Eine andere Gesellschaft
Auch heute noch ist das Münchner Ausnahmelabel Trikont weit entfernt davon, eine stumpfe Verwertungsmaschine zu sein. Seit 331/3 Jahren befördert es außerordentliche Musikgeschichte und - geschichten ans Licht. Und bekommt dafür Lob aus der halben Welt.
Wenn Hans Söllner eine Aufnahmesession hinter sich gebracht hat, gibt er das Material seinem Label. Und die machen ein neues Album daraus. Ganz einfach. Die Grundlage dieser Arbeitsweise ist absolutes Vertrauen zwischen Künstler und Plattenmachern. Da sitzen sie auf der Bierbank in einem Hof vor einem kleinen Häuschen im Münchner Stadtteil Obergiesing: Achim Bergmann und Eva Mair-Holmes – und erzählen aus ihrer Geschichte. 331/3 wird ihr Label Trikont alt. Dass der Geburtstag auf seine ganz spezielle Weise als ein runder, begehenswerter interpretiert wird, passt zu Trikont, die sich ihren ganz speziellen Blick auf Musik und die Welt drum herum erlauben.
Diese Eigenständigkeit überschreitet Grenzen, auch geografische: Die New Yorker Village Voice sandte gleich in der Überschrift eines mit großer Begeisterung geschriebenen Artikels „Hughs and Kisses“ an Trikont. Der Londoner Observer hielt sich britisch-sachlich an Fakten: „The world’s leading label of excellent compilations“. Joe Boyd, Produzent von Künstlern wie Nick Drake, R.E.M. und Fairport Convention, ist bekennender Fan des Labels. Und auch Van Morrison wurde schon beim Kauf von Trikont-CDs gesichtet.
Aus dem gemütlichen Häuschen mit fabelhafter Kaffeemaschine, gleich hinter einem Kiosk, in Hörweite der ständig rappelnden Trambahn, werden solche, auf den ersten Blick oft etwas seltsame Kompilationen in die Welt geschickt – wie Doom & Gloom, eine Songsammlung zu Katastrophen und deren Folgen, oder Stranded In The USA, ein Einblick in die musikalische Vielfalt der ersten amerikanischen Immigranten. Hier geht Hans Söllner ein und aus, der gerade sein neues Album Viet Nam (mit dem Bayaman Sissdem) veröffentlicht hat. Aber auch Ex-Dorfpunk Rocko Schamoni, der laut Bergmann davon träumt, ein Volkssänger zu sein, fühlt sich bei Trikont wohl.
Die Anfänge des Labels liegen im Deutschland der 60er – eine andere Gesellschaft. Love & Peace und die blumige Revolution spielten vielleicht in Monterey und Woodstock die Hauptrolle, aber nicht in München.
„Das ist in einer vollkommen rigiden Zeit entstanden. Die Freiheiten musste man sich erkämpfen“, berichtet Eva Mair-Holmes. „Wir waren Teil der linksradikalen Sponti-Szenerie“, erzählt Bergmann – und als den Genossen von Ton Steine Scherben das Geld knapp wurde, leisteten die Münchner Schützenhilfe und halfen, das Album Wenn Die Nacht Am Tiefsten herauszubringen.
Hervorgegangen ist Trikont aus einem Dritte-Welt-Arbeitskreis des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds: „Alle Parteien standen hinter dem Vietnamkrieg. Der SDS, aus dem dieser Verlag hervorgegangen ist, wurde Anfang der 60er aus der SPD rausgeschmissen“, skizziert Bergmann den geschichtlichen Hintergrund. Eine neue Generation forderte eine Stimme in einer Gesellschaft, bis dahin dominiert von, wie Achim und Eva erzählen, „einer Generation, die versagt hat und es verdrängte, um überhaupt weiterleben zu können.“ Die Jungen kämpfte gegen das Schweigen, das Achim Bergmann, wie viele, auch im engsten Kreis erfuhr: „Meine Eltern waren mir nicht unsympathisch, aber bestimmte Realitäten durften nicht angesprochen werden.“
1965 kam Achim als Student nach Schwabing und fand, dass es sich da ganz gemütlich leben lässt: „Es kommt einer wie ich aus der Provinz m Westfalen und ist plötzlich mit dem Kopf in… Vietnam, China, Chile.“ Auf die Frage, ob es von Anfang an klar war, dass er in München hängen bleibt, formuliert Achim den wunderbar komischen Satz: „Das war damals ziemlich möglich.“ In Schwabing wohnte der „Gammler“ und der senkte die Geschwindigkeit des Stadtteils auf Schritttempo. Eva: „Heute laufe ich manchmal durch Berlin und denke: So war’s damals in München.“
Die Bärenstatur, die buschigen Augenbrauen, das brummende Lachen – man kann sich Achim Bergmann gut an einem bayerischen Stammtisch vorstellen. In seiner Zweitheimat, in der Holledau, sitzt er da auch gerne. Jede Frage öffnet Schleusen des Erzählens bei ihm, das Interesse für seine kulturelle Umgebung ist schier grenzenlos. Manchmal hechtet sich Eva dazwischen, um wenigstens die Auswüchse seiner Abschweifungen einzudämmen. Umsonst. Doch das macht nichts: Bergmanns gedankliche Rundflüge sind ohnehin viel interessanter als unsere Intentionen.
