Eels live in Washington


musikexpress.de-User Frank Struwe hat auf einer USA-Reise ein Eels-Konzert in Washington besucht. Er berichtet von einer ausverkauften Synagoge, Foto- Verboten, abwesenden Präsidenten und dem Mr. E-Film "Parallel Worlds, Parallel Lives".

Landschaft. Grüne Wiesen, Straßen, nicht breiter als Wirtschafts- wege, die die Hügel rauf und runter führen. Tankstellen, an denen Autos Benzin und Menschen abgestandenen angebrannten Kaffee tanken können. Eine Stunde Autofahrt östlich von Washington ist man tief in der Weite des Landes. Chesapeake nennt sich der Landstrich, der uns bei unserem Tagesausflug Gesellschaft leistet. Es ist die Gegend um Chesapeake Beach, einem kleinen, wohl nicht nur zu dieser Jahreszeit verschlafenen Fischerstädtchen. Wir schnuppern Meeresluft und vermissen jegliche touristische Anreize. Hier blüht das amerikanische Leben abseits der Supermarkt- und Fast-Food-Ketten. Das hier könnte Twin Peaks sein. Im CD-Spieler laufen Death Cab For Cutie, die besser in diese Gegend passen als der anschließende Urban Jazz von Steely Dan. Stilbruch auf der Route 4 north. Wo sind die Lichter der Großstadt? Um 6 PM sehen wir sie noch nicht. Am Reflecting Pool des Capitols herrscht reger Touristenbetrieb. Die Sonne liegt in den letzten Zügen, ein schöner Frühlingstag neigt sich dem Ende entgegen.Nur ein paar Blocks weiter nördlich an der 6. Straße spielen in zwei Stunden die Eels. Als Konzertraum haben sie sich die alte Synagoge Sixth and I ausgeguckt. Ein eher mickrig wirkender Gottesbau inmitten von höhergeschossigen Gebäuden. Der Saal ist ausverkauft. Drei Frauen, die unseren Weg kreuzen, schauen belustigend auf dieses Schild und fragen sich, wer die Eels seien. „So bekannt können die ja nicht sein, wenn man sie nicht kennt“, so ihre Rückschlüsse. Na ja. Gleichzeitig frage ich mich aber, wie bekannt die Eels in den Staaten nun wirklich sind. In die Synagoge gehen schätzungsweise 700 Menschen, der Tanz- brunnen in Köln, wo sie im Februar auftraten, fasst doppelt so viel und war ebenso ausverkauft. Sind die Eels hier nicht so groß oder wurde der kleine Veranstaltungsort bewusst gewählt? Ich kenne die Antwort nicht. Flair hat das Gebäude allemal. Es erinnert ein wenig an die Kulturkirche Köln-Nippes. Allerdings wirkt die Synagoge ein bischen sakraler. Wir reihen uns die Schlange vor dem Eingang ein. Ein Polizist macht ziemlich unmissverständlich darauf aufmerksam, dass „videotaping“ and „photographing“ verboten seien und er jedwede Kamera einkassiere. Na gut, zwischen Fiktion und Wirklichkeit liegen manchmal mehr als Worte. Wir sind in den US of A und hier grassiert die Handyfotografie bei Konzerten noch stärker als bei uns. Wie wird das Konzert wohl ablaufen? Die Eels sind bekannt für ihre überraschenden und guten Konzertevents. Bei der letzten Tour füllten sie mit einem halben Orchester die Bühne. Und heute? Ich war gespannt.Um 8 PM die erste Antwort. Der erste Teil der Mr. E Show startete mit einem auf die Leinweind projizierten Videofilm. Als Titel könnte gut folgendes herhalten: „Mr. E junior auf den Spuren seines Vaters Hugh Everett.“ In bester Discovery- Channel-Manier begeleiten wir Mr. E, wie er an Original- schauplätzen die wissenschaftlichen Errungenschaften seines Vaters recherchiert. Tatsächlich ist der Film eine BBC-TV- Dokumentation, in der Mr. E versucht, die Arbeiten seines Vaters zu verstehen. Man muss wisen, Hugh Everett war ein bekannter Quantenphysiker und begründete in den fünfziger Jahren die Theorie des Multiversums, auch Viele-Welten-Theorie genannt. Die filmische Reise begann am Grab der Eltern und der einzigen Schwester, führte über Virginia, wo die Everetts lange wohnten, an die Universität von Princeton und nach Kopenhagen, und endete in Mr. E’s Wohnzimmer. Der dokumentarische Biopic erzählt uns, dass Hugh Everett im Alter von 24 Jahren an der Princeton University die „Theorie des Paralleluniversums“ entwickelte. Am Anfang standen dabei Experimente mit Photonen. „What is a photon?