Die Regeln des Spiels


Yo La Tengo sind seit 28 Jahren integraler Bestandteil der US-Indie-Szene. Wie überlebt man da eigentlich? Ein Treffen.

Es ist der Tag nach dem letzten Tag des Hurrikans „Sandy“, und Ira Kaplan, ein Drittel von Yo La Tengo, sitzt in einer Hotel-Lounge irgendwo hinter dem Hamburger Hauptbahnhof. Weit weg von seiner Heimatstadt Hoboken. „Ich habe Bilder von unserem Apartmentkomplex gesehen. Der Hurrikan hat ziemlich viele Garagentüren aufgedrückt, aber unsere ist heil geblieben“, sagt er, und so, wie er das sagt, erkennt man: Auch, wenn seine Wohnung nur noch ein Haufen aus Stahlbetontrümmern und Schlick wäre, würde er die Contenance bewahren. Die Sache ist nämlich: Ira Kaplan ist ein ruhiger Zeitgenosse. Einer, der davon erzählt, wie gerne er Interviews mit Noel Gallagher liest und bedauert, dass er sich nie zu so punchlinigen Antworten hinreißen lässt. Und einer, der nicht nur nicht schlecht über Kollegen reden möchte, sondern gar nicht. Kurzum: ein in jeder Hinsicht angenehmer Mensch. Vielleicht ein bisschen so, wie seine Band klingt, immer schon klang.

Natürlich wollen wir mit Ira Kaplan nicht über andere Musiker reden. Aber am Interviewtag, einem grauen Novemberfreitag, gingen zwei Nachrichten durch die Musikwelt: Einmal ein Zeitungsbericht, in dem stand, dass einzelne Mitglieder der Band Grizzly Bear nicht genug Geld hätten, um eine Krankenversicherung abschließen zu können. Und dann die Sache mit Cat Power, die eine Europa-Tournee erst ab-, dann wieder zu- und dann wieder absagte. Die Nachricht hinter diesen Nachrichten: Läuft schlecht in Indiehausen, wenn nicht mal die Musiker, deren Platten noch gerne gekauft werden und die in mittelgroßen bis großen Hallen spielen, davon anständig leben können.

Nun sind Yo La Tengo eine Band, die nie viele Alben absetzte. Die Konzerte, die die Amerikaner spielten, waren auch nie sehr groß. Also die direkte Frage: „Ira, wie kann das sein, dass du seit 25 Jahren von Yo La Tengo leben kannst?“ Sein Blick schweift durch den Raum, er denkt jetzt nach. Und dann fängt er an, vom Anfang seiner Band zu erzählen. „Es war in den ersten Jahren nicht geplant, mit Yo La Tengo Geld zu verdienen“, sagt er.

Hoboken, 1981. Ira Kaplan ist 24 Jahre alt und gerade in die Kleinstadt im Magnetfeld New Yorks gezogen. Es gibt ein paar Bands, die oft in dem Städtchen spielen, wie die Feelies und die DB’s. Eine Szene. Kaplan überlebt mit einem gesunden Betätigungsmix in ebenjener. Er spielt hier und da in anderen Kapellen mit, arbeitet als Soundmann im Club und schreibt nebenher für Zeitungen. Dazu kommen Lektorats-Jobs und etwas Bürokram bei einer Plattenfirma. Die Band als Beruf schlich sich durch die Hintertür ein. „Wir nahmen einfach immer weniger Jobs an. Ich würde sagen, dass wir 1990 anfingen, von Yo La Tengo zu leben. Fakebook war gerade erschienen, und wir spielten sehr viele Konzerte. Pro Gig bekamen wir 250 Dollar. Das war wenig, aber irgendwie funktionierte es.“ Vielleicht ist das „Irgendwie“ ein Stichwort. Vielleicht sollte man sich als Band keinen Kopf und erst recht keinen Businessplan machen. Denn irgendwie kamen Yo La Tengo durch. „Wir probten in unserem Keller. Wir transportierten unseren Kram anfangs im alten Kombi meiner Eltern, der irgendwann so heruntergerockt war, dass sie ihn uns schenkten. Wir tourten in den ersten Jahren zu dritt, dann zu viert, schließlich zu fünft. Eine Crew im klassischen Sinne hatten wir nie. Unsere Kosten waren einfach sehr niedrig. Und niedrige Kosten, das ist ein Schlüssel.“ Die erste Regel, also.

Mit Platten machten Yo La Tengo übrigens lange Zeit kein Geld. „Man bekam einen Vorschuss. Und diesen Vorschuss brauchte man auf, um das Album aufzunehmen“, erzählt Kaplan. Dass es die letzten Alben immer wieder in die hinteren Regionen verschiedener Hitparaden schafften, sei keinerlei Hinweis auf steigende Popularität. „Heute verkaufen sich Platten anders. Der Markt hat sich dem Kino-Markt angepasst. Heute verkauft eine Platte nur ein paar Wochen lang recht gut. landet vielleicht in den Charts. Dann steht sie kaum mehr in den Läden.“ Bleiben also die Songrechte. Da, so Kaplan, kommt ein bisschen was rum. „Wir haben natürlich viele Platten aufgenommen. Und einige davon, zum Beispiel I Can Hear The Heart Beating At One, laufen eigentlich recht gut.“

