Ein bisschen mehr Rock’n’Roll
Mit bewundernswerter Hartnäckigkeit haben sich Anajo ihren ganz persönlichen Traum vom Indie-Pop erfüllt. Jetzt kommt das zweite Album der Band aus Augsburg, text albert koch
Manchmal haben Anajo Dinge getan, für die man anderen Bands fristlos die Fanschaft kündigen würde. So Dinge wie bei Stefan Raabs „Bundesvision Song Contest“ auftreten. Oder bei Newcomerwettbewerben. Oder im Rahmen von so genannten „Branchenevents“, die von Popmusikverwaltungsorganisationen veranstaltet werden. Einen „Branchenevent“ kann man sich ungefähr so vorstellen: Ein paar 100 Leute aus dem Musikbusiness, die sich nicht übermäßig für Musik, aber sehr für das Business interessieren, versammeln sich in einem Raum, in dem Häppchen und alkoholhaltige Getränke gereicht werden. In diesem Raum ist eine Bühne aufgebaut, auf der sich gerade eine Band einen Wolf spielt, was aber von den Branchenfachleuten eher als störend empfunden wird, weil dadurch ihr Smalltalk mit den anderen Branchenfachleuten erschwert wird. Ekelhaft, oder? Warum nimmt man es Anajo also nicht krumm, wenn sie so was machen? Weil sich die Band nicht vereinnahmen lässt von Popakademikern und lustigen Fernsehmoderatoren. Wahrscheinlich könnten Anajo auch Wahlwerbung für die FDP machen, und das wäre egal – weil sie es ernst meinen mit der Musik.
Sängerund Gitarrist Oliver Gottwald, Bassist/ Keyboarder Michael Schmidt und Schlagzeuger Ingolf Nösser gründen die Band 1999 in Augsburg. Sie nehmen vier Demo-CDs auf, mit denen sie Klinken putzen bei Labels und Plattenfirmen. Es folgt: eine Absage nach der anderen, obwohl die Zuschauer bei den Konzerten immer mehr werden. Tenor der Plattenfirmen: „Ihr seid sehr eigenständig, aber ihr passt leider nicht in unser Programm.“ Als es die drei fast aufgegeben haben, landet ihre vierte Demo-CD beim österreichischen Sender FM4. Dort läuft „Ich hol dich hier raus“, das Lied mit dem Zitat aus der Titelmelodie von „Ein Fall für zwei“, auf Heavy Rotation. Danach: ein Vertrag mit dem Hamburger Label Tapete. Das erste Album nah bei mir wird 2004 veröffentlicht. Anajo geben in der Folge rund 300 Konzerte. Jetzt, wo es funktioniert, passen sie plötzlich ins Programm der Labels, von denen sie vorher abgelehnt wurden. Abwerbeversuche: zwecklos. Anajo sind treue Seelen. Auch das neue Album hallo, wer kennt hier eigentlich wen? erscheint bei Tapete. Auf Dampfplauderer, die auf dicke Hose machen („Ich bring euch ganz groß raus“) reagieren Anajo mit freundlicher Ablehnung, aber durchaus mit Verständnis: „Ja, so läuft das Business leider“, sagt Oliver Gottwald. „Einpaar Leute gibt’s dann gottlob doch, die an einen glauben. Allen voran unser Produzent Alaska. Mit ihm arbeiten wir von Anfang an zusammen. Er ist ein Idealist und glaubt an die Sache. Aber von solchen Leuten gibt es natürlich viel zu wenig. Wenn die anderen merken, dapassiertein bisschen was, kommen sie an. Es ist eineganz normale Sache, das würdeich vielleicht nicht anders machen.“
Anajo polarisieren. Entweder man gerät in Verzückung über die Musik der Augsburger, oder man muss kotzen. Vielleicht liegt das an der Mischung aus dadaistischen und ernsthaften Inhalten. Auf Anajo-Platten geht es zu wie im richtigen Leben. Himmelhohes Gejauchze und tiefe Melancholie liegen dicht beieinander. Während eine Band wie Sportfreunde Stiller tendenziell als „lustig“ und eine wie Tocotronic tendenziell als „ernst“ wahrgenommen wird, sind Anajo schwer in eine Schublade zu stecken, weil sie die ganze Gefühlspalette draufhaben. Das gilt auch für hallo, WER KENNT HIER EIGENTLICH WEN?, für das Anajo – mit länglichen Unterbrechungen -13 Monate im Studio verbracht haben. „Ein Irrsinn“, meint Gottwald. „Wir hatten uns überschätzt. Wir sind mit teilweise unfertigen Songs ins Studio gegangen, was man ja eigentlich nicht so macht“, sagt Michael Schmidt. Zweimal wurde der Veröffentlichungstermin verschoben, jetzt ist es da, das Album, das auch augenzwinkernd-autoreferenziell die Musikbranche, ihre Mechanismen und die Erlebnisse der Band kommentiert, das auf subtile Weise anders ist als sein Vorgänger, oder wie Gottwald sagt: „Es ist schneller, es hat mehr Gitarre und weniger Synthesizer. Es ist ein bisschen mehr Rock’n’Roll.“
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