Dream Academy – Remembrance Days
Eine neue „British Invasion“ scheint sich derzeit für Amerikas Küsten anzubahnen: Nicht nur die US-Hitparaden werden verstärkt durch englische Musiker bevölkert; Gruppen wie das schottische Trio Dream Academy machen gleich eine amerikanische Firma (Reprise) zu ihrer künstlerischen Heimat.
Das neue Album jedoch markiert keinen Stilwandel für Kate St. John, Nick Laird-Clowes und Gilbert Gabriel, sondern kultiviert exakt die opulenten Sounds ihres Debüts, das ihnen mit dem Song „Life In A Northern Town“ auch einen unerwarteten Hit in den US-Charts bescherte. Auf den ersten Blick tut sich nichts Spektakuläres auf diesem Traum-Campus: Sanfte Klanggewebe hüllen nebelhafte Soundlandschaften ein und Peter Gabriel läßt grüßen („Power To Believe“) – die besten Elemente dessen, was die britische Rock-Szene Musikern wie etwa Robert Wyatt und seinen melancholischen Songs zu verdanken hat, bringen Dream Academy mit traumwandlerischer Sicherheit auf ein eingängiges Level.
Dabei scheinen sie die melodischen Einfälle zwischen Folk, orchestralem Pop und softem Rock nur so aus dem Ärmel zu schütteln, wobei ihnen der Phil Collins-Produzent Hugh Padgham (assistiert von Nick Laird-Clowes) die flächigen Sounds liefert, nach denen Dream Academy akustisch träumen: „And freedom walks through poppy fields and remembrance days …“
Obwohl zahlreiche Gastmusiker den verträumten Akademikern assistieren, geht nie die Identität des Sounds verloren: Lindsey Buckingham gibt Gastspiele als Gitarrist, Bassist und Producer; Jerry Marotta trommelt dezent, selbst Madonna-Mann Pat Leonard (Producer und Keyboarder bei „The Lessons Of Love“) ordnet sich klaglos unter.
Es muß wohl an den extrem emotionalen Songs liegen, die so unterschiedliche Temperamente zügeln. „Ballad in 4/4“ etwa, mit wehmütiger Mundharmonika, fließt so kompakt, daß kein Raum für Egotrips bleibt. Selbst sanfter Dance-Groove („Doubleminded“) und zart funkige Gitarren werden von Nick Laird-Clowes‘ Vocals eingebunden.
Dream Academy gelang das Kunststück, bei musikalischen Anleihen das eigene Profil zu bewahren und alle Extreme dem gewollten Konzept dienstbar zu machen und nie der Faszination des technisch Möglichen zu erliegen. Ein zurückhaltendes und trotzdem sehr intensives Album, viel Gefühl, das jedoch nie aus Effekten, sondern immer aus dem Charakter der Songs erzeugt wird. Die Ehe zwischen akustischen und elektronischen Klängen muß also nicht zu Zwisten führen — REMEMBRANCE DAYS ist ein sehr unterhaltsames Beispiel für Harmonie, die nicht zur Langeweile verdorrt. (mb)
SELBST-KRITIK
Nick Laird-Clowes über die Entstehung des neuen Albums
Nachdem wir das erste Album fertiggestellt hatten, gingen wir auf eine endlose Promotiontour durch die ganze Welt. Wir hatten zwar einen Traum verwirklicht, aber ich hatte nur im Kopf, endlich wieder Musik machen zu können, Songs zu schreiben. Das Problem war nur, worüber? Über das Leben in Limousinen? ,Ballad in 4/4′ ist so ein Stück darüber, was Erfolg mit deinem Privatleben anstellt. Die Songs für dieses Album waren im Februar ’87 fertig, und wir gingen zusammen mit Hugh Padgham in London ins Studio. Er machte uns mit Jerry Marotta (dr) und Larry Fast (key) bekannt, die mit Peter Gabriel gearbeitet hatten. Wir nahmen die Basic Tracks mit ihnen auf. Als ich meiner Plattenfirma in Los Angeles ein paar neue Tracks vorspielte, lernte ich Pat Leonard (Madonnas Co-Produzent und Songschreiber) kennen, der sich ein paar Baß-Geschichten ausdenken sollte. Schließlich arbeiteten wir bei ihm zuhause so gut zusammen, daß im Handumdrehen ein ganzer Song fertig war. Am nächsten Tag wollten wir die Vocals noch verbessern, aber alles weitere kam nicht so lebendig rüber. Jetzt ist es die erste Fassung von The Lesson
Of Love‘, die als Ergebnis einer Vier-Stunden-Session auf dem Album ist. Das war eine interessante Erfahrung, denn andere Songs des Albums sind völlig unterschiedlich entstanden. ,ln Exile‘ zum Beispiel entstand nach einem Artikel über Rodrigo Rojas, der vom chilenischen Pinochet-Regime ermordet wurde. Musik sollte nicht unpolitisch sein. Popsongs haben eine enorme Kraft. In den 60er und 70er Jahren haben sie geholfen, die Denkweise der Leute zu verändern, und ich bin der Meinung, daß den Menschen heute diese Kommunikation fehlt. Das neue Album heißt REMEMBRANCE DAYS, und das ist in England der Tag, an dem man den Toten Kränze auf die Gräber legt. Unsere Songs sind Erinnerungen und Versuche, vergangene Gefühle und Erfahrungen festzuhalten. x Ich weiß natürlich nicht, was die Leute mit REMEMBRANCE DAYS anfangen werden, aber es entspricht genau unserem derzeitigen Bewußtsein, unseren Fähigkeiten und klingt genau so, wie es uns richtig erscheint.“
DER PRODUZENT
In Musikerkreisen hat sein Name einen hervorragenden Klang. Der Brite Hugh Padgham begann seine Laufbahn in den Londoner Advision Studios. Die Lehrzeit als sogenannter „tape op“ wurde im Landsdowne Studios fortgesetzt und durch eine Fünf-Monate-Tournee als Toningenieur der Jim Capaldi-Band abgerundet. Wieder in London, erhielt er eine Anstellung im berühmten Townhouse Studio, wo er als kritisches Ohr Alben von XTC, The Jam. PIL oder Spandau Ballet aussteuerte. Bei der Arbeit an Peter Gabriels drittem Solowerk traf Padgham auf Genesis-Kehle Phil Collins. Padghams Tonregie bei dem Collins-Multiseller FACE VALUE (1981) sorgte für Nachfrage und Marktwert. Die Liste seiner nachfolgenden Klienten beweist es: Police (SYNCHRONICITY), David Bowie (TONIGHT). Genesis. Paul McCartney u.v.a. Padghams Produzentenphilosophie ist ebenso einfach wie effektiv: Es muß nur gut klingen! (th)