Trikont ist keine marktwirtschaftliche Verwertungsmaschine. Achim und Eva wollen, was die ersten Jahre betrifft, auch gar nicht von einem Label sprechen, sondern nennen es das „Konzept der Gegenöffentlichkeit“. Vorbild und Anregung war die Civil-Rights-Bewegung in Amerika, die ihren Kristallisationspunkt im Kampf gegen den Vietnamkrieg fand. 1967 wurde der Buchverlag gegründet, der beispielsweise Che Guevaras Tagebuch verlegte. Ein früher Frauenverlag hat hier seine Keimzelle, die erste Männergruppe nahm hier ihren Ausgang. Von 1971 an besetzten die Trikonts bewusst auch den Kommunikationskanal der Musik. Im Unterschied zum Buchverlag hat das Musiklabel die Zeit überdauert. Die Position der Pionierjahre ist allerdings lange aufgegeben: „Gegenöffentlichkeit gibt es nicht mehr“, ist sich Achim sicher. Irgendwann kam die Erkenntnis, dass man gar nicht außerhalb des Systems steht, sondern ein Teil dessen ist. Wenn es eine dennoch eine durchgängige inhaltliche Linie gibt, dann ist es der „andere Blick“, die Freiheit, Dinge aus ungewohnten Perspektiven zu sehen. Nur so kommt man wohl zu der Idee, vier(!) CDs ausschließlich mit Interpretationen von „La Paloma“ zu veröffentlichen.
Achim Bergmann war früh schon fasziniert von englischsprachiger Popmusik, aber sie war nicht das Medium für hiesige Verhältnisse: „Wir mussten es auf hier beziehen. München, Bayern, Köln, Stuttgart.“ Damit begann die Suche nach den regionaltypischen Besonderheiten. Was Trikont fand, waren italienische Gastarbeiter, die radikale, komische Texte auf alte Schlagermelodien dichteten. Oder griechische Gastarbeiter und ihre Rembetika-Lieder. Trikont ist aber auch ganz bewusst ein Münchner Label, und als solches sucht es gerne im Bayerischen nach dem Verschütteten. Die verschiedenen Folgen von „Rare Schellacks“ sind so entstanden oder diese editorische Höchstleistung: die Veröffentlichung des gesamten Hörwerks von Karl Valentin. Gerade für Bayern hat dieses Label Unschätzbares geleistet, in dem es den Süddeutschen unverzichtbare Stimmen vergessener Künstler wiedergeschenkt hat. Wenn sich heute aber eben auch amerikanische und britische Medien begeistern für Trikont-Sampler, sich von einem kleinen Münchner Label sogar die Musikgeschichte des eigenen Landes neu erzählen lassen, ist das eine kleine Sensation. Funktionieren kann das nur, weil Trikont an die Kraft der regionalen Kultur glaubt. Die Trikont-Veröffentlichungen haben einen Stil, der sie unverkennbar macht. Oft ist es einfach die verblüffende Perspektive. Da entdeckt der Journalist Jonathan Fischer The Soul Of Black Country, da kann man auf Ho! vietnamesische Straßenmusiker hören, die Popsongs spielen. Die Trikont-Macher nennen das die „Radioprogramme, die das Radio nicht mehr spielt“. Dass die letzte Radiolegende, der BBC-Mann John Peel, ein Trikont-Fan war, ist nur logisch. Sein tönendes Vermächtnis ist eine Sammlung skurriler Schellack-Platten, erschienen nach seinem Tod unter dem Titel The Pig’s Big 78s-bei Trikont.
Die Künstler des Labels sollen keine Erwartungshaltung bedienen, findet Eva. Aber Achim schränkt ein: „Wenn es nur den eigenen Kulturbereich, die eigene Szene bedient, das interessiert uns nicht.“ Eva: „Es muss über den eigenen kleinen Kosmos hinauswollen.“ Attwenger, Funny van Dannen, Bernadette La Hengst eine eigene Stimme kann viele Timbres haben. So offen das Label für Neues und das vergessene Alte ist, eines wird man hier nie finden: das falsche Gefühl der Nostalgie. Ein Trikont-Album gibt die Gewissheit, dass Musik noch etwas bedeuten kann. Kommende Veröffentlichungen mögen herausfordernd, unerwartet, unbequem, erleuchtend sein: Mit nichtssagender Musik wird Trikont uns auch in der Zukunft verschonen. Die liefern zuverlässig die anderen.
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