Die Stunde des Verwirrtiers


Ersieht aus wie um fünf Uhr morgens unterm Tresen rausgekehrt und schreibt Songs von Bacharach'schen Dimensionen. Er bereist die Glitzerwelt des Rockgeschäfts und sorgt sich dabei um seine Goldfische daheim. Er ist kauzig, er ist schrullig. Er ist Dämon Gough, er ist der Badly Drawn Boy. m M,chae l Hee g

Es gibt so einiges, was der reisende Artist bei der Ausübung seines Berufs fern der Heimat vermissen kann. Die vertraute Umgebung. Die Liebste. Den Nachwuchs. Dämon Gough aus Manchester schwirrt diesbezüglich noch eine andere Sehnsucht durchs Gefühlszentrum: die nach seinen zwei Goldfischen. „£5 handelt sich dabei um Cliff Richard und Wurzle“, erzählt er mit einer dem Thema angemessenen Ernsthaftigkeit. „Ich weiß nicht, ob es Männchen oder Weibchen sind. Man sieht das ja nicht so genau. Tatsache ist jedenfalls, dass sie ein paar Kunststücke draufliaben. Rückwärts auf dem Rücken schwimmen zum Beispiel. Toter Mann spielen können sie auch.“ Dämon Gough alias Badly Drawn Boy sitzt im Foyer eines Fünf-Sterne-Hotels, draußen spielt das Wetter Hochsommer in der Stadt, die Sonne sengt – trotzdem sieht Gough genauso aus, wie er immer aussieht: Die Wollmütze millimetergenau bis knapp über die Augenbrauen ins Gesicht gezogen, Fusselvollbart, die Zigarette im Mundwinkel. „My hair is always a mess“, sagt Gough, „und die Mütze gehört mittlerweile zu meinem Image. Durch die Mütze erkennen mich die Leute wieder, ich fühle mich wohl mit ihr und nehme sie nur ab, wenn ich dusche oder ins Bett gehe. Sie gehört zu mir wie mein Vollbart. Und ich könnte mir ja auch nicht vorstellen, glatt rasiert durch die Gegend zu laufen. Sie ist keine Maske mehr, aber siefunktioniert immer noch als eine Art Schutzschild gegen die Umwelt. Und wenn die neue Platte auch so gut läuft wie die erste, lasse ich mir eine Klimaanlage einbauen. Bis dahin müssen es Eiswürfel tun.“ Die Chancen, dass die geschätzten45 bis 50 Grad unter der Kopfbedeckung demnächst mittels zeitgemäßer Technologie heruntergekühlt werden können, stehen nicht schlecht. Im Moment ist Badly Drawn Boy mit dem Soundtrack zur Nick-Hornby-Verfilmung „About A Boy“ in ziemlich vielen Ohren, und als Nachfolger seines bei Fans und Kritikern gleichermaßen geschätzten Debüts „The Hour Of Bewilderbeast“ erscheint in diesen Tagen das neue „reguläre“ Album „Have You Fed The Fish?“,, ‚Hast du die Fische gefüttert?‘ Das ist eine Phrase, die meine Freundin und ich uns jeden Morgen an den Kopf schmeißen. Es ist unsere Begrüßung, die ihre eigentliche Bedeutung längst verloren hat, aber eine schöne Form von Routine ist, die uns etwas bedeutet. Wir leben zusammen, wir lieben uns, wir haben zwei Kinder. Ich musste heute morgen sehr früh aus Manchester abfliegen, aber die Frage bin ich noch losgeworden.“Mit einem routiniertem Griff prüft Gough den Sitz seiner Kopfbedeckung.

„Hast du die vielen Mädels vordem Eingang gesehen? Eine komplette Zahnspangen-Fraktion. Keine Ahnung, auf wen die warten. Vielleicht gehe ich gleich mal raus undfrage nach. Kann ja gut sein, dass jemand aus der David-Hasselhojf-Abteilung auch hier im Hotel wohnt. Auf mich warten die nämlich garantiert nicht.“

