Dirk von Lowtzow: „Ich hab’ hier meine drei Gleichgesinnten und ganz woanders ist auch noch Morrissey“
Der Tocotronic-Sänger hat mit uns über Morrissey, Albernheit und Widersprüche gesprochen. Und wir klären die Frage: Wieso singt Dirk plötzlich über sein Leben?
In dem Song geht es auch darum, dass man seinen Frieden mit dieser Situation macht. Weil man bei aller Ablehnung erkennt, dass man für die anderen trotzdem Fixpunkt ist …
Zu der Zeit war das aber ziemlich angsteinflößend, eher ein Spießrutenlauf.
Ich bin wahnsinnig oft in der Fußgängerzone angehalten und bedroht worden, auch körperlich.
Und dann natürlich diese ständige Interpellation: „Schwuchtel!“ Solche Situationen gibt es überall, das beschreibt übrigens Didier Eribon in „Rückkehr nach Reims“ auch ganz schön – bei ihm heißt es „Pedé“.
Über die Privatperson Dirk von Lowtzow ist recht wenig bekannt. Hattest du Angst, dass eine autobiografische Platte zu einer Art Kontrollverlust über die eigene Vergangenheit, über die eigenen Erfahrungen führt?
Ach, Angst hatte ich eigentlich keine. Man kann ja steuern, was und wie viel man von sich preisgibt. Aber es ist lustig, wie schnell man von so einer Abscheureaktion zum genauen Gegenteil kommt.
Das mag ich sehr, dass man sich selbst widerspricht, dass man seine Meinung ändert.
Du bist jetzt 46, Tocotronic gibt es seit über 20 Jahren. Braucht man die zeitliche Distanz zur eigenen Vergangenheit, um über sie singen zu können?
Das glaube ich schon. Als wir in den Nullerjahren die Berlin-Trilogie gemacht haben, war ich Mitte 30. Das ist noch relativ nah an der Jugend; die Erinnerungen sind noch zu frisch. Über den bisherigen Verlauf meines Lebens nachzudenken, wäre mir damals nie in den Sinn gekommen. Jetzt, mit Mitte, Ende 40, ist das anders. In dem Alter hat man das erste Mal die Möglichkeit, etwas objektiver zurückzublicken.
War es angenehm, diesmal ohne die üblichen Manifeste und Thesen zu operieren?
Es war ungewohnt. Aber ich glaube, das hat sich beim letzten Album schon angedeutet. Wobei diese Platte ja auch einer sehr genauen Arbeitsweise folgt. Schon beim ersten Treffen kam unser Produzent Moses Schneider auf die total naheliegende Idee, dass man die Songs dann auch auf dem Album chronologisch ordnen müsste. Und vor allem, dass man sie auch chronologisch aufnehmen muss. Da hatten wir doch wieder ein relativ strenges Konzept.
In den Tocotronic-Thesen und -Manifesten steckte immer auch viel Humor. So ein Satz wie „Wir sind plüschophil“ war wunderbar albern. War es schwieriger, diesen Humor auf DIE UNENDLICHKEIT unterzubringen?
Wir haben versucht, diese Sprachspiele zugunsten einer Klarheit und einer Strenge ein bisschen zurücktreten zu lassen.
Bei einer autobiografischen Platte muss man auf den Punkt kommen – und dafür diese kleinen Gags und Albernheiten opfern.
Auf DIE UNENDLICHKEIT gibt es aber einen anderen, subtileren Humor, der zärtlicher zu sich selber ist. Etwa die Episode in „Electric Guitar“: Morgens schnell in die Garage, im Schulranzen hat man die Spraydose, weil man sich noch heimlich die Haare auftoupiert, bevor man in die Schule geht, das ist schon lustig.
Es ist also nicht ein Humor, der so drübergelegt wird, sondern du hast nach Punkten gesucht, die ohnehin schon lustig waren …
Ja, und es ist nicht alles so ironisch. Vielleicht auch ein bisschen weniger eitel. Diese Gags und Sprachspiele haben immer auch etwas Narzisstisches. Man ist glücklich, dass man so ein schönes Wort gefunden hat. Dieses sprachliche Vermögen möchte man dann gerne auch ausstellen. Das zu reduzieren, in den Texten auf den Punkt zu kommen und trotzdem den Witz in bestimmten Situationen zu finden, das war uns wichtig.
Auf dem Cover sehen wir die Sterne. Was hat es damit auf sich?
Astronomie und Musik haben für mich eine Menge miteinander zu tun.
Und Musik kann – vor allem, wenn sie ein bisschen spirituell ist – eine gute Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und dem, was noch kommt, sein. Weil sie ein starker Erinnerungsträger ist. Das kennt jeder: Man sitzt im Taxi, und es läuft ein Lied, das man lange nicht mehr gehört hat. Unversehens und unwillkürlich wird man in eine andere Zeit zurückversetzt.
Die Platte beginnt mit deiner Kindheit. Es gibt ein ganz schönes Zitat von Tennessee Williams: „In der Erinnerung scheint alles zu Musik zu geschehen.“ Erinnerst du dich an deinen ersten musikalischen Moment?
Jetzt kommen die schwierigen Fragen! (lacht, denkt nach) Ehrlich gesagt, nein. Ich erinnere mich aber natürlich an die ersten Erfahrungen mit Popmusik. Die ersten Auftritte von Popstars, die ich als Kind im Fernsehen sah, haben mich total beeindruckt. David Bowie etwa. Oder meine Nachbarin, die immer Abba hörte. Ich habe dann immer in meinem Zimmer Disco gespielt, den Lichtschalter an und aus gemacht.