Die Keller Kinder
Duisburg-Neudorf, eine Gegend, in der man noch wohnen kann in dieser Stadt – ruhige Straßen, grüne Gärten, schöne Häuser. Wir sitzen in einem von ihnen: offener Kamin und Ledergarnitur im Wohnzimmer signalisieren Wohlstand. „Ja,“ sagt mein Gesprächspartner, „es kommt schließlich öfter mal vor. daß wir 1000 Leute im Saal haben. „
Eine populäre deutsche Gruppe? Eine Band, die es versteht, ihre Charts-Plazierungen und Plattenumsätze durch gut besuchte Konzerte zu versilbern?
Leider völlig falsch getippt. Zwar kann diese Gruppe mit ungetrübtem Optimismus in die Zukunft sehen – ihr Auftrittskalender ist bereits bis ins nächste Jahr gut gefüllt; von Plattenverkäufen aber nicht die Spur! Seit über fünf Jahren hat unsere Band keine einzige Platte mehr veröffentlicht.
Die Duisburger Bröselmaschine, mit ihrem Gründer und Chef Peter Bursch eine der ältesten deutschen Rockgruppen (1969 gegründet), sei hier nur als Beispiel für eine Szene genannt, die – nach den Medien zu urteilen – heute gar nicht mehr existiert, nie im Fernsehen auftaucht, nie mit Presseartikeln bedacht wird.
Aber es gibt sie, die Szene, die das Erbe der 70er oder gar 60er Jahre verwaltet, als man sich selbst im Ausland über den Krautrock made in Germany zu wundern begann. Manche sind aus dieser Zeit übriggeblieben, einige nach wie vor bei einem eingeschworenen, nicht gerade kleinen Fankreis erfolgreich siehe Eloy, Franz K. oder Grobschnitt; andere, wie Birth Control, wenig erfolgreich, aber nach wie vor aktiv.
Wieder andere, die aus dieser Tradition kommen, sind nachgewachsen – wie Anyones Daughter, die gut 150000 LPs verkauft haben und nach einjähriger Bühnenabstinenz bei ihrer Herbsttournee mit Fan-Ovationen rechnen können, zumindest im Süden der Republik.
Oder es gibt Leute wie Schwoißfuaß, ebenfalls aus dem schwäbischen Raum, die, mißtrauisch gegenüber modernen Vermarktungsmechanismen, lieber alles selbst in die Hand nehmen und trotzdem sechstellige Plattenumsätze erreichen. Eine britische Plattenfirma warb einst mit dem Spruch: „If you don’t promote. a terrible thing happens: Nothing!“ („Wenn du nicht die Werbetrommel rührst, passiert etwas Schreckliches: nichts!“). Auf I den ersten Blick vielleicht, aber ‚ diese andere Wirklichkeit der deutschen Rockmusik, sie lebt und überlebt fast ohne Promotion; ja-wie im Falle Bröselmai schine – sogar ohne Plattenveröffentlichungen.
Ja, geht denn das überhaupt? Und wenn, wie geht das? Machen wir eine Entdekkungsreise durch die „andere“ Rockszene, eine, für die man heute keinen Namen, nicht mal eine Schublade mehr parat hat.
„Deutsch-Rock“. Der Terminus wäre vom geschichtlichen Ursprung sicher brauchbar, aber dieses Wort, vor zehn Jahren noch gesellschaftsfähig und klangneutral, ist mittlerweile zum Schimpfwort verkommen, mit dem man die ewig Gestrigen verhöhnt, die „immer noch nichts gelernt“ haben.
Aber es hat wohl auch keinen Sinn, einen Sammelbegriff finden zu wollen; zu verschieden sind die Geschichte und die Geschichten, die diese Bands zu
erzählen haben. Kaum anzunehmen, daß sich Schröderderselben Szene zuordnen ließen wie Eloy – oder Embyo besonders glücklich wären, mit Novalis verglichen zu werden.
Es gibt trotzdem einen Faktor, der sie alle’zu zwangsweisen Bundesgenossen macht: die weitgehende Mißachtung durch das normale Musikbusiness,’durch Plattenfirmen und Medienleute. Und wenn dann doch mal welche anklopfen, wie im Falle dieses Artikels, ist (berechtigtes?) Mißtrauen nicht weit.
Hage Hein, Manager von Schröder, (das Wort „Roadshow’im Namen ist Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen), spricht die Bedenken offen aus:
„Wenn ihr so einen Artikel schreibt, dann zementiert ihr doch nur das Bild von den medien-gebeutelten Außenseitern, die sich zwar Tag für Tag den Arsch abspielen – und trotzdem auf keinen grünen Zweig kommen. “ Da mag was Wahres dran sein – aber ist ihm das Gegenteil denn lieber .?
