Drahtseilakt


ZIRKUS heißt das dritte Album von Mia. Ein großer Zirkus wurde oft um die Berliner Band gemacht, weil sie sich nicht immer ganz geschickt verhielt. Stichwort: Nationalismusdebatte, Grand Prix-Teilnahme.

Die sind halt so. Mia. sind Mia. Man muß sie nehmen, wie sie sind, und man muß sie mögen, um ihnen die eine oder andere Entscheidung nicht krumm zu nehmen, die man den ein oder anderen ziemlich krumm nehmen würde. Zum Beispiel den Titel ihres dritten Albums und alles, was damit zusammenhängt. Es heißt zirkus. Aus dem Presse-Hochglanzfolder zum Album poppt ein Bild heraus, auf dem „die Jungs“ – Multiinstrumentalist Ingo Puls und Bassist Robert Schütze auf der einen Seite, Schlagzeuger Gunnar Spies und Gitarrist Andy Penn auf der anderen Seite – an einem Tau ziehen. Oben drauf balanciert Sängerin Mieze Katz, wie sie sich seit neuestem nennt, in einem kurzen, gepunkteten Kleidchen und hält einen Schirm in die Luft. Das läßt Schlimmes befürchten. Metaphorisch konstruierte Analogien zwischen dem Zirkus und „dem Leben“, der ewige Balanceakt, das Auf und Ab, die Freude und das Leid, die doch so nah beieinanderliegen . Mikrokosmos gleich Makrokosmos. Das ist so naheliegend.

Berlin, Kreuzberg. Ein gar nicht mal so spektakuläres Cafe, in dem öfters mehr oder weniger spektakuläre Berliner Persönlichkeiten wie Sarah Kuttner, Markus Kavka, Wir sind Helden und Winson (der manchmal auch auf der anderen Seite des Tresens) gesichtet werden, ist der konspirative Treffpunkt für das Interview. Der Band-Manager fuhrt den Journalisten, der sich neben dem Zirkus nur noch wenige unangenehmere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung vorstellen kann – die Trommlershow „Stomp“ oder Andre Hellers Ethno-Kitsch „Afrika! Afrika!“ zum Beispiel-ein paar hundert Meter weiter zu einem kleinen – Zirkus. In einem Zirkuswagen, der ein halbes Jahrhundert alt sein dürfte, empfängt die Band zum Interview. ZIR-KUS heißt das Album, in einem Zirkuswagen findet das Interview statt. Haben Sie verstanden, oder muß ich das noch einmal erklären? Mia. meinen das ernst. Ihnen geht es nicht darum, den ersten, naheliegenden Gedanken zu verwerfen, um über einen Irrgarten von Referenzen ein Bedeutungskonstrukt für ihre Arbeit aufzubauen, an dem sich der Journalist aufgeilen und über das sich die Band als cool definieren darf. Die Sache mit dem Zirkus sei ganz einfach entstanden, sagt Schlagzeuger Gunnar. „Wir saßen zusammen und haben uns gegenseitig Sachen an den Kopf geworfen, die wir uns als Albumtitel vorstellen konnten. Es kam aus jeder Ecke des Raums etwas anderes angeflogen, und irgendwann kam .Zirkus‘ auf den Tisch. Zirkus als Erfahrung, als Kindheitserinnenmg, als aktuelleWahrnehmung.Das wirkte auf jeden Fall so, als könnte man da weiter darüber reden.Da ist uns schnell klargeworden, das ist was für uns“, spricht Gunnar, und man nimmt es ihm ab. Und Mieze ergänzt: „Wir haben dann auch ziemlich schnell ziemlich viele Parallelen entdeckt zwischen dem Zirkus und einer Band. Mehr als einmal habe ich gesagt, ,Das ist ja hier wie im ZirkusVWenn wir karawanengleich von Festival zu Festival ziehen, jeden Tag in einer anderen Stadt,jede Nummer ist eine Sensation. Und jeder Abendist der beste Abend. Genauso wie im Zirkus kannst du auch nur live rocken, wenn du beherrschst, was du tust. Man erzeugt Leichtigkeit durch knallharte A rbeit. Das heißt, wenn du dein Handwerk nicht beherrschst, kannst du es nicht gut und sinnvoll einsetzen. Ein Zauberer, der die ganze Zeit die Tricks versaut, klaut die Magie. Auf jeden Fall gab es total viele Zirkus-Band- Assoziationen für mich.“ Gottseidank kommt nicht die befürchtete Nummer mit dem Leben als Zirkus, dem ewigem Balanceakt, dem Auf und Ab, der Freude und dem Leid, die doch so nah beieinanderliegen. Nein, das klingt logisch, was Mieze da sagt. Der Festivalsommer ist ja auch ein Riesenzirkus. Gleichermaßen für Zirkusfreunde wie für Zirkushasser. Überhaupt klingt alles so logisch, so aus dem Bauch heraus, was Mia. alles von sich geben.

