Dobermann
Dieser Mann bellt nicht nur, er beißt auch. Hinter dem definitiven Bandnamen The The verbirgt sich der 25jährige Engländer Matt Johnson. Sein drittes Album, INFECTED, wurde von den ME/Sounds-Kritikern im November fast einstimmig zur Platte des Monats gekürt; also sahen wir uns den Gitarristen, Sänger, Komponisten, Keyboa rder und Co-Produzenten mal aus der Nähe an. Er hat Pickel, eine schwarze Fantasie und redet gern über Politik, Sex und Musik. Und er säuft wie ein Loch.
Matts Eltern sind Pub-Besitzer, er ist an Theken großgeworden, und da lernt man keinen Respekt vor Großbritannien.
„Ich hasse diesen britischen Nationalismus und Patriotismus, diese fähnchenschwenkende Prinzessin Di-Begeisterung. Sie bilden sieh ein, ihr Gesundheitswesen wäre so toll, und sie hätte so eine gute Polizei, dabei ist die genauso korrupt wie anderswo. Die Briten denken, sie seien wirtschaftlich gleichauf mit Deutschland und Frankreich, dabei sind sie so arm wie Portugal, noch ärmer als Italien. Und Thatcher will zurück zur viktorianischen Moral. England ist eh schon sexuell zurückgebliebener als jedes andere Land der Welt.“
Mister Johnson hat ein wesentlich unverkrampfteres Verhältnis mit Sex als seine Premierministerin. „Dazu sind wir doch da, um rumzubumsen und so“, grinst er, um zu erklären, warum er es für kompletten Blödsinn hält, die Leute erst jahrelang zum Sex zu umwerben und ihnen dann „mit der Aids-Angst das Ficken zu verbieten.“
Der Spaß wird für Matt erst ernst, wenn er ihn persönlich betrifft, allerdings nicht medizinisch, sondern künstlerisch. Als er „83 das Album SOUL MINING aufnahm, mit dem er zum ersten Mal ein erhebliches Rascheln im Blätterwald verursachte, hatte er gerade eine neue Freundin. „Wir sind immer noch zusammen. Damals hatten wir oft Sex, vor dem Studio, nach dem Studio,im Studio … Aber je mehr du hast, desto mehr nimmt dir das die Spannung mis dem Körper. Du bist irgendwie müde und fühlst dich viel zu zufrieden. Bei INFECTED war das nicht so, und das merkt man. Diesmal klingt’s muskulöser — der Sex steckt im Album.“
Sex und jahrelange Arbeit. Matt Johnson ist gnadenloser Perfektionist, ohne Rücksicht auf Veröffentlichungs-Termine. Die Melodie und die Kernzeile der Sinele „Heartland“
This is the 5 Ist State of the USA“) hatte er schon vor zwei Jahren, seitdem wurde eifrig gesammelt und umfrisiert, „The pound in our packet is worth more than it ever has been“.
verkündete der damalige Premierminister Hamid Wilson in den 6(lern — Matt machte daraus „The pound in our packet turns into a dollar“. Das ist eins seiner Lieblingsthemen: der amerikanische Einfluß auf England. Deutschland, ganz Westeuropa, das „Ford-General Motors-Coca Cola-Wrigley-Levi’s- Bruce Springsteen „-Syndrom. Trotzdem: „Heartland“ ist gegen die amerikanische Außenpolitik gerichtet, nicht gegen Amerika.“
Auf INFECTED geht es zu gleichen Teilen um Geschlechterkrieg („die Schwächen des Mannes“), Weltkrieg (Gedanken vor dem Bombenabwurf) und den „obszönkatastrophalen Zustand“, in dem sich das Vereinigte Königreich befindet. Matt Johnson hat Angst vor .. wachsender politischer Ohnmacht und Frustration in Großbritannien“, tragt im selben Atemzug „willst du noch Gin“, geht nahtlos auf Sexualität in der Werbung über, kommt von Aids über Abtreibung auf Atomkraft. Atomwaffen und seine zweite große Angst: den atomaren Terrorismus.
Wurde man The The-Johnson nächstes Wochenende zum britischen Premierminister wählen, würde er „zuallererstmal die königliche Familie abschaffen, dann fiir die fundamentalen Notwendigkeiten, Gesundheit, Ausbildung und Obdach sorgen und — wahrscheinlich das wichtigste — die Schankgesetze ändern, damit man endlich zu jeder Tageszeit trinken kann.“
Das einzig Positive, was Matt Johnson einem durchschnittlichen Hotelzimmer abgewinnen kann, ist die Mini-Bar, in deren Fläschchen-Parade erhebliche Breschen geschlagen werden. Als auch noch der lauwarme Sekt vom Vorabend geköpft wird, packt er die Anekdoten aus seinem wildbewegten Leben aus. Zum Beispiel die, wo er sich mit Marc Almond /“ein Psychopath“) und Jim Foetus („mein bester Freund“) das Publikum im Londoner Marquce Cluh vornahm: „Das Marquee ist ein Symbol für alles, was ich hasse — wir spielten da einen Monat lang jeden Donnerstag mit der The The-Supergroup. Das waren Zeke Manivka und Thomas Leer (auch jetzt noch dabei), Man- Almond, ‚Mull‘ von Cubaret Voltaire, Edwin von Orange Juice, Jim Foetus, Kid Montana usw.
Am zweiten Abend standen wir da, mit Terroristenmasken auf, zu dreizehn! und spielten Gitarre; da fingen die Leute an, mit Sachen zu schmeißen. Wir prügelten zurück, d. h. eigentlich nur ich, Marc Almond und Jim — die anderen zehn waren längst nach hinten verschwunden.
Dummerweise hatten wir drei die Falschen am Wickel: Da war zum Beispiel ein Typ, dem haute Marc die Gitarre ins Gesicht und ich trat mit dem Stiefel — dabei hatte der sein Glas noch in der Hand. Er war völlig unschuldig! Nachher kam er hinter die Bühne und wollte Geld.“
Hat er’s gekriegt‘.‘ „Nee, ich hab ihm noch ein paar reingehauen. Sein, war nur ein Witz. Noch’n Wodka?“
Ich hol mir einen.
„Du holst mir einen? Oder holst du dir einen? Ich finde, England sollte Deutschland den Krieg erklären!“
???
„Aus Spaß.“
Der trinkfeste Moralist:
Matt Johnson alias The The