Bleiben wir beim Stichwort „Spielen“. Denn Konzerte sind das zweite Bindeglied zwischen allen Bands, um die es hier geht; das A und O ihrer Existenz. Alex (Wiska), dessen Trio Oriental Experience seit einigen Jahren durch die Ex-Birthcontrol-, Ex-Message-Musiker Manni von Bohr und Horst Stachelhaus komplettiert wird:
„Ich lebe ausschließlich von Gigs – 1983 waren es 150, davon 26 Open Air-Festivals.
Ich spiele heute viel mehr als früher – und die Gagen sind erfreulicherweise auch besser geworden „
Daß da möglicherweise auch Zweckoptimismus mitspielt, ist zwar angesichts des neu erworbenen Mercedes‘ nicht anzunehmen, aber ganz so einfach ist es nicht immer Besonders dann nicht, wenn die Helden einer bestimmten Region in die Diaspora aufbrechen.
Werner Bauer, Manager der in Baden-Wurtemberg überdurchschnittlich erfolgreichen Anyones Daughter: „Was wir in unseren Hochburgen an Überschüssen erwirtschaften, brauchen wir zum Teil, um die Defizite zu decken, die nördlich der Mainlinie auf uns warten. Früher gab es da wenigsten noch Stadtverwaltungen. Unis etc.. die bereit waren, eine angemessene Garantie-Gage zu zahlen. Aber Rockkonzerte fallen zuerst hinten rüber, wenn gespart werden muß – da sind die geringsten Widerstände zu erwarten.“
Interessanterweise gibt es im Schwäbischen gleich zwei Bands, die sich in ihrer Heimal zu Lokalmatadoren hochgespielt haben, deren Namen aber anderswo kaum auf Widerhall stoßen. Die zweite trägt den wenig ästhetischen Namen Schwoißfuaß, was aber in puncto Erfolg nicht besonders hinderlich gewesen sein kann. Im Gegensatz zu (den an die britische Progressive/Art-Rock-Tradition anknüpfenden) Anyone’s Daughter, die stets über reguläre Plattenfirmen ihre Produkte vertreiben ließen, bestanden Schwoißfuaß immer darauf, alle Fäden in der Hand zu haben Zumal auch ihr Musik-Verständnis ein anderes, wesentlich politischer orientiertes ist.
Alex Köberlem. Musiker und Manager in Personalunion:
..Vor nicht allzu langer Zeit konnten wir uns noch nicht vorstellen, eine Single zu veröffentlichen oder im Fernsehen mit Playback aufzutreten. Aber ohne Kompromisse geht es wohl nicht. Nur gibt es dabei gewisse Grenzen: Wir wären z B. unter bestimmten Konditionen bereit, zu einer Industriefirma zu gehen; aber wenn uns dann ein Labelmanager sagt: Es soll ja heute immer noch Gruppen geben, die nicht in der ZDF-Hitparade auftreten wollen‘, dann läuft das nicht. Für uns ist wichtig, daß Musik nicht zur Ware verkommt. Wir verkaufen schließlich keine Zahnpasta.“
Also betreiben sie weiterhin ihr eigenes Label, verbringen neben der Musik bis zu 60 Wochenstunden im Büro, um die anfallende Arbeil zu erledigen. Angestellte gibt es bei ihnen nicht, dazu wurde das Geld auch nicht reichen, obwohl sie ein dreiviertel Jahr im voraus mit Konzerten eingedeckt sind. Das Finanzamt hat ihnen gerade eine Steuernachzahlung von 80000 DM aufs Auge gedrückt; da losen sich die Ersparnisse in Luft auf !
Trotzdem halten sie sich nach wie vor an die eiserne Regel, ihre Eintrittspreise zwischen sechs und neun Mark anzusiedeln – und keinen Pfennig höher! Köberlein: „Alles andere wäre eine Milchmädchenrechnung. Doppelter Preis hieße bei unserer Publikumsstruktur höchstens die Hälfte der Zuschauer, und da haben wir lieber eine volle Halle. “ Ohne Roaderew, ohne Agenturen, die nochmal die Hand aufhalten, bleibt immer noch genug Geld übrig.
