Portrait

Maurice Summen: Der Agitator ist müde


Maurice Summen hat eine Familie. Biologisch schon seit Jahren, als Band ist sie neu. Maurice & Die Familie Summen versammelt viele alte Bekannte, nun kam das Debütalbum BMERICA – ein guter Anlass, um sich das vielwinklige Universum seines Staatsakt-Labels erklären zu lassen.

Und dann war da ein Label …

„Keiner von den A&Rs, mit denen wir sprachen, konnte uns das Gefühl geben, dass sie verstehen, was wir meinen. Außerdem hatte ich immer schon Bock, ein Label aufzubauen“, sagt Summen. Also gründete er eins, zusammen mit Kumpan Gunther, und zusammen führten sie morgens vom WG-Tisch aus die Geschäfte, ab Ende 2002 ging das gut zweieinhalb Jahre so.

Beflügelt wurden sie dabei von süßen Allmachtsfantasien. Zumindest ein kleines Weilchen lang. „Unser erstes Album hat sich sehr gut verkauft, wir mussten immer wieder nachpressen und dachten, wir hätten eine Art Masterformel entwickelt.“ Ihre musikalische Peergroup um sie herum unkte von Labelsterben, Digitalisierung, CD-Brennern; alles, was in den Neunzigern Branchen-tonangebend war, brach zusammen.

So sieht es aus, wenn Maurice & die Familie Summen am DJ-Pult stehen – Party!

„Und wir, die komischen Vögel, kamen einfach an und hatten Erfolg“, sagt ­Summen. „Hat natürlich nicht dauerhaft funktioniert, das haben wir schon bei der zweiten, dritten Veröffentlichung gemerkt. Es war trotzdem schön, zumindest für eine bestimmte Zeit den Zeitgeist zu wider­legen. Auch nützlich für andere Lebenssituationen: Wenn man selbst oder ein Freund mal wieder Zweifel hat, kann man diese Geschichte erzählen, das finden dann alle sehr ermutigend.“

Alles unmittelbar

Schnell produzieren, schnell auf die Bühne, das war die Türen-Philosophie. Die gut funktionierte, weil ­Maurice Summen schon damals bestens vernetzt war – die stabil verkrusteten Rückstände einer Jugend in der Provinz: „Unsere Leute in Hamburg, in München – die kannten wir eigentlich alle von zu Hause, nur hatten sie sich inzwischen über das Land verstreut.“

Es klingt nach einer traumhaft unangestrengten Zeit, wenn Summen von den frühen Nullerjahren erzählt: als das Internet noch ein sehr freier Raum war, in den die Major­labels höchstens mal ihre Anwälte reinschickten, um MP3s löschen zu lassen. „Und als es noch Orte gab, wo man sich vernetzt hat, ohne gleich vom Algorithmus gedrosselt zu werden. Ein gutes Momentum.“

Staatsakt warf sich in dieses Unmittelbare: „Wenn wir als Türen auf der Bühne standen, waren wir immer auch Vertreter unserer eigenen Firma. Als andere Band konnte man uns nach dem Konzert einfach an der Bar auf die Schulter klopfen, und schon war man in einem Labelgespräch.“

„Als andere Band konnte man uns  nach dem Konzert einfach an der Bar auf die Schulter klopfen, und schon war man in einem Labelgespräch.“ (Maurice Summen)

Zwei Wendepunkte

Dann passierte zweierlei. 2006 wurde Maurice Vater, und 2009 verließ Gunther Osburg nicht nur Die Türen, sondern auch Staatsakt. „Ich musste mich entscheiden: Will ich das weitermachen? Will ich alleine die Schulden beim Vertrieb übernehmen?“, sagt Summen.

Kurz zuvor hatte er mit The Boy Group noch eine neue Band gegründet, zerrüttete sich noch mal mit großem Spaß, „noch mal richtig krass Clubleben“, aber das ewige Tourtingeln, dauernd weg von zu Hause, passte nicht mehr in sein Leben.

Also beschloss er, die nächsten drei Jahre der wenig schillernden Büroarbeit zu widmen. Neue Strukturen aufbauen, das Label professionalisieren. „Vorher war wirklich alles DIY, jetzt arbeiteten wir auch mal mit Promotern zusammen, solche Dinge.“

Wenn er gerade kein eigenes Projekt zu füttern hat, arbeitet Summen auch für andere: Für die jüngsten Alben von Andreas Dorau und Deichkind zum Beispiel. Auch an deren „Like mich am Arsch“ hat er mitgeschrieben.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Staatsakt und der Erfolg

Dann kam Bonaparte, die bislang erfolgreichste Staatsakt-Band. Nebenbei arbeitete Maurice fünf Jahre lang freiberuflich als Berater für eine große Plattenfirma. „Ich sollte mir für sie neue Bands anschauen, die Hauptaufgabe war allerdings, von vielen schlechten Dingen abzuraten.“

Immerhin lernte er bei einer Consultant-Konzertreise auch eine seiner künftigen Label-Bands kennen: „Andreas Spechtl sah ich im Hamburger ,Übel und Gefährlich‘ zum ersten Mal als Sänger einer Band, die ich für die große Firma begutachten sollte.“ Der Major hatte kein Interesse, Staatsakt nahm Ja, Panik mit Freuden auf.

Genauso wie Frank Spilker, Andreas Dorau, Fraktus, Christiane Rösinger, Jens Friebe – fast zu viele für das kleine Label. Und, so unsexy das klingt: auch Verwaltungsaufwand. „Aber eben auch alles Sachen, die ich nicht ablehnen wollte“, sagt Summen. Musiker und Musikerinnen aus der Kategorie: Ach-komm-ja-klar.

DQ Agency Press