Die Linse im Sturm
Wen das tröstet, dem sei gesagt: Wenn es auf einem Festival regnet, regnet es auch hinter der Bühne. Beim Hurricane haben wir Bands und Künstler backstage aufgespürt, sind mit ihnen spazieren und verloren gegangen und haben sie ganz ohne große Scheinwerfer und Nebelmaschine inszeniert. Ein fotografischer Rundgang durch Scheeßel.
Das Festival im Norden endet wie erwartet: Dave Grohl tritt auf und reißt alles raus. Oder besser: mit. Ihn und seine ewig vorwärts rockende Band Foo Fighters zum Finale des Hurricane-Festivals zu buchen, war eine Wahl von prophetischer Voraussicht der Veranstalter. Denn am dritten Tag ziehen die grauen Wolken nicht mehr vorüber, sie bleiben und erleichtern sich über dem Eichenring. So einige der insgesamt 70 000 Zuschauer treten die frühe Heimreise an. (Auch die beiden Jungs, die als Batman und Robin verkleidet Hand in Hand und im Hopserlauf immer wieder und mit unkaputtbarer Fröhlichkeit das Gelände durchmessen haben, sind nicht mehr zu sehen.) Doch fast der ganze Rest wird entlohnt von Dave und seinen Jungs – nicht verkleidet, aber viel am Hopsen – reichlich Auftrieb und Energie, um bis zum Ende durchzuhalten.
Die ersten großen Gesten des Festivals setzt am Freitag Guy Garvey. Er dirigiert ausladend das bald wogende Publikum – und nicht etwa seine Band Elbow. Die beherrscht ihren Part als erweitertes Kammerpop-Ensemble, das einen einhüllt in Trost und wohlige Wärme, ohnehin so gut, dass kein Konzert des Festivals mehr besser klingen konnte. Die so düsteren bis harschen Portishead auf der Hauptbühne quasi als Warm-up vor Arcade Fire zu setzen, geriet dramaturgisch ein wenig unglücklich. Beth Gibbons entschuldigte sich sogar. Allerdings für ihren (einmal mehr etwas verhuschten) Auftritt und (einmal mehr nicht weniger als herzzerreißenden) Gesang. Was sie wohl meinte? Danach also das kanadische Indierock-Orchester auf der Headliner-Position, das seine Energie immer besser zu kultivieren weiß, unter Kinoleinwand und Volksfestfähnchen – es prasselt auf das ergebene Publikum rein, noch bevor dies der Regen tat. Von Incubus lässt sich das leider nicht sagen. Auch wenn Brandon Boyd auf dem Festival ungestraft den Jim Morrison geben darf (er singt „Riders On The Storm“ dann auch, damit das klar ist), bleibt der hymnische Alternative Rock seiner Band irgendwo hängen. In einem früheren Jahrzehnt. Auf einem anderen Festival. Oder hinter all den Indierockbands hier, die schlichtweg frischer klingen: Arctic Monkeys, Kasabian, Two Door Cinema Club, The Wombats, Glasvegas oder Portugal. The Man, die mit ihrem psychedelischen, auch nicht gleich in den nächsten Refrain flüchtenden Sound vielleicht noch am besten zu vergleichen sind.
Wer es übrigens nicht mehr in das überfüllte Zelt geschafft hat, um Bright Eyes zu sehen – kein Wunder, bei dem Wetter und bei dem Programm (The Kills, Lykke Li etc.) – war am Nachmittag hoffentlich wenigstens bei der Musikexpress-Autogrammstunde mit Warpaint dabei. Da war Connor Oberst Zaungast, vielleicht hat er sich ja ein wenig verknallt in eines der Mädels aus L.A. Und vielleicht tranken sie später ja einen Jackie-Cola am Lynchburg Square oder waren sogar noch tanzen. Gab ja Tanzmusik genug. Von Digitalism, Crookers, Hercules & Love Affair, Frittenbude usw. Und weit und breit keiner, der darüber diskutiert, wo Indie aufhört und Elektro anfängt. Ein schönes Hin- und Hinübergleiten hier oben. Gesegnet sei Scheeßel.