„Digital und Kassette ergänzen sich prima!“: Interview mit den Labelbetreibern von Econore
Von der Noise-Band zum eigenen Label. Auf Kassette. Wieso, weshalb, warum? Das erzählen uns Markus Radermacher und Julian Flemming vom Label Econore, das sie zu zweit in Mönchengladbach und Berlin betreiben.
„Econore is /noise /art /experimental“ prangert als Credo über allem, was Julian Flemming und Markus Radermacher auf ihrem Label tun. Vor zehn Jahren haben sie sich entschlossen, ein Label mit dem Namen „Econore“ zu gründen. Sie wollten ihr eigenes Ding machen und die Musik ihrer Noise-Band Zoul so veröffentlichen, wie sie es sich selber vorstellten – ohne wenn und aber.
In Mönchengladbach – das zwar immerhin eine Hochschulstadt ist, aber ansonsten eher wenig bekannt für eine krasse Kulturszene – kein einfaches Unterfangen. Sie entschieden sich dafür ihre Noise-Experimente auf Kassette zu veröffentlichen – aus Kostengründen, aber auch, weil die minimalistische Gestaltung des Artworks, die sie im Kopf hatten, sich so am besten umsetzen ließ. Nach und nach wuchs das Label, auch heute noch veröffentlichen Flemming und Radermacher vor allem Künstler aus den Genres Noise und Experimental. Vor einigen Jahren ist Markus Rademacher nach Berlin gezogen, seitdem hat Econore zwei „Büros“.https://soundcloud.com/econore/sets/econore-compilation-5
Mittlerweile haben sie ihr Portfolio erweitert. Der Fokus liegt natürlich auf den Ursprüngen, also auch der Kassette, aber sie veröffentlichen immer mehr auch auf Vinyl und auf CD. Darüberhinaus engagieren sich beide in der Event- und Kulturszene Berlins sowie am Niederrhein – der grenzt praktischerweise ja auch an die BeNeLux-Staaten, Frankreich ist nicht weit weg, so vernetzt sich ihr Label auch international. Sogar Meghan Remy, besser bekannt unter ihre Künstlernamen U.S. Girls, hat eine limitierte Edition auf Econore veröffentlicht. Wie es dazu kam, mit welchen Schwierigkeiten man als kleines Kassettenlabel, das auch auf der Veranstaltungsseite unterwegs ist, zu kämpfen hat, haben die Gründer uns im Interview berichtet.ME: Ihr habt das Label damals gegründet, um die Musik eurer eigenen Band Zoul zu veröffentlichen. Wieso musste es ein Kassettenlabel sein?
Econore: Zum einen waren uns Kassetten aus Kindheit und Jugend natürlich vertraut und sind nie ganz verschwunden. Man denke an Kleinstveröffentlichungen aus der Punk- und Hardcore-Szene. Mit dem Hintergrund war die Kassette für uns ein weniger exotisches Format als man meinen könnte. Außerdem sind Kassetten in ihrer einfachsten Ausführung billig. Das Geld, das man für andere Formate braucht, wollten wir lieber in das Artwork stecken. Denn Kassetten kann man herrlich gestalten – noch ein Vorteil!
Zum Beispiel wollten wir mit „Vow“ – der ersten Zoul-Veröffentlichung – den Hörer mit in die Musik einbeziehen, die Wiedergabe Teil des Stücks werden lassen. Deshalb ist der Titeltrack auf zwei Kassetten geteilt, die gleichzeitig wiedergegeben werden müssen, um das Stück zu hören. Außerdem haben wir festgestellt, dass Sammler unsere Kleinstauflagen als Kassetten schätzen. Den digitalen Download erhält man ja ohnehin dazu, das trennt das Musikwerk vom Medium im Sinne einer erstens bequemen Wiedergabe und macht das Musikstück einem breiteren Publikum zugänglich. Dadurch laufen wir nicht Gefahr, dass die eigentliche Musik der Künstler wegen eines weniger verbreiteten Formats (also Tape) unnötig elitär und nur wenigen Hörern vorbehalten bleibt. Digital und Kassette ergänzen sich prima!
Ist das dann das, was den Tonträger für Euch auch so besonders macht?
Zoll ist auch, wie robust die Dinger sind. Wer mal Bandsalat oder anhaltendes Rauschen der Lieblingskassette erlebt hat, weil sie entmagnetisiert wurde, weil sie zum Beispiel versehentlich zu lange auf dem alten Röhrenfernseher gelegen hat, mag widersprechen. Aber grundsätzlich sind Tapes sehr unempfindlich. Und damit perfekt um sie zu gestalten. Man kann sie besprühen, bemalen, bekleben oder mit Laser bearbeiten. Haben wir alles schon gemacht. Bei unseren kleinen Auflagen machen wir uns die Mühe und stellen jede Kassette von Hand her. Auch bei der Verpackung hat man Möglichkeiten: verschiedene Cases, Farben, man kann sie in Tüten stecken, auf Bretter schrauben und so weiter.
Meghan Remy aka U.S. Girls veröffentlichte bereits bei euch. Wie kam es dazu?