Auf ähnliche Relationen setzt auch die Bröselmaschine:
„Höchstens 30 Prozent der Gage dürfen für Kosten draufgehen: so gehören wir netto bestimmt zu den besser bezahlten Musikern in Deutschland.“ Peter Bursch ist sicher,’daß die beiden Musiker, die er vor einem halben Jahr an Klaus Lage „verlor“, finanziell bei ihm besser dran waren. Nur: „Die wollten halt bekannter werden. „
Realistische Ziele im Auge zu behalten, ist für Bursch auch ein wesentlicher Grund, warum seine Gruppe jene Jahrzehnt-Wende überlebt hat. nach der die meisten Gruppen aus der guten, alten Zeit durch die NDW weggeschwemmt wurden:
„Gruppe wie Hölderlin oder noch früher Nektar waren an den gigantischen technischen Aufwand gebunden, den sie ihren großen angloamerikanischen Vorbildern abgeguckt hatten. Ohne Lightshow und großes PA konnten sie praktisch nicht auftreten; und dieser finanzielle Druck wurde zu Beginn der 80er Jahre untragbar. Wir sind immer davon ausgegangen, daß unsere Musik auch mit einem kleinen Kofferverstärker rüberkommen muß.“ Ein interessantes Statement, das auch von einem der Bombast-Geschockten der Punk-Ära hätte stammen können: Verweigerung der Technik als Reaktion auf die Gigantomanie der 70er. An der letzten Endes auch eine der ehemals gefragtesten deutschen Live-Bands, Satin Whale, zugrunde ging. Gründer und Kopf Thomas Brück, heute als Produzent und Toningenieur in der Kölner Studioszene fest im Sattel: „Die Produktionskosten der Tourneen wuchsen ins Unermeßliche. Dafür gingen zum Schluß selbst die Einnahmen aus unseren LPs drauf. Und dann kam plötzlich die NDW- und das, wofür wir zehn Jahre lang gearbeitet hatten, die Vervollkommnung unserer musikalischen und technischen Fähigkeiten, sollte auf einmal völlig wertlos sein. Da war der Punkt gekommen, die Band aufzulösen. Ich möchte die Jahre mit Satin Whale nicht missen, aber unter den gleichen Umständen würde ich es heute nicht nochmal machen. „
Es gibt aber auch Bands, die jahrelang als altbacken und musikalisch überholt abgetan werden – und dann plötzlich allen Kritikern zeigen, was eine Harke ist. Sechseinhalb Jahre haben die Rodgau Monotones Wochenende für Wochenende alle Clubs und Festzelte in Hessen rauf und runter gespielt, ohne auch nur einmal das Interesse einer größeren Plattenfirma zu gewinnen. Ironie des Schicksals: Dieselbe Firma, die jetzt ihren Hit“.Die Hesse komme!“ unter Vertrag hat, winkte vor zwei Jahren noch ab – obwohl sich die Musik des hessischen Sechserpacks nicht wesentlich geändert hat. Es heißt immer noch „Volle Lotte“ – vor allem bei Konzerten.
Sänger Peter Osterwold: „Die Konzerte sind immer schon tierisch gelaufen, das hat uns motiviert. Aber wir haben auch nie auf den großen Durchbruch gewartet. Die Konzerte haben Spaß gemacht, alles weitere kam mehr oder weniger automatisch. Jetzt haben wir auf einmal 14 Fernsehauftritte, sind mit LP und Single hoch in den Charts, spielen vor Tausenden von Leuten. Aber wenn das mal irgendwann wieder vorbei ist auch nicht so tragisch.“
Als durchaus tragisch empfindet allerdings Hage Hein die Situation der von ihm vertretenen BandSchroeder.der auch der letztjährige Wechsel zur Industrie kaum Nutzen gebracht hat: „Von ANARCHIE IN GER-MONEY haben wir 1979 bei Trikont (Alternativ-Vertrieb) 25000 Stück verkauft; die Verkaufszahlen der letzten LP WIR LIEBEN DAS LAND waren kaum der Rede wert. Die Erwartungen, was unsere Plattenfirma für die neue LP tun wird, können kaum geringer sein…
Auf der anderen Seite gibt’s auch Probleme mit den Radioleuten – und das ist schon irgendwie schizophren. Früher hieß es immer:, Um Gottes willen – mit solchen Texten können wir euch ja nicht im Rundfunk spielen!‘ Dieselben Leute entrüsten sich nun über die angeblichen .Schmachtfetzen‘, die wir heute machen – und bestrafen uns wieder durch Nichtbeachtung. „