Dämon GOUgh Weiß, dass er nun wirklich nicht wie der Typ Mann aussieht, dem enthusiasmierte Teenager schreiend hinterherrennen würden. Bemerkenswert ist seine Erkenntnis in der von berufsbedingter Eitelkeit und schnödem Angebertum durchsetzten Musikbranche trotzdem: Bei Gough klafft zwischen Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung keine auch noch so kleine Lücke; der 32-Jährige ist die Blaupause eines Anti-Popstars: Die leicht untersetzte, gedrungene Statur, die Gesichtstapete, die olle Kappe – in seiner stringenten Kombination bringt ihm all das mit schöner Regelmäßigkeit die Etiketten „schrullig“, „Kauz“ und „Sonderling“ ein. Bühnengarderobe? Pustekuchen. Zur Arbeit kommt der Mann in den Klamotten, in denen er auch sonst rumläuft: Ausgelatschte Turnschuhe, Jeans, T-Shirt, Schlabberjacke, alles dezent angesifft bis dreckigspeckig. Und wäre da heutzutage nicht noch das mit Bedacht angetrunkene Bierbäuchlein und fehlte nicht die Kröte, hätte Gough – die notorische Kappe mal kurz weggedacht -beste Chancen auf den ersten Platz imCatweazle-Lookalike-Wettbewerb.

rührt Gough in seiner Kaffeetasse, bis das Heißgetränk beinahe über den Rand schwappt, bricht dann unvermittelt ab, zückt mit beängstigender Geschwindigkeit seine Geldbörse und fördert daraus aktuelles Fotomaterial vom Nachwuchs zu Tage. „Das mit den Mit etwa 30 Umdrehungen pro Minute titel

Bildern von meinen Kindern hat sich spontan während der Tour zu .TheHour OfBewilderbeast’ergeben. So lange war ich als Musiker noch nie von zu Hause weg gewesen, und bei einem Gig in Belfast war mir plötzlich danach, mir ein Foto meiner Tochter anzusehen. Ich betrachtete das Foto also auf der Bühne, und in den ersten Reihenfragten ein paar Leute, ob sie es auch sehen könnten. So fing das an – das Bild machte dann die große Runde, ging jeden Abend durchs ganze Publikum. Es wurdeTeil derShow. Und das Erstaunliche daran: Es kam wirklich immer wieder zurück.“ Stoz fingert Gough das Foto aus der Geldbörse und reicht es über den Tisch- Durch Tausende von Händen gegangen, ist das Bild reichlich abgegriffen, das Corpus Delicti darauf aber immer noch gut erkennbar: Wonneproppen auf gelber Decke. „Da war Eadie drei Monate, mittlerweile ist sie zwei Jahre alt. Und hier ist das, was ich außer meinen schönen Songs und meiner Tochter noch zustande gebracht habe „, grinst Gough und legt ein weiteres eselohriges Babyfoto auf den Tisch. „Oscar! Oscar Bruce, um genau zu sein. Wegen Bruce Springsteen, den ich sehr verehre.“ Ein Prachtkerl, um noch genauer zu sein, der seinem strammen Zweitnamen wohl einmal alle Ehre machen dürfte. So ist das also: Der reisende Artist als freundlicher Familienvater mit Sehnsuchtsfaktor Hundert. „Mir die Fotos meiner Kinder anzuschauen lädt meine Batterien neu auf, sagt Gough. ->¿ r ¿ , Obwohl friSCh aufgeladen, seufzt er erneut, ordert zwischen zwei Zigaretten Wasser, Bier, eine Bloody Mary und ein Aspirin -Jch habe einen leichten Kater. Bloody Mary ist da hervorragend geeignet zum Überbrücken bis zum nächsten Abend“und versucht dann, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, was in den vergangenen zwei Jahren so alles mit ihm passiert ist. Songschreiben. Seine Karriere bis hierher. Die Verzahnung von privat Erlebtem und beruflich Ausgelebtem. „Ich habe mich in meinem Leben immer sehr durcheinander, verwirrt gefühlt, viele Ups undDowns gehabt- und diese Seelenzustände habe ich immer vertonen wollen. Mein realer Alltag schwappt immer über in meine Songs, in die ßewilderbeast‘-Platte habe ich meine ganzes Leben von 20 bis 30 verpackt. Beziehungen, Liebe, Glück, Enttäuschungen jobs… Und während ich mit dem Album durch Europa getourt bin, kam das Angebot, die Filmmusik zu JKboutA Boy ‚zu schreiben. Nick Hornby selbst hat mich gefragt! Da hab ich mich natürlich geehrt gefühlt. Trotzdem war das zu dem Zeitpunkt alles ein bisschen viel: Ich hatte die nächste Platte im Hinterkopf, während ich mit der ersten noch auf Tour war und deren Erfolg noch nicht mal ganz verarbeitet hatte. Aber nach einer Weile setzte sich ein anderes Gefühl durch: Es ist schön, wenn andere Leute an deine Musik glauben und daran, dasssie im Zusammenhang mit Bildern funktionieren kann.“

