Diplom Dilettant
Als Sänger ist er indiskutabel, als Gitarrist ebenso. Doch wenn Bob Geldof den Mund aufmacht, ist's trotzdem interessant.
Es ist 9 Uhr. Geldof stürzt ins Zimmer und sieht aus wie ein Acid-Trip. Ich bereue augenblicklich, keine Sonnenbrille mitgebracht zu haben, denn Bob trägt einen schrillen, grasgrünen Anzug, dekoriert mit riesigen Sonnenblumen. Überwältigt von der Farbexplosion, kann man mit zugekniffenen Augen gerade noch eine komplizierte Bartkomposition erkennen, die sich Geldof zugelegt hat: Menjou-Bärtchen, dazu Koteletten, die in einem kühnen Winkel von den Ohren in Richtung Mundwinkel streben.
Kein einfacher Fall, dieser Geldof.
Seine Fixierung auf kurzlebige Pop-Images einerseits und das soziale und ökologische Engagement andererseits machen ihn zu einer leichten Zielscheibe. Zum Glück schießt er selber hin und wieder ein paar Pfeile ab: „Wenn du mir sagst, ich sei ein durchschnittlicher Sänger und könne ums Verrecken nicht Gitarre spielen, dann hast du völlig recht. „
Bob beehrt uns. um die Werbetrommel für sein neues Album „The Happy Club“ zu rühren, eine liebevolle Hommage an die guten alten Zeiten, mit zahlreichen Verbeugungen vor Dylan. Woody Guthrie. den Kinks und Small Faces, Them, den Bee Gees und den Monkees. und gleichzeitig eine ernsthafte Betrachtung zum Thema Nationalismus. Was die Texte betrifft, ist der Urheber von Peinlichkeiten wie „Do They Know It’s Christmas“ diesmal in entschieden besserer Form. „Song Of The Emergent Nationalist“ ist vielleicht der bisher beste Song aus Geldofs Feder. Ohne in Klischees zu verfallen, beleuchtet er die Gefahren eines ranzig gewordenen Patriotismus aus der Perspektive eines alten Mannes, der nur die romantische Seite sehen will.
„Ich persönlich verabscheue Nationalismus zutiefst, aber ich bin mir auch seiner Attraktivität bewußt. Er ist wie ein Sirenenruf, der einen unausweichlich auf den politischen Felsen zutreiben läßt. Aber um ehrlich zu sein: Als ich mit dem Song anfing, hatte ich keine Ahnung, um was es eigentlich gehen sollte …er hat sich irgendwie von selbst geschrieben.“
Bedeutet das, daß der Trend zum Nationalismus nicht mehr aufgehalten werden kann? Daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis jedes Dorf seine Unabhängigkeit erklärt?
„So kann man es sehen, ja. Im Moment scheinen wir da zu stehen, wo wir um 1912 schon einmal waren. Eigentlich haben wir nichts anderes getan, als die Zeit um fast hundert Jahre zurückzudrehen. Wir bewegen uns durch einen sehr merkwürdigen Abschnitt der Geschichte. Aber vielleicht ist es nicht das Schlechteste, dieses Jahrhundert auszuradieren …“
Womit er sich selbst das Stichwort für eine ausgedehnte Analyse seines Songs „The Roads Of Germany“ gibt, der folgendermaßen beginnt: „Ich fahre auf den Straßen, die Hitler baute/Dies ist der Ort, an dem die Geschichte anhielt, um zu scheißen“.
Das derzeitige Ost/West-Verhaltnis in Deutschland, sagt er, sei symptomatisch für die niederen Triebe des Menschen. „Ich denke, wir haben alle so einen kleinen Wurm in uns, der uns Leute verachten läßt, die anders sind als wir oder zumindest so aussehen. Rassismus und Nationalismus sind zwei extreme Auswüchse dieses Denkens, aber hier kann man diese Emotionen zwischen Menschen beobachten, die eigentlich gleich sind. Noch vor zwei Jahren habt ihr alle die Wiedervereinigung bejubelt. Heute verachtet der Osten den Westen fiir seine kulturelle Arroganz, und die Leute im Westen halten die auf der anderen Seile fiir Schmarotzer. Das Verhältnis wird immer schlechter statt besser.“
Kommst du dir als Popmusiker nicht manchmal vor wie jemand, der auf dem Vulkan tanzt?
Bob lacht. „Na ja, Popmusik ist ganz sicher nicht wichtig, aber sie gibt mir die Möglichkeit, mich auf andere Weise mit Dingen auseinanderzusetzen, die um mich herum vorgehen. Im Gespräch kann ich so lange vor mich hinlabern, bis du vor Langeweile einschläfst. In einem Song ist nach drei Minuten alles vorbei. Vermutlich scheren sich % Prozent der Leute, die meine Platten kaufen, ohnehin einen Teufel um die Texte. „
Wenigstens tyrannisierst du uns nicht mit bombastischen Slogans…
„Sowas hasse ich. McCartneys ,Give Ireland Back To The Irish‘ — kläglich. Oder Lennons , The Luck Of The Irish‘. Genauso dämlich. Möchtegern-Iren fiir ein Jahr, und das war’s dann.“
Mitunter scheint ihm die miese Weltlage sogar ein beinahe perverses Vergnügen zu bereiten: „Noch voi der Jahrhundertwende wird es in Europa einen größeren Krieg geben. Darauf kannst du Gift nehmen. Wai da in Jugoslawien abgeht, ist nur ein Aufwärmtraining. ‚