An diesem Punkt mischt sichauch bei Peter Bursch Verbitterung in die Stimme: „Wir hätten neulich in. Rock aus dem Alabama‘ (regionale TV-Sendung in Bayern) auftreten können, aber da sollten wir Playback spielen, obwohl wir eine reine Live-Band sind. Wenn der Regisseur sich darüber im klaren gewesen wäre und uns einen Live-Auftritt zugetraut hätte: wäre es bestimmt zu einer Einigung gekommen. Wir hätten auch unsere Kosten selbst getragen, was bei anderen Gruppen in der Regel die Plattenfirma tut. Aber durch das Unverständnis der Verantwortlichen ist das leider in die Hose gegangen.“
Soweit kommt es bei Acapulco Gold aus Köln meist gar nicht. Obwohl mit drei LPs, guten Kritiken und ausreichendem, wenn auch nicht riesigem Publikum gesegnet, ist ihre Geschichte eine der verpaßten Chancen: „Mit der ersten LP sind wir in die falsche Zeit gekommen – da war New Wave angesagt, und Rockmusik wollte keiner hören. Dann sind wir immer an die falschen Leute geraten, die für uns arbeiten wollten; dann ist der Vertrieb zusammengebrochen. Und daß aus Köln BAP bekannt geworden sind – und nicht wir. braucht man keinem zu erzählen. Wir haben zwar unter gleichen Voraussetzungen angefangen, auch im .Chlodwig Eck‘ unsere Gigs gemacht, aber vielleicht waren wir zu chaotisch – und die einfach besser organisiert. „
So versuchen Acapulco Gold weiter, auf einen Zweig zu kommen, der so grün ist wie die Gras-Sorte, von der sie ihren Namen ableiten. Schließlich sind sie Musiker durch und durch; Band-Kopf Marcus Neu hat schon 1974 seine erste Platte gemacht und ist mittlerweile 35.
„Natürlich planen wir für die nächsten Jahre was sollen wir sonst tun? Keiner von uns hat je etwas anderes gemacht als Musik“, sagt auch Werner Bauer von Anyone’s Daughter mit einer Mischung von Optimismus und Resignation.
Man mag sich fragen, warum wir den „großen arten“ Bands an dieser Stelle nicht breiteren Raum gewidmet haben. Schließlich erweisen sich manche der heute noch aktiven Acts jedes Jahr aufs Neue und allen
Trends zum Trotz als Stehaufmännchen in der Publikumsgunst. Ihre Jetzt-Erst-Recht-Einstellung bringt Gerd O. Kühn auf den Punkt. Boß von Grobschnitt und besser bekannt als Lupo: „Die ewigen Branchen-Besserwisser wundern sich immer, wenn bei unseren Konzerten 3000 Leute auf der Matte stehen, weil sie denken: Mit den Jungs muß es ja langsam mal vorbei sein so lange, wie ’s die schon gibt.‘ Aber Grobschnitt mußt du immer so sehen, als ob es uns erst seit einem Jahr gibt – so fit fühlen wir uns. „
Ähnlich geht es Franz K., die mit ihrem „Rock n‘ Roll im Bundestag“ erst jüngst wieder einen Single-Achtungserfolg zu verzeichnen hatten und Woche für Woche ihre alte, aber immer noch aktuelle Devise „Bock auf Rock“ auf Konzerten unter Beweis stellen.
Kein Grund zur Resignation auch bei ehemals klangvollen Namen wie Novalis, Jane, Fargo, die sogar im Ausland beachtliche Erfolge hatten, Guru Guru, Kraan. Wolfsmond und wie sie alle heißen – Eloy nicht zu vergessen.
Die Mannen um Frank Bornemann, der jahrelang als Zielscheibe der Journalisten herhalten mußte, bringen es sogar fertig, fast jede ihrer LPs in den Verkaufshitparaden unterzubringen und – wie unlängst in London – auch im Ausland Achtungserfolge zu feiern.
Trotzdem: Es soll bei dem kurzen Streifzug bleiben, wenn auch diese Gruppen mit ganz ähnlichen Widrigkeiten zu kämpfen und zu leben haben wie die anderen, die zu Wort gekommen sind.
Die Gretchenfrage nach dem Neid auf die, die es „geschafft“ haben, die mit ihren Erfolgen im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, habe ich allen Ge- ¿ sprächspartnem gestellt – und meist halten sie es ähnlich wie Alex Wiska: „Klar, ich habe viele gesehen, die mich mit 180 rechts überholt haben. Wir haben z. B. mal auf einem Festival gespielt, bei dem im Vorprogramm am Nachmittag eine Band auftrat, die weder besonders gut war noch besonders ankam. Die hatte eine Sängerin namens Nena Kerner…
Naja, natürlich hätte ich auch gern die Goldenen an der Wand hängen – sähe bestimmt gut aus. Aber es würde nicht ein bißchen dazu beitragen, daß ich mich besser fühle als jetzt. Ich habe einen tollen Beruf. Mir geht es gut.“