“ fragt Mr. E im Film einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, der darauf erstmal keine Antwort wusste. Der Film erklärt es uns. Er erklärt uns auch das „Schrödingers Katze“-Experiment, demzufolge ein Zustand erst durch einen Beobachter Realität wird. Wir sehen Interviews mit einem ehemaligen Nachbarn, Kommilitonen und anderen Weggefährten.Um 9.25 PM ging zum zweiten Mal das Licht aus. Aus der linken hinteren Tür zog E., eskortiert von zwei Polizisten, in den Saal ein. Die Mütze des schwarzen Field-Parkas tief ins Gesicht gezogen, so betrat er die Bühne. Das war schon mal ein Start, wie er besser zu Mr E. nicht hätte passen können. Skurril, exzentrisch, verschroben. Das Konzert begann mit „Magic World“ solo auf der Gitarre, ehe er seinen Mitspieler und Begleiter Chet vorstellte. Ja, heute gab es eine 2- Mann Show, und ja, von jetzt an war klar, dass es eher ein Konzert der ruhigeren Töne werden würde. Auch Chet betrat in vorzüglichster Rocky-Balboa-Manier die Bühne. Und hatte sichtlich Spass an diesem Auftritt. Überhaupt, beide schienen gut gelaunt nach Washington gekommen zu sein, auch wenn Präsident George W. Bush die Einladung zum Konzert absagte. Nach dem dritten Stück ließ E. die Absageerklärung eines Pressesprechers des Präsidenten einspielen. Der Saal brüllte laut auf. Er brüllte noch lauter, als E. anmerkte, Obama hätte bestimmt vorbeigeschaut.E. spielte abwechselnd Klavier und Gitarre, zum Ende des Konzertes auch Schlagzeug, Chet bearbeitete Gitarre, Schlagzeug und Säge. Als das Schlagzeug an diesem Abend Premiere feierte, nahm nach 2, 3 sehr ruhigen Stücken das Konzert nach 20 Minuten erstmals Fahrt auf. „Aha“, dachte ich, „jetzt sind wir drin.“ Doch halt, nun begab sich Chet zum Stehpult und las mit verteilten Rollen zwei Passagen aus Mr E.’s Biographie „Things the grandchildren should know“. Triumphal abgefeiert wurde der Instrumentenwechsel der beiden während „Flyswatter“. E. begann am Klavier, Chet am Schlagzeug. Mittendrin wechselten beide 2x die Plätze, um am Ende des Songs wieder die Ausgangsposition einzunehmen.“Remember ye law of Moses“ stand an der Wand im Rücken von E. Ich erinnere mich vor allem an den Sarkasmus von E., der gerade in der Dokumentation sehr deutlich zum Vorschein kam. Oberflächig noch erheiternd, wirkt er beim intensiveren Betrachten immer befremdlicher. Mr. E, seine eigene Welt und die Dinge, wie er sie sieht und bewertet. Weird. So ging nach einer Stunde das reguläre Set der beiden zu Ende. Es folgten drei Zugaben mit je einem Stück, ehe das Licht entgültig nicht mehr ausging. Dieser wunderbare Konzertabend endete mit einem wunderbaren „Beautiful World (For Me)“.Ein kleiner Wermutstropfen bleibt aber hängen: Im Land der Klimaanlagen betrug während des Konzertes die gefühlte Raumtemperatur ca. 12 Grad (windchill). Es scheint so zu sein, dass, egal wie die Temperaturen draußen oder im Gebäude auch sein mögen, pauschal die Klimaanlage auf Hochtouren läuft. Hey, schon mal was von Klimaautomatik gehört und einer Wohlfühl- raumtemperatur von 21 Grad? Also, wenn ihr in USA ein Konzert besucht, geht nicht im T-Shirt hin, sondern packt lieber noch den Schal ein, sonst wird es kalt… Geht aber auf alle Fälle hin!

Frank Struwe – 08.04.2008