Dinosaur Jr.


"Ich bin politisch korrekt. Aber nur, was meine eigene Politik angeht."

Ein Spätsommertag in New York City. Es ist heiß, sehr heiß. Die Mittagssonne glüht zwischen den Häuserschluchten Manhattans. Die 14. Straße im Süden des Stadtteils ist Heimat der Heimatlosen. Die Heilsarmee hat hier ihr Hauptquartier. Uniformierte Straßensänger mit Missionsauftrag sind nicht das einzige, was die Gegend in musikalischer Hinsicht zu bieten hat. Gleich gegenüber im siebten Stock eines schäbigen Gebäudes ist das Baby Monster Studio untergebracht. Hier haben schon Ex-Velvet Underground John Cale und Lemonhead Evan Dando alternative Musikgeschichte geschrieben. Und natürlich Dinosaur Jr.

Kurz nach zwölf schlurft Chef-Dinosaurier J. Mascis über die Straße: Baseballmütze über der leicht angegrauten Mähne, Hornbrille Modell Biedermann auf der Nase. So sieht also der Held der Lollapalooza-Generation aus. „Im Studio ist noch keiner, wollen wir was Essen gehen?“, fragt Mascis mit leicht gequältem Unterton. Der kontaktscheue Kommunikationsverweigerer ist bekannt für seine Abneigung gegen Interviews, für mangelnde Motivation, die eigene Musik zu erklären, und fürnervtötende Redepausen. Diesmal aber scheint der große Schweiger einen guten Tag zu haben. Zwar vermittelt der Mann aus Massachussetts beim ÖkoDinner nicht unbedingt den Eindruck, die Redekunst erfunden zu haben, aber er spricht. Leise, murmelnd zwar, aber immerhin. Seit nunmehr neun lahren ist J. Mascis mit wechselnden Mitstreitern als Sänger, Gitarrist, Songschreiber, Produzent und Gelegenheitsdrummer unter dem Namen Dinosaur Jr. auf der Suche nach der perfekten Verbindung von grober Gitarrengewalt und selbstquälerischer Pop-Romantik. Mit dem dritten Album ‚Bug‘ und der Indie-Hymne ‚Freak Scene‘ wurde die Band aus der Universitätsstadt Amherst in Massachussetts 1988 zum Kult-Act des Gitarren-Underground. Eine Ehre, die sich nicht unbedingt in klingender Münze bemerkbar macht. Auch für Dinosaur Jr. gilt: Mehr Kult, weniger Kohle. Daß später Bands wie Nirvana die Ernte seiner musikalischen Saat einfuhren, nimmt der Gitarrengott gelassen hin. Dinosaur Jr. als verkannte ‚Godfathers of Grunge?‘ Mascis winkt ab. „Jedes Jahr kommen irgendwelche neuen Bands auf, die oft jahrelang nichts anderes gemacht haben als Rock’n’Roll. Auch unsere Musik ist traditioneller Rock. Ich glaube nicht, daß wir irgendetwas tun, was die Musik revolutioniert.“

Starker Tobak für die Anhängerschar Dinosaur Jr.’s, die in Mascis die Leitfigur ihrer Generation gefunden zu haben glaubt. Das Image vom Indie-Helden hat freilich durch den Wechsel der Band vom unabhängigen Label SST zum Medienkonzern Warner 1990 leichte Kratzer bekommen. Zu Unrecht. Denn zwischen Fan-Dichtung und Musiker-Wahrheit liegen nunmal Welten. Auch bei Dinosaur Jr. So erfrischend unverbraucht die musikalischen Statements der Band daherkommen, so unspektakulär gibt sich deren Macher. Im Privatleben verfolgt Mascis mit Vorliebe Golf-Turniere im Fernsehen („Ich weiß, viele halten das für langweilig“) oder jagt über nordamerikanische Skipisten. Nein, dem Klischee vom rüden Rock-Rebellen will J. partout nicht entsprechen, und auch mit der ‚Political Correctness‘-Bewegung in den Staaten hat er wenig im Sinn. Die hält der Chef-Dinosaurier nämlich schlicht für „..Blödsinn. Ich bin politisch korrekt, aber nur, was meine eigene Politik angeht.“