In ihrer fast zehnjährigen Bandgeschichte haben Mia. den ein oder anderen Zirkus veranstaltet. Es gibt kaum eine andere Band, die so polarisiert. Die Liebe zu Mia. (bei den Konzerten der Band zu erleben) und der Haß (in der Mehrzahl der Zeitungsartikel zu spüren) liegen nah beieinander. Mia. nur so mittel zu finden, gibt es nicht. Sie machen es leicht, sie zu hassen. Mieze in ihrer emotionalen, direkten Art ist ein leichtes Ziel für Menschen, denen Emotionalität eine eher unangenehme Eigenschaft ist in einer Welt, in der die Coolness den größten Wert darstellt. Mia. haben auch eine Reihe von schlechten Entscheidungen getroffen, aus denen eine Reihe von Mißverständnissen entstanden ist. Etwa der Auftritt beim deutschen Vorentscheidzum „Eurovision Song Contest“ im Jahr 2004. „Als das Angebot kam, am Grand Prix teilzunehmen, war das ja auch mit der Tatsache verbunden, daß sich der Grand Prix öffnen wollte“, sagt Robert Schütze. „Das hat sich auch interessant angefühlt. Damit haben wir Leu te erreicht, die wir vorher nicht erreichen konnten. Du hast ja als Musikerden Wunsch, möglichst vielen Leuten die Chance zu geben, deine Musik zu hören, damit sie dann entscheiden können, ob sie das gut finden oder nicht.“ UndMieze: „Das warecht ein toller Abend.“

Oder das Lied „Was es ist‘ vom zweiten MiaAlbum stille POST, in dem ein neuer Umgang mit der deutschen Identität zur Diskussion gestellt wurde. Eine Vorlage, die von politisch korrekten Musikerkollegen sehrgerne aufgenommen wurde und in die popkulturelle Initiative „I Can’t Relax In Deutschland“ mündete. Es entwickelte sich eine Nationalismusdebatte, Mia. wurde „rechte Gesinnung“ unterstellt, und die NPD-Zeitschrift „Deutsche Stimme“ erwähnte die Band lobend in einem Artikel. Mia. wiederum haben nichts dafür getan, um die Vorwürfe in der Öffentlichkeit zu entkräftigen. „Wie willst du das denn alles abwehren?“ fragt Mieze. „Du hast das ja selbst mitgekriegt, das war ein Selbstläufer. Ich kontrolliere doch nichteine Zeitung, die ich respektiere, um dann eine Richtigstellung zu fordern. In der Zwischenzeit haben das schon drei, vier andere Redakteureabgeschrieben. Da kann man nicht durchgängig hinterhersein.“ Gunnar: „Ich glaube, daß jeder, der unseren Standpunkt rauskriegen wollte, das auch konnte. Es war klar, daß sich die Band bei ,Pro Asyl‘ engagiert, bei .Schule ohne Rassismus ‚, für .Greenpeace‘.fürfairen Handel. Das ist aber untergegangen, weil ein großer Teil der Leute, die sich aus einer bestimmten Richtung der Diskussion genähert haben, kein Interesse daran hatten, mit diesen Tatsachen umzugehen.“

Mia. sehen „Was es ist‘ als Diskussionsgrundlage für ein Thema, das noch nicht abschließend aufgearbeitet wurde. Es bleiben viele offene Fragen: Bin ich „rechts“ oder nationalistisch, weil ich sage, gerne in einem Land zu leben mit der Vergangenheit Deutschlands? Bin ich ein Nazi, wenn ich mir während der Fußballweltmeisterschaft die Farben Schwarz-Rot-Gold auf die Wangen male? Ist Patriotismus nach amerikanischem Vorbild, die Trennung von Land und Nation (Ich liebe mein Land, deshalb muß George W. Bush weg) in Deutschland nicht möglich? Leiden im Umkehrschluß politisch bewegte Künstler wie Blumfeld und Tocotronic daran, in Deutschland zu leben? Einmal hat Andy Penn („Ich wurde musikalisch von Tocotronic sozialisiert.“) Dirk von Lowtzow bei einer Party getroffen und sich längere Zeit mit ihm über das Thema unterhalten. „Ihr seid ja garantiert nette Menschen „hat Dirk gesagt, „aber man kann so einen Song einfach nicht machen.“

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