jenem Brief zugleich verpflichtet, seinen Entschluß nicht vor Ablauf sämtlicher Konzert- und Platten-Verpflichtungen publik zu machen. WHO DO WE THINK WE ARE, eine mehr als ironische Anspielung auf den desolaten Zustand der Band, wurde Ende 72 in USA und im März 73 dann auch in England veröffentlicht und war zugleich die letzte gemeinsame Studio-Produktion von Deep Purple „Mark II“. Gillan und mit ihm auch Roger Glover stiegen nach einem Konzert im japanischen Osaka, am 29. Juni 1973, endgültig aus.

Bevor der Bruch akut wurde, hatten Lord, Paice und Blackmore bereits nach Ersatz für Glovers vakanten Posten Ausschau gehalten. Man einigte sich auf Glen Hughes, der bis dahin als Bassist im Dienst von Trapeze gestanden hatte. Weitaus komplizierter erwies sich die Frage des neuen Sängers.

“ Wir wurden überredet, um jeden Preis einen neuen Sänger zu linden, damit die Band nicht auseinanderbrach. So mußten wir denn eine Unzahl von Demo-Cassetten über uns ergehen lassen. Ich hatte schließlich die Nase voll davon, mir irgendwelche untalentierten Sänger anhören zu müssen.

Und als mir Coletta eines Tages eine weitere vorspielen wollte, weigerte ich mich anfangs, da ich mir ohnehin nicht mehr sicher war. ob wir als Band überhaupt weitermachen sollten. Aber es gelang ihm. mich noch einmal zu überreden und so hörte ich sie mir an, rein zufällig, und es war: David Coverdale.“

Am 23. September 1973 stellten sich Deep Purple „Mark III“ mit neuen Gesichtern der Öffentlichkeit. Es hatte anfangs den Anschein, als habe die dezimierte Supergroup ihr Tiel überwunden und wieder an einen gemeinsamen Tisch zurückgefunden. Doch die optimistischen Mienen, die man nach außen hin zur Schau trug, täuschten.

Denn hinter den vom Management sorgsam gepflegten Kulissen war die Frage, wer die lead-vocals übernehmen, wer denn der eigentliche Sänger sein sollte, noch längst nicht entschieden. Hughes pochte auf sein Recht ebenso wie Coverdale.

BURN. das erste Album von 74. mußte die Antwort geben: Coverdales Stimme dominierte eindeutig. Er war der bessere, vermutlich der beste Sänger, den Deep Purple je hatten. Sein Gesang verriet Soul-Einflüsse und besaß ein Blues-Feeling. das sowohl Hughes‘ Versuche, aber auch Gillan an Intensität in den Schatten stellte. Doch seine Leistungen allein konnten die musikalische Talfahrt der Band und ihre innere Zerrissenheit nur bremsen, nicht aber aufhalten.

Besonders Blackmores Nervenkostüm wurde schwächer und schwächer und zeigte schließlich große Risse, wie das Konzert bei dem „California Jam“. in Ontario/ USA am 6. April des gleichen Jahres, verdeutlichte. Purple waren die Headlmer dieses gigantischen Spektakels, das über 200000 Zuschauer anlockte.

Von seiten der Band gab es nur

eine einzige Auflage: Der Kameramann durfte sich unter keinen Umständen zwischen Ritchie und das Publikum drängen. Als er die Anweisung dennoch mißachtete, zertrümmerte Ritchie die Kamera mit seiner Gitarre. Er war so in Rage, daß er darauf seinem Roadie befahl, die Lautsprecher in Brand zu stecken. Am Ende mußte sich das Management bei den örtlichen Behörden entschuldigen und für den entstandenen Schaden aufkommen.

Die Band driftete offensichtlich in eine Sackgasse. Je mehr sich Blackmore von ihr abwendete und wie bei STORMBRINGER im Hintergrund hielt, um so auffälliger wurde die Ratlosigkeit der anderen.

Deep Purples Stunden waren gezählt. Blackmores Solo-Versuch unter dem Titel RITCHIE BLACKMO-RES RAINBOW aus dem Jahre 1975 und sein letztes Konzert im Pariser Olympia waren nur das Vorspiel zum großen Sterben, zum Scheitern der einst so grandiosen Band.

Daran konnte auch Tommy Bolin. der amerikanische Gitarrist und Nachfolger Blackmores, nichts ändern. COME TASTE THE BAND, die letzte reguläre LP der ruhmreichen Fünf glich einer Bankrotterklärung. Am 6. Juli 1976 wurde Deep Purples Ende in einem offiziellen Schreiben an die Presse bestätigt.

Der Satz in dem Communique, daß die Band sich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens verabschieden wolle, wirkte geradezu lächerlich. Denn obwohl die Plattenumsätze auch noch in den letzten Jahren enorm waren, hatte sich Purples kreativer Stern längst in eine Schnuppe, einen kalten Meteoriten verwandelt.

An dieser Stelle auf die diversen Solo-Projekte der einzelnen Musiker, sei es lan Gillans Band oder Rainbow, ausführlich eingehen zu wollen, würde den Rahmen der Story sprengen. Deshalb nur soviel: Das Gerücht, die legendäre“.Mark IT-Besetzung wolle einen neuen Versuch wagen, kam immer dann auf, wenn die betroffenen Splittergruppen nur mäßigen Erfolg verzeichnen konnten.

Das bringt mich auf die Idee. Jon Lord nach den Motiven ihrer überraschenden Reunion anno 1984 zu fragen. War den alten Herren vielleicht das Geld ausgegangen oder steckten wirklich ernsthafte Ambitionen hinter dem Comeback, das man mit PERFECT STRANGERS wagte?

Jon Lord: „Ich wäre ein Lügner, wenn ich nicht zugeben würde, daß auch finanzielle Erwägungen eine gewisse Rolle gespielt haben. Wäre das jedoch der alleinige Grund für das Comeback, so kann ich nur sagen: ,Es gäbe ein Disaster.‘ Unser ganzes Ansehen, für das wir so hart gearbeitet haben, wäre in fünf Minuten null und nichtig. Es gab vielmehr ein grundsätzliches Bedürfnis aller fünf Musiker, das uns wieder an einen Tisch gebracht hat. Das allein ist der wahre Grund. „