Ein Panda auf Abwegen: Wie Cro von „Easy“ und RAOP zu TRIP fand
2011 kam er zu uns, der Typ mit der Pandamaske und landete mit EASY einen Über-Hit, der eine Ära im Rap einläuten sollte. Zehn Jahre später hat Cro Stuttgart gegen Bali eingetauscht und Rap gegen psychedelischen Hippiesound. Was ist übrig vom Raop-Jahrzehnt?
Da tauchte er plötzlich fast aus dem Nichts auf, damals, vor zehn Jahren. Cro, ein schlaksiger Typ mit Skater-Habitus, einem eingängigen Track, der nicht aus dem Kopf zu schlagen war, und einer billigen Pandamaske aus dem Faschingsbedarf mit einem nachlässig draufgekritzelten umgedrehten Kreuz, das eher wie ein planloses Zitat, ein kleines Augenzwinkern wirkte, als wirklich das Böse heraufzubeschwören. Klar, „Easy“ war schon recht sexistisch, aber „hey, war nicht so gemeint“, rappte der Panda entschuldigend hinterher und verlieh dem grauen Stuttgart etwas kalifornische Leichtigkeit.
Und das war nur der Anfang: Carlo Waibel, der Mann ohne (menschliches) Gesicht, Jahrgang 90, sollte sich als Cro in der Folge zu einem der größten Popstars des Landes entwickeln. Seine gut gelaunten Tracks stellten einen Gegenentwurf zum Battlerap aus Berlin dar, sonnige Vibes statt harte Rhymes. HipHop-Veteran Marcus Staiger sprach vom „Schweinezyklus“, das Überangebot an hartem Rap hatte zu Überdruss am Gangster-Habitus geführt. Also dann lieber ein netter Panda statt Sidos chromglänzende Totenkopfmaske, lieber gute Laune statt Stories aus’m Block. Auch wenn Cro dann doch zwischendrin herausrutschte, Mütter totschlagen zu wollen und Bettgefährtinnen auch. Aber hey, war alles nur Spaß.
Der King of Raop
Dass sein damaliges Label Chimperator sich entschied, sein „Easy“-Mixtape zu verschenken, wird am Erfolg in der Kurz-vor-Spotify-Zeit nicht ganz unerheblichen Anteil gehabt haben. Schnell wurde ein Album zusammengestrickt. So schnell sogar, dass nicht mal Zeit blieb, Samples zu klären – also spielte der oft vom Indie der Nullerjahre inspirierte Cro alles selbst ein. Und, im Rückblick mag man es kaum glauben, die Rechnung ging auf: RAOP erschien noch im Sommer 2012 und sorgte dafür, dass die Aufmerksamkeit sogar noch stieg. Mittelmäßige bis schlechte Kritiken in Musikmedien waren egal, Album und das flugs direkt noch mal veröffentliche „Easy“ hielten sich wochenlang in den Charts und machten Cro zum Pop-, Verzeihung, Raop-Star.
Das Kunstwort aus „Rap“ und „Pop“ trifft ziemlich genau den Kern der Sache: weißgewaschener Rap, porenrein, für die fetten Jahre zwischen zwei Finanzkrisen, ohne große Sorgen im Leben. Und das funktioniert eben gut: 2012 gab es gleich einen Bambi, 2013 eine H&M-Kollektion, 2015 ein MTV Unplugged, 2016 sogar einen eigenen, ausgerechnet von Til Schweiger mitproduzierten Kinofilm. Popkarriere im Turbomodus eben. Oder „Raketenstart“, wie es Cro heute selbst nennt. Er habe das Image „als der immer gut gelaunte, kreative Typ mit der Maske“ gehabt, der „in die deutsche Musikwelt wieder ein bisschen Sonnenschein reinbringt und irgendwie Everyone’s Darling“ gewesen sei. Und danach schien sich das Publikum zu sehnen.
Und dann? Dann ging es eben immer weiter – und bislang ging noch jedes Album des Stuttgarters auf die Eins und verweilte dort auch gleich wochenlang. Das System „Raop“ funktionierte für die Fans, den Panda und sein Umfeld gut. Doch schon beim letzten Album, TRU. von 2017, deutete sich ein kleiner Richtungswechsel an: Die Maske veränderte sich und mit ihr der Sound, er wurde ein bisschen verträumter, psychedelischer, mehr Strand, weniger Skatehalle im Vorort.
Dieses Album feierte die Kritik, der King of Raop, der erst vom Mainstream umarmt worden war, war zweifelsohne und endgültig angekommen. Aber wie macht man danach weiter? Cro zog nach Berlin, quartierte sich im Funkhaus ein und frickelte an sphärischen Sounds herum, es folgte die eine oder andere Single, aber sonst – nicht viel. Es kamen ja andere, die es ihm gleichtaten und poppigen Sound mit Rap verbanden. Die Bausas dieser Welt, die Apaches, Yung Hurns und Rins dieser Welt. Wer braucht da noch einen Panda?