Wir fanden die Musik von Meghan Remy Bombe und haben sie einfach gefragt, ob sie Bock hat ihre Vinyl-Single „Lunar Life“ bei uns als Kassette zu veröffentlichen. Meghan war total nett und begeistert und hat extra ein kleines Heft im Fanzine-Style für uns gestaltet. Die Kassette kommt zusammen mit dem Heft. Veröffentlichung war zur damaligen Europa-Tournee. Es gibt zwei Versionen, die reguläre und eine super-rare Tournee-Version, die man nur von Meghan direkt während ihrer Europa-Konzerte bekommen konnte. Wir haben ihr alle Kopien gegeben, deshalb ist es das einzige Release, von dem wir selber kein Exemplar haben. Frage mich gerade, ob sie selber eins hat! (lacht)
Wie hart ist es als Kassettenlabel zu überleben?
Mit Econore verdienen wir kein Geld – im Gegenteil. Es ist die reine Leidenschaft zur Musik – in unserem Fall experimentelle Musik, Noise. Zum einen müssten wir Kompromisse eingehen, zum Beispiel stärker auf den Stückpreis achten, mehr Masse machen und so weiter, wenn wir damit unseren Lebensunterhalt bestreiten wollten. Und selbst dann wäre es schwierig. Wir pflegen lieber einen engen, persönlichen Kontakt. Sowohl zu unseren Künstlern als auch zu unseren vielen Stammkunden, die teilweise seit Jahren alles sammeln was wir veröffentlichen. Facebook interessiert uns im Grunde gar nicht – wenn Label, Künstler und Hörer zusammenpassen, dann finden wir uns auch.
Welche Prinzipien habt ihr bei der Auswahl der Artists und der auch der künstlerischen Gestaltung eurer Tapes?
Was die Gestaltung angeht: Auch das war ein Prozess. Eine Gestaltung mit klarer Kante um eine Art Label-Style festzulegen wollten wir nicht. Mittlerweile haben sich aber wiederkehrende Merkmale etabliert, die beinahe alle Veröffentlichungen verbinden – zum Beispiel das kleine Quadrat auf dem Caserücken. Zum Artwork selber: Manche Künstler kommen mit Artworks oder wollen selber gestalten, manche wollen das komplett uns überlassen. Oder wir teilen uns die Gestaltung. Je nachdem was der Artist will. Das wird individuell abgestimmt.
https://www.facebook.com/Econore.Records/photos/a.489422314423957.117439.189437254422466/1196348250398023/?type=3
Wie wir unsere Künstler auswählen? Zuerst müssen wir Bock auf die Musik haben, logisch. Wenn ich zurückblicke spiegeln die Veröffentlichungen daher auch ein bisschen wieder, was bei uns beiden so im Leben zu der Zeit los war. Und dann müssen die Künstler zu uns passen – klar haben wir einen gewissen Sound, der sich aber vielleicht nicht so sehr am Genre festmachen lässt. Aber auch menschlich muss es passen. Am geilsten ist doch, wenn sich Leute über die Musik begegnen. Wenn Austausch stattfindet.
Ihr seid noch immer in Mönchengladbach und Berlin unterwegs. Beide Städte sind, auch was Kunst und Kultur angeht, doch sehr unterschiedlich. Macht sich das in eurer Arbeit bemerkbar?
Darüber könnten wir ein eigenes Heft machen. Ich glaube manchmal, dass es sich stärker in unserer Labelarbeit bemerkbar macht, als wir selber wahrnehmen. Berlin ist oft Seismograph dessen, was in der Szene generell in Bewegung ist, wie sich die Musik entwickelt, weil vieles von außerhalb der Stadt in Berlin zusammenkommt und hier erstmals richtig öffentlich und cool wird. Berlin-Faktor und Berlin als Melting-Pot.
In Gladbach, NRW und Umgebung beobachten wir manchmal allerdings Entwicklungen, bevor sie sich ausbreiten. Man darf nicht vergessen, dass Gladbach umgeben ist von Metropolregionen: Rheinland, Ruhrgebiet, Randstadt und die Region Antwerpen, Brüssel liegen alle im Umkreis von circa zwei Stunden mit dem Auto. So haben wir auch eine starke Verbindung Richtung Brüssel und teilweise Frankreich. Das kreative Potential ist gewaltig. Da ist Berlin viel mehr Insel.
Außerdem haben wir alle Live-Aktivitäten, also Konzerte, unser Festival, Ausstellungen auf Gladbach konzentriert. Berlin hat davon schon genug und manches ist Mist und vieles redundant, die Bedingungen seitens der Venues für Veranstaltungen und Musiker/Künstler sind im Vergleich miserabel. Die nahe Region um Gladbach hat außerdem viel mehr davon, wenn wir unsere Kraft in Aktivitäten dort stecken, als Berlin davon profitieren würde – und wir mit Sicherheit auch.
https://www.facebook.com/Econore.Records/posts/1720780654621444
Ihr veranstaltet auch Kunstausstellungen und Konzerte – hat sich das so ergeben oder stützt ihr damit konkret eure Labelarbeit?
Ausstellungen und Konzerte gehören zu unserer Labelarbeit genauso dazu, wie die eigentlichen Musikveröffentlichungen. Das Festival, das Econore Noise Fest, das wir im Herbst mit dem Mönchengladbacher Kulturverein veranstalten, kommt gut an, und unsere Konzert-Reihe (Experimental Night) ist immer prima besucht. Oft kommen unsere Künstler auch aus einem Bereich, der sich mit anderen Künsten neben der Musik überlappt oder gut verbinden lässt. Mit Zoul machen wir schon seit Jahren keine Live-Auftritte mehr, sondern haben uns „live“ Richtung Installationen entwickelt. Vielleicht treten wir nochmal irgendwann als Band auf – zur Zeit ist aber nichts geplant.