DJ Hell im Interview: „Ich hab immer versucht, mich neu zu erfinden“
Bevor DJ Hell auf unserer Klubtour 2017 in München für Euch auflegt, haben wir zur Einstimmung ein ganz besonderes Interview mit der lebenden Legende. Ein Gespräch über die Zukunft, Techno und die Gay-Community.
ME: ZUKUNFTSMUSIK ist in Zusammenarbeit mit der „Tom Of Finland Foundation“ entstanden, die sich um den Nachlass des Künstlers Touko Valio Laaksonen kümmert, der für seine homoerotischen Zeichnungen bekannt ist. Wie kam das zustande?
DJ-Hell: Ich bin schon lange Fan von Tom Of Finland, ich verfolge seine Kunst schon seit den 70er- Jahren, als ich sie als junger Mann entdeckt habe. Irgendwann hatte ich die Idee, seine Zeichnungen für ein Video animieren zu lassen. Ich schrieb also der Foundation in Los Angeles und wartete wochenlang auf Antwort. Dann habe ich Freunde in L.A. gebeten, eine Pralinenschachtel mit meiner Anfrage vor ihre Tür zu legen. Und dann bekam ich schließlich eine Antwort und Zugang zur Foundation. Ich fragte, ob sie mir die Rechte an den Zeichnungen verkaufen für das Video zu meiner Single „I Want You“.
Und so wurde die ganze Gay- Thematik zum Hauptthema des Albums. Die frühe Disco- und House-Kultur kommt ja aus der Gay Community – die ersten DJs waren alles schwarze schwule Männer, Larry Levan in der Paradise Garage in New York, Frankie Knuckles im Warehouse und Ron Hardy in der Music Box in Chicago. Sie haben in Schwulenclubs für die Gay Community aufgelegt. Das hat mein Leben, meine Arbeit, meine DJ- und Produzententätigkeit beeinflusst. Ich war sogar einmal in der Paradise Garage in New York …
Die ersten DJs waren alles schwarze schwule Männer: Larry Levan, Frankie Knuckles, Ron Hardy. Das hat mein Leben, meine Arbeit, meine DJ- und Produzententätigkeit beeinflusst
Wirklich? Ich kenne nicht viele Leute, die das von sich sagen können.
Ich war in den 80er-Jahren zum ersten Mal in New York. Da hatten mich Freunde in einer Nacht mit in einen Club genommen, der noch geöffnet war. Und ich dachte mir: Was ist denn hier los? Es war ein riesiger Raum mit einem unfassbar guten Soundsystem. Den DJ konnte man nicht sehen, weil die DJ-Kanzel ziemlich weit oben unter der Decke war. Da lief Vocal House und Acid House. Ich war gleichzeitig verwirrt und total begeistert. Ich dachte, das ist die Offenbarung, das ist mein Ding.
Ich habe erst im Nachhinein mitgekriegt, wo ich da war. Ich kann mich auch an eine andere Party in New York erinnern, da standen oben auf der Bühne superhübsche Männer mit Calvin-Klein-Unterhosen und Boots. Das war für mich ein Erlebnis, auch als Hetero-Mann. Ich werde immer wieder gefragt, wieso ich als Hetero jetzt diese Hommage an die Gay-Kultur mache.
Die Frage stellt sich mir gar nicht. Jeder, der sich mit elektronischer Musik beschäftigt, müsste sich über die Wurzeln von House und Techno in der Gay Community bewusst sein.
Ich will nicht oberlehrerhaft klingen, aber ich glaube, dass viele dieses Bewusstsein nicht haben, vor allem die junge Generation nicht.
Das Video zu „I Want You“ mit den animierten Tom-Of-Finland-Zeichnungen darf außer auf Pornoseiten im Internet nur zensiert gezeigt werden.
Von Anfang an hatte ich geplant, drei verschiedene Versionen des Videos zu machen. Ich wusste, YouTube würde die unzensierte Version sofort sperren, also brauchte ich eine Pixel-Version. Die wurde natürlich auch kritisiert, von wegen: Das ist nicht Tom Of Finland, da darf nichts gepixelt sein. Dann gibt es die ungepixelte Fassung, die nichts Pornografisches hat, die einfach homoerotische Pop-Art-Zeichnungen zeigt. Und dann wollte ich unbedingt eine Hardcore-Version haben. Selbst das zensierte Video, das sehr künstlerisch geworden ist, konnte ich fast nirgendwo unterbringen, das wollte keiner zeigen. Dass das im Jahr 2017 immer noch ein Problem sein soll, wundert mich – ich zeige ja keine Pornografie.
Der Song „I Want You“ passt wunderbar zur Thematik. Ein Proto-Techno-Track.
Ausgangspunkt war „Sharevari“ von A Number Of Names, das ich für mein Label Gigolo lizensiert hatte, ein ganz früher Techno-Track aus Detroit aus dem Jahr 1981. Und dann gibt es noch einen zweiten Song „Anytime, Anywhere“ von Livin’ Large, da geht’s um den Hanky Code (In Zeiten, in denen Homosexualität noch nicht gesellschaftlich anerkannt war, zeigten Schwule ihre sexuellen Vorlieben durch das Tragen von verschiedenartigen Taschentüchern in den Gesäßtaschen ihrer Hosen. – Anm. d. Red.).
Mit der Idee der Hanky Codes – passiv, aktiv, unterschiedliche Fetische – habe ich ein Liebeslied für mein Album geschrieben: „Anywhere, Anytime, Don’t Talk“. Ich möchte die Hankys wieder in die Partyszene bringen. Für meine nächsten Gigolo-Partys lasse ich Hankys in verschiedenen Farben machen und lege Flyer aus, die die unterschiedlichen Codes erklären.