Trapped in Paradise
Da wirkte es eigentlich nur konsequent, dass Cro im Juli vergangenen Jahres eine Art Abschied ankündigte: Der Instagram- Account wurde leergefegt, er begrub etwas theatralisch die Pandamaske. Ganz zu Take-That-Niveau von Teenager-Verzweiflung reichte es nicht, aber immerhin zu gehobener Besorgnis in Fankreisen, sogar das Ü50-Klatschmagazin „Bunte“ berichtete angeregt.
Aber natürlich war die Geschichte nicht zu Ende geschrieben, im Gegenteil – wenige Tage später wurde das Kitschkrieg-Feature „Fünf Minuten“ mit Trettmann und Henning May veröffentlicht und es war klar: Dieser Cro hat nicht vor, zu verschwinden. Zumindest jetzt noch nicht.
Einige Monate später tauchte er wieder auf, diesmal auf Bali. „Ich wollte eigentlich nur ein paar Wochen hier verbringen. Dann kam die Pandemie und ich bin geblieben“, schreibt er uns aus Indonesien: „Mein Leben ist sowohl hier als auch in Deutschland super unkontrolliert kontrolliert. Ein super geordnetes Chaos. Jeder Tag ist anders und ich genieße hier eine Freiheit, die ich sehr schätze.“ Also ein bisschen wie „Cast Away“, aber in einer sehr deutschen Luxusvariante. Und anscheinend mit einem Tonstudio bei der Hand, denn jetzt veröffentlicht Cro nicht nur ein, sondern gleich zwei Alben. Oder ein Album mit zwei Seiten, eine gespaltene Persönlichkeit. Die eine Hälfte, SOLO, feiert weiter im RAOP-Sound, Eskapismus für die Apokalypse. Auf der zweiten, namensgebenden Hälfte, TRIP – was passenderweise für „trapped in paradise“ steht und Waibels aktuelle Lebensumstände ganz gut umreißt, wird Cro endgültig zum Hippie: Psychedelica und Surfer Sounds treffen auf sakralen Gospel, melancholische Lyrics und auf diese Neunziger-Jahre-Slacker-Attitüde, wie sie Filme wie „Clerks“ oder Jonah Hills „Mid90s“ vermitteln. Mit klassischem Rap hat das alles nur noch wenig zu tun – aber hatte er das je?
„Wenn so viele Persönlichkeiten in einem schlummern, fällt es schwer, sich auf nur eine Seite zu konzentrieren.“
„Es schlummert schon immer in mir – der emotionale Cro“, sagt Cro dazu. „Wenn man die Alben kennt, weiß man, dass schon immer ein Track drauf war, der nachdenklich, deeper oder emotionaler war. Jetzt habe ich dem Ganzen einfach ein bisschen mehr Raum gegeben.“ Beeinflusst habe ihn auch das Funkhaus: „Die Atmosphäre dort hat mich sehr inspiriert zu dem Sound.“ Kein Wunder: Der Komplex, das ehemalige Zuhause der DDR-Rundfunkprogramme, hat sich mit seinen vielen Studios in den letzten Jahren zu einem Kreativort im Berliner Osten entwickelt, Künstler*innen von A-ha bis Black Eyed Peas, von Depeche Mode bis hin zu Mouse on Mars arbeiteten hier auch schon. Nun eben auch Cro, der sich dort einen „bis unter die Decke mit Instrumenten gefüllten“ Rückzugsort eingerichtet hat.
Das klingt eigentlich so gar nicht nach dem Typen mit den netten, gut gelaunten Tracks. Aber vielleicht war dieses Bild auch immer falsch, vielleicht haben wir den freundlichen Panda unterschätzt. Waibel: „Wenn so viele Persönlichkeiten in einem schlummern, fällt es schwer, sich auf nur eine Seite zu konzentrieren.“ Vielleicht hat es aber auch seine Zeit gebraucht, bis die verschiedenen Identitäten ihren Raum finden konnten. Zeit, die es gerade am Anfang seiner Karriere im Verwertungssystem vielleicht nicht gab.
