Die Knute des Instinkts
Im Grunde waren es ganz gewöhnliche Pop-Mechanismen, die da abliefen. Wie beim unwiderstehlichen Sommerhit, bei dem „jeder“ mit“muss“. Nur dass den Appeal hier nicht etwas bewirkte, das mit erworbenen Kulturtechniken greifbar wäre, sondern etwas sehr viel Kraftvolleres, Tieferes: Wer sich das Eisbärenjunge Knut und sein Getapse „reinzog“ und halbwegs mit seinen Urinstinkten in Kontakt steht, konnte schier nicht anders, als es niedlich finden; Kindchenschema, Schlüsselreize -ein starkes Pfund, um zu bezaubern. Befeuert von einem gaga, doch ganz erwartbaren Hype und begleitet von einem bizarren, doch ganz üblichen Vermarktungshupkonzert, schwoll die Mama an. An der arglosen Kreatur Knut zog sich-wie zuletzt nur am bundesweiten Kindergarten Fußball-WM mit seiner einmonatigen Lizenz zur Regression -einen Frühling lang das tiefe Bedürfnis einer verunsicherten Gesellschaft nach einer Ahnung von Sorglosigkeit hoch. Doch wie heißt es in „Schwere See“ von Element Of Crime: „Der kleine Hund, den du neulich erst gefunden hast (…). der mit seiner Niedlichkeit das ganze 5chiff entzückte – der ging gerade über Bord. Eben noch lustig, jetzt schon fort.“ Der Sommer ist vorbei, Knut verwächst sich und taugt nicht mehr zu Vermenschlichung und Einvernahme. In etwa 40 Jahren-diese Nachricht kam just im Summer Of Knut-wird der Eisbär, das Wappentier der Klimaerwärmung, in freier Wildbahn ausgestorben sein. Vielleicht sind sie zu Knut gerannt, um sich stille Absolution zu holen.