Vor allem ist da die Sache mit den Konzerten. Integraler Bestandteil des Yo-La-Tengo-Liveprogramms ist eine Sache namens „The Freewheelin‘ Yo La Tengo“. Im Zentrum des Abends: ein Glücksrad mit verschiedenen Rubriken. Lieder, die mit S beginnen. Lieder, die mit Konsonanten beginnen. Des Weiteren wurden Teile aus Drehbüchern von TV-Serien wie „Seinfeld“ oder „Spongebob Squarepants“ vorgetragen. Originell sein. Kreativ sein. Ist das die zweite Regel für den Erfolg? Immerhin weiß man beim Besuch eines Yo-La-Tengo-Konzerts nicht, was man bekommt. Jetzt muss Ira Kaplan kichern, er hustet kurz, nimmt einen Schluck von seinem Wasser und sagt: „Wer weiß, vielleicht ist auch das Gegenteil der Fall. Stell dir mal vor, du kennst diesen einen Yo-La-Tengo-Song aus dem College-Radio. Tolle Nummer, mit der du eine Menge verbindest. Und dann steht diese Band auf der Bühne und macht nur lustigen Quatsch. Dein Lieblingslied spielt sie nicht.“ Kaplan weiß, wovon er redet. Eines seiner ersten Konzerte war ein Doppel, bei dem die Mothers Of Invention ohne Frank Zappa und die Doors ohne Jim Morrison spielten. „Eigentlich ein riesengroßer Witz“, sagt er.

Apropos Witz: im Clip zu „Sugarcube“ (1997) müssen Yo La Tengo in der Rockstar-Schule nachsitzen. Lernen, wie man hinreichend pathetisch Gitarre spielt, wie man sich zu kleiden und zu artikulieren hat, um mit seiner Musik Geld zu verdienen. Der Plattenfirmenmanager fragt in dem Video die Band: „Habt ihr eigentlich Angst davor, Geld zu verdienen?“ Eine Frage, die Kaplan sich selbst nicht stellt. Er versucht, das Finanzielle vom Emotionalen loszukoppeln. „Plattenverkaufszahlen dürfen eigentlich nicht als Bestätigung dienen. Denn im Umkehrschluss wäre dann eine Platte, die sich nicht verkauft, ein Downer. Wir haben einfach versucht, uns gar keine Gedanken zu dem ganzen Themenkomplex zu machen und rutschten irgendwie durch.“ Eines gibt er allerdings zu bedenken: Geld kann verwirren. „Wenn dir jemand einen Hunderter für eine Show bietet, machst du es, wenn du Lust darauf hast. Und sonst halt nicht. Bei 100 000 Dollar machst du es vielleicht auch, wenn du keine Lust hast.“

Es ist nicht so, dass Yo La Tengo häufig 100 000 Dollar geboten werden. Aber die Aussage verrät eine Skepsis, die zu einer dritten Regel führt: Sei du selbst. Und nie eine Marionette eines wie auch immer gearteten Systems. Wenn also das Indie-Portal AV Club sich von Starbucks sponsern lässt oder Vitaminwater Konzertreihen organisiert, lehnen Yo La Tengo freundlich, aber bestimmt ab.

Der Verzicht auf jedwedes Sponsoring hat Konsequenzen. Mehr Konzerte, zum Beispiel. Auf Touren würden sie in einer Woche eben oft fünf Konzerte spielen und nicht nur vier. Überhaupt, Pausen seien nicht immer drin. „Einmal tourten wir Europa. Anschließend flogen wir zurück in die Staaten und begannen sofort mit den Amerika-Konzerten. Das waren acht oder neun Wochen am Stück.“ Diese vierte Regel nennt Kaplan erst am Schluss, kurz vor Ende des Gespräches. Yo La Tengo würden und müssten hart arbeiten.

Bleibt die Frage nach Grizzly Bear und der Krankenversicherung. Kaplan gibt eines zu bedenken: „Ich glaube, bei vielen jungen Menschen ist das einfach nicht die Sache, die im Vordergrund steht. Keine Krankenversicherung zu haben, ist nicht ungewöhnlich, ich sehe oft genug Benefiz-Gigs für Künstler, die keine haben. Ich hatte Glück. Ich komme aus einer gut situierten Familie. Meine Eltern versicherten mich. Und irgendwann, als die Band gut lief, übernahm ich. Aber ich selbst wäre als junger Musiker nicht auf die Idee gekommen.“

Albumkritik S. 94

Die Band

Mit dem dieser Tage erscheinenden Fade veröffentlichen Yo La Tengo ihr mittlerweile 13. Studioalbum, dazu kommen einige Soundtracks und eine Vielzahl an EPs und Compilations. Die Band gehört zu den Veteranen der US-Indie-Szene und gründete sich 1984 in Hoboken, einer Kleinstadt im US-Bundesstaat New Jersey. Das erste Album Ride The Tiger wurde 1986 veröffentlicht. Seit 1992 spielen Yo La Tengo in der aktuellen Besetzung: Ira Kaplan singt und bedient die Gitarre, seine Frau Georgia Hubley sitzt am Schlagzeug, James McNew spielt Bass.