Wenn man heute Cro aka Carlo aka den Panda danach fragt, ob er irgendetwas aus den Jahren bereut, bleibt er diplomatisch, professionell und, wie könnte es anders sein, so freundlich wie eh und je: „Ich habe aber über die Zeit gelernt, dass man mit seinen Herausforderungen wächst und es vor allem am Anfang einer Karriere nicht immer einfach ist, sich für oder gegen gewisse Dinge zu entscheiden, aber genau das ist Teil des Prozesses einer Künstlerentwicklung. Heute bin ich sicherlich ein ganzes Stück reflektierter und habe ein klareres Bild davon, wer ich bin und wohin ich will. Ich lerne mit jedem Tag aufs Neue dazu und würde manche Dinge heute sicherlich anders machen.“
Welche Dinge genau, das bleibt im Ungefähren. Aber TRIP könnte so etwas wie ein Aufbruch sein, ein Aufbruch in eine andere Ebene künstlerischer Identität und Schaffens. Auch wenn Cro ungern Dinge hinter sich lässt: „Ich verabschiede mich nicht gerne. Ich zeige lieber immer mehr Neues dazu. Es muss ja nicht immer ‚Entweder–Oder‘ sein.“ Stattdessen gibt es jetzt eben beides – Fanservice und einen leisen Aufbruch. „In der Musik steckt immer noch der Kern desselben Typs der damals RAOP gemacht hat. Das Doppelalbum hat für mich eine Seite, die für Fans eventuell etwas unerwarteter oder experimenteller kommen mag, während die SOLOSeite vielleicht etwas mehr an das, was man kennt, anknüpft“, beschreibt es der Künstler selbst, „die eine ist die kunstvolle, trippy Seite. Das abstrakte Gemälde. Die andere ist das High-Glossy- Disco-Picture bei Nacht. Der eine ist der Michael-Jackson-tanzbare Pop-Dude und der andere ist der Hippie, der im Dschungel sitzt.“
Doppelalben werden aktuell wieder beliebter – nicht zuletzt, weil sie durchaus gut mit den Regeln des Streaming- Zeitalters funktionieren können. Aber sie erlauben es auch Künstler*innen, vielfältiger mit Bildern von sich zu spielen. Ohne aber das Risiko einzugehen, alles auf eine Karte zu setzen. „Ich habe das Privileg, in keine Schublade zu passen, das gibt mir die Freiheit, machen zu können, was ich möchte“, antwortet Waibel – aber wie viel Freiheit ist noch da, wenn die eigene Kunst so verknüpft ist mit einem bestimmten Vibe, einer bestimmten Stimmung und einem bestimmten Gefühl der Sorglosigkeit? Wie viel Raum für Charakterentwicklung bleibt für die Kunstfigur Cro?
„Ich war nie festgelegt und bin es heute erst recht nicht.“
Natürlich, so ein Masken-Redesign und -Begräbnis, wie sie Cro in den letzten Jahren zelebrierte, wirken vor allem wie kluge Marketing-Gags. Aber trotzdem hängt da noch mehr dran: einerseits Privatsphäre und Sicherheit, die die Maske vor eskalierender Fankultur bietet, die Möglichkeit, den Wahnsinn des Cro-Seins von der Person Carlo Waibel zu trennen. Andererseits aber auch ein Zuhause, eine Symbolfigur, die sich über zehn Jahre fest ins Gedächtnis der Popnation eingebrannt hat. Ob Carlo jemals mit dem Gedanken gespielt hat, den Panda hinter sich zu lassen? „Nein, nie. Für mich ist es eine logische Sache, zu behalten, was ich mir aufgebaut habe. Die Maske gehört für mich einfach zu der Kunstfigur Cro. Selbst wenn ich irgendwann meine Identität preisgeben würde, würde Cro weiterhin eine Maske tragen.“
Oder eben mehrere, so wie jetzt, für jede Stimmung die passende: eine Daft-Punkesque, die die Discostimmung von SOLO begleitet, eine mit Farbflecken benetzte alte für das gospelhafte „Hoch“ oder für die Livesession aus dem Inselparadies zur Albumankündigung, und Federmasken, die so gar nicht mehr nach Panda aussehen in „Endless Summer“ und auf dem Cover.
Zehn Jahre, das ist in Popkulturmaßstäben eine Ära. Da wäre es keine Überraschung, dass ein Künstler aus seinem selbstgeschnürten Korsett ausbrechen und mit anderen Identitäten spielen will. Auch wenn Cro selbst es anders formuliert: „Ich bin sehr dankbar für alles, was ich lernen und sehen durfte. Ich war immer ein Teil der Szene und habe es trotzdem geschafft, alles auch mit Abstand betrachten zu können. Mit dem Vorteil, dass ich musikalisch machen kann, was mein Künstlerherz mir sagt. Ich war nie festgelegt und bin es heute erst recht nicht. Das ist eine große Freiheit.“
Und es stimmt schon: In die herkömmlichen Schubladen hat Cro nie gepasst. Aber dafür hat er seine eigene geschaffen – der gut gelaunte, knuffige Typ mit dem RAOP-Sound, der die Kids abholt und ihre Mütter auch. Mit SOLO macht er sie weiter glücklich und bleibt mit Features mit Shindy oder Capital Bra weiter am Pop-Zeitgeist dran. Und mit TRIP zeigt er uns, wie die Zukunft aussehen könnte.
Wie es jetzt für ihn und seine Hörer*innen weitergeht? Ungewiss – in den Kommentarspalten mutmaßen die Fans immer noch, dass das Ende naht und das Doppelalbum die letzte Veröffentlichung des freundlichen Pandas sein wird. Cro dagegen hat noch eine Menge vor: „Und es gibt noch mehr Facetten, die nach und nach zum Vorschein kommen werden“, deutet er an, „Als Künstler bin ich ständig dabei, Neues zu kreieren. Ob es Musik ist oder Kunst. Es wird viel passieren dieses und nächstes Jahr.“ Nach Ende klingt das nicht gerade. Aber wie ein Neuanfang. Für Cro, für seine Hörer*innen, und für alle, die den Panda unterschätzten.
Dieser Text erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 05/2021.