ME-Gespräch

Dirk von Lowtzow: „Ich hab’ hier meine drei Gleichgesinnten und ganz woanders ist auch noch Morrissey“


Der Tocotronic-Sänger hat mit uns über Morrissey, Albernheit und Widersprüche gesprochen. Und wir klären die Frage: Wieso singt Dirk plötzlich über sein Leben?

Was war deine erste selbst gekaufte Platte?

The Buggles mit „Video Killed The Radio Star“. Vor allem die Vocoder-Stimme, die da vorkommt, hat mich wahnsinnig fasziniert. Ich habe mit sechs Jahren „Star Wars“ im Kino gesehen, das hat mich unglaublich beeindruckt.

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Ich stand immer total auf Science-Fiction. Deshalb habe ich mein Musik-Erleben wohl auch vor allem auf die Sachen ausgerichtet, die etwas Futuristisches hatten.

Da gab es in den 70er-Jahren mit den ganzen ­androgynen Wesen viel zu holen.

War Popmusik etwas, das in deiner Familie vorkam?

Überhaupt nicht. Meine Eltern besaßen vielleicht zwei Beatles-Platten. Die hörten eher Klassik und höchstens ein bisschen Soul.

Wenn ich von meinen Eltern an etwas herangeführt wurde, dann an Film.

Ich finde es interessant, dass bei den Songs auf der Platte, die sich um die Kindheit drehen, etwa „Tapfer und grausam“, auch die Erinnerungen sehr filmisch sind: Das Rauschen des Windes in den Bäumen, das ist ein cineastischer Klassiker.

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Was warst du für ein Kind? 

 Ich war eher zart und entsprechend ängstlich. Ich habe schnell gemerkt, ich passe nicht so in diese auf Stärke und Dominanz ausgerichtete Welt der männlichen Mitschüler. Mit Mädchen konnte ich irgendwie besser.

Sport fand ich immer schrecklich. Dieses Kräftemessen: Wer übertrumpft wen? Und das Austesten von Gewalt, das Raufen.

Ich habe mich ein bisschen in eine Fantasiewelt geflüchtet und auch viele Sachen gelesen, für die mein Alter noch nicht so angemessen war. Auch deshalb habe ich dann vieles von dem Alltag als Kind als sehr unheimlich wahrgenommen.

Wann bist du von dieser Angst abgebogen und hast deine Gang gefunden? 

Da gab es ein paar Leute –  nicht so viele, es war eine Kleinstadt – bei denen ich merkte: Die ticken ähnlich. Danach kam bald das Undergroundige, Postpunkige. Wenn man schon ein Außenseiter war, dann wollte man das auch zelebrieren. Und in dieser Schutzhülle konnte man gut sagen: Ihr könnt mich mal, weil ich sowieso anders bin, und ich hab’ hier meine drei Gleichgesinnten und ganz woanders ist auch noch ­Morrissey. Das hat mich damals gerettet.

Seit über 20 Jahren bei Tocotronic Sänger: Dirk von Lowtzow

Du bist in Offenburg im Schwarzwald aufgewachsen. Gab es dort schon dieses Jugendzentrum, das heute bundesweit einen guten Ruf genießt?

Ja. Dort hat unsere Gang Konzerte veranstaltet, als ich 16, 17, 18 Jahre alt war. Unser größtes war das einer Hardcoreband aus Kanada; Sons of Ishmael hießen die. Die haben dann bei mir geschlafen, die Eltern waren zum Glück im Urlaub.

Wie darf man sich Dirk von Lowtzows Jugendzimmer vorstellen?

Ich bin in einem Reihenhaus aufgewachsen, im Souterrain hatten wir eine Einliegerwohnung, die zunächst vermietet war. Als ich ein Teenager war, durfte ich dort einziehen. Das war mein Safe Space – ein Room of one’s own, wie man sagt. Ich hatte dort meine erste E-Gitarre und meinen ersten Verstärker und konnte Krach machen. Das Gefühl, das man einen Sound beherrscht, auch wenn man noch nicht richtig spielen kann, dass da was vibriert und man das richtig spürt, das war irre.

Und ich hatte ein eigenes Badezimmer, das gelb gekachelt war und in dem viele Kellerasseln lebten. Dort konnte ich mich vorm Spiegel in Rockstar-Posen werfen, ohne Angst zu haben, gleich kommen die Eltern rein und halten mich für komplett bescheuert.

Welche Poster hingen an der Wand? 

Ich hatte ein ganz großes Tourplakat von The Jesus & Mary Chain zur DARKLANDS-Tour. Das sah echt geil aus: Schwarz-Weiß mit einen großen Vollmond, in den ein Gitarrenhals ragte. Übrigens ist ­DARKLANDS eine sehr gute Platte, um im Nebel in den Weinbergen herumzulaufen. I’m going to the Darklands!

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In „1993“ erzählst du vom „Austritt aus der Stille“ und der „Ausfahrt aus der Schwarzwaldhölle“. Glaubst du, dass das Aufwachsen in der Provinz einen immer verfolgt?

Verfolgen würde ich nicht sagen. Ich habe es nicht als grauenhaftes Schicksal empfunden. Aber es prägt einen, weil man eine unglaublich große Sehnsucht entwickelt. Ich habe Jahrgänge von „Sounds“ und „Musikexpress“ und „Spex“ durchgearbeitet und mir dabei vorgestellt, auch Musiker zu sein, auch in diesen Zeitschriften vorzukommen.

Man spielt bestimmte  Momente so lange im Kopfkino durch, man hört all diese Platten –  und plötzlich wird das Realität. Für mich war es so, als ich nach Hamburg kam und zufällig Jan und Arne kennenlernte, und wir diesen Zufall mit der Bandgründung fixierten.

Es gab eine Infrastruktur mit vielen Clubs – Hamburg ist eine besonders liveaffine Stadt. Wir hatten einen Proberaum und machten eine Single. Wir hatten das Gefühl, wahrgenommen zu werden, das war natürlich die absolute Erfüllung meiner Träume.

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MUSTAFAH ABDULAZIZ