Richtig. Mastermind Mascis weiß genau, was er will. Von der ersten Banderfahrung mit der Hardcore-Truppe Deep Wound in den frühen 8oern bis hin zu Dinosaur jr. ¿ das Wichtigste im Leben des scheuen Anti-Stars war immer die Musik. Daß diese im Lauf der Jahre ihre Ecken und Kanten verloren hat, liegt nicht am „major deal“, glaubt Mascis. „Nun, man wird abgeklärter und weiser“, erklärt der 28jährige. „Wir wollten einfach einen besseren Sound haben, den wir auf den ersten Platten so nicht hingekriegt haben.“

Mit dem neuen Album ‚Without A Sound‘ ist der Meister denn offenbar zufrieden. Ein klassisches Gitarren-Album, das keine Vergleiche mit Mascis‘ persönlichem Dinosaur-Jr.-Favoriten ‚You’re Living All Over Me‘ von 1987 zu scheuen braucht. Oder nicht? „Ich glaube, unsere Platten unterscheiden sich nicht allzusehr voneinander.“ Gibt’s da wirklich keine Unterschiede? „Gut, ,Bug‘ ist für mich die schlechteste Platte, die wir gemacht haben. Sie ist zu roh hingeschludert.“

Mascis mag keine halben Sachen. Auch nicht was das persönliche Engagement seiner Mitstreiter betrifft. So markiert ‚Without A Sound‘ wieder einmal einen Wendepunkt in der wechselhaften Besetzung der Band. Bereits Ende der 80er Jahre verließ Bassist Lou Barlow die Band. Mittlerweile ist er mit dem eigenen Projekt Sebadoh zu Insider-Ruhm gekommen.Während der Aufnahmen zum neuen Album hat sich auch Ur-Drummer Murph vom Dinosaurier verabschiedet. „Wir haben uns im gegenseitigen Einvernehmen getrennt“, versichert Masics. „Murph war auf unserem letzten Album richtig gut. Aber beim neuen hat er die Drum-Parts einfach nicht zusammengekriegt. Er weiß nicht, was er wirklich will. Lou und ich waren immer von Musik besessen, wir haben immer eine konkrete Vorstellung gehabt. Murph nicht, das ist der Punkt.“

Neben Mascis agiert jetzt nur noch Mike Johnson bei Dinosaur )r. Die Kompetenzen sind genau aufgeteilt. Mascis komponiert, spielt Gitarre, Bass und Schlagzeug und Bassist Johnson darf auch ein paar Gitarrenparts beisteuern. Das Konzept scheint aufzugehen. „Mike und ich harmonieren sehr gut miteinander“, konstatiert der Band-Boß.

Weniger harmonisch gestaltet sich das Verhältnis zur Plattenfirma. Die Promotion des Medien-Multis für das letzte Album war der Band zu lasch. „Von den Verkaufszahlen war ich enttäuscht. Warner hat einfach zu wenig dafür getan.“ Der Gigant gelobte Besserung und spuckt prompt große Töne. Das neue Album werde die Band dahin befördern, wo sie eigentlich längst sein sollte: an die Spitze der Charts. Dazu bedarf es arbeitsintensiver Aktitivitäten, die Meister Mascis aber gar nicht mag. Videos sind ihm ein Greuel. „Die sind wie TV-Commercials. Ich kann mich nur sehr schwer dafür motivieren. Du drehst die Dinger und MTV wird sie nicht spielen.“ Zeitverschwendung. Dann hilft der Multinstrumentalist schon lieber befreundeten Musikern an Gitarre oder Drums aus, oder produziert andere Bands. Wie zuletzt die Breeders. Zur Zeit greift Mascis für ein Solo-Album des flREHOSE-Bassisten Mike Watt in die sechs Saiten, die ihm die Welt bedeuten. Am Mischpult sitzt John Hanion, der auch bei den Aufnahmen zu Neil Youngs jüngstem Album die Regler bediente. Zufall? Mascis wird oft mit dem Grunge-Großvater in Verbindung gebracht und weiß das auch zu schätzen. „Es ist besser, mit Neil Young verglichen zu werden als mit Eric Clapton.“ Stimmt.