Wer den Soundtrack zu „About a Boy“

kennt, weiß: die anderen Leute haben völligzu Recht an Badly Drawn Boy geglaubt. Songs wie „Something To Talk About“ und „A Minor Incident“ passen mit ihrer nonchalanten Haltung prima zu dem Film, der sich um die Schwierig- und Herrlichkeiten dreht, die sich ergeben können, wenn die Lebensentwürfe grundverschiedener Menschen aufeinander prallen. Weil Dämon Gough kein Mann für den herkömmlichen Pop-Entertainment-Dampfer ist, sondern vielmehr in einer Storytelling-Tradition klassischer Singer/Songwriter steht. „Der Soundtrack hat ein bisschen den Druckvon mir genommen, sofort wieder mit ->

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einem persönlichen Statement an die Öffentlichkeitzugehen. Undüberden Umweg des Soundtracks war es mir gleichzeitig möglich, mit dem neuen Album wieder richtig persönlich zu sein.“

Ähnlich wie sein Vorgänger glänzt „Have You Fed The Fish?“ wieder mit einem Stil-Spagat zwischen allem Möglichen – es gibt Folkiges mit Wander-, Rockiges mit Stromgitarre, säuselnde Streicher, smarte Bläser mit Northern-Soul-Appeal, schnurrende Rhythmusmaschinchen und Songs mit implantiertem Pop-Gen -, und schon mit der ersten Zeile des Titelstückes macht Dämon Gough sein Herz auf:

„The key to yourheart opens the door to the world.“

Eine Ode an die Frau, die er liebt – und diese Liebe entpuppt sich als seltsam ambivalenr.es Spiel: Sie lässt Gough Songs schreiben, die mit einer Melange aus Frische, Naivität und Ehrlichkeit daherkommen. Und sie treibt ihn doch zugleich fort von ihr – ein reisender Artist eben. “ ,Have You Fed The Fish‘ dreht sich um Naivität, um Frische, um Ehrlichkeit und meine Methode, durch den Alltag zu kommen – beruflich und privat. Das sind die Dinge, die meine Musik ausmachen, und die muss ich mir bewahren. Ich bin gerne unterwegs und spiele den Leuten meine Lieder vor, aber wenn ich toure, bin ich nicht auf einer Mission. Für mich ist das ein ganz normaler Job, das, was ich kann. Und trotzdem frage ich mich natürlich oft: Bedeutet mir das alles wirklich genug, um so lange von zu Hause weg zu sein?“ Und? Tut es das? Gough grinst und streicht sich über den Bart. „Die verschiedenen Antworten sind alle auf diesem Album drauf“

Ein Dokument der Gough sehen Sinn- und Bedeutungssuche ist der Song „You Were Right“, „der besteSong, den ich je geschrieben habe“, wie ihn Gough bei seinem Auftritt beim Meltdown Festival in London Ende Juni ankündigte. Darin sinniert er über die Ambivalenz zwischen dem wahren, realen Leben -Heim, Familie, Bindungen -, in dem er, zumal als Familienvater, nach Verwurzelung sucht, und der „anderen Seite“, der Gegenwelt des Showbusiness. „I remember doing nothing on the night Sinatra died“, heißt es da, „and the night JeffBuckley died/ and the night Kurt Cobain died, and the night John Lennon died/1 remember l stayed up to watch the news with everyone.“ Der Tod der Helden im Fernsehen, in den Nachrichten. Drüben, auf der anderen Seite. Interessant, berührend, doch letztendlich abstrakt und weit weg. Der hier spricht, ist Dämon Gough – die Figur Badly Drawn Boy war selbst beim Tod Jeff Buckleys 199 5 noch Joghurt auf der Fensterbank des Pop. Heute spielt er selber seine Rolle „da drüben“, weiß aber:

„Songs are never quite the answerjust a Soundtrack to a life“. Und mit ihnen eben auch ihre Sänger, oder zumindest das, was sie von sich hergeben.

Badly Drawn Boy/Damon Gough ordert noch ein zweites Aspirin und überprüft mal wieder den korrekten Sitz seiner Mütze: Passt, wackelt nicht und hat immer noch garantiert keine Luft. Er spült die Tablette mit Wasser, Bier und Bloody Mary runter und seufzt noch einmal. Der Mann ist mit Leib und Seele Musiker, und gegen Erfolg hat er auch ganz und gar nichts. Trotzdem sieht er justament so aus, als träume er sich heim nach Manchester. Zu seiner Freundin, zu Sohn und Tochter und Goldfischen. Wurzle und Cliff Richard werden ihm dort sicher wieder ein paar Kunststückchen vorschwimmen; möglicherweise sind ja ein paar ganz neue dabei. www.badlydrawnboy.co.uk f-»