„Eine Verweigerung von praktisch allem“


Morrissey über das neue Album Years Of Refusal

MUSIKEXPRESS: Wie fühlst du dich normalerweise, kurz bevor du ein neues Album vorstellst? Spürst du Vorfreude, oder hegst du Bedenken? Morrissey: Ich bin erleichtert, dass es fertig gestellt wurde und dass es dort draußen stattfinden kann. Ich mache mir Sorgen über die Reaktionen, die es geben wird, aber ich gehe immer vom Schlimmsten aus. Ich denke, das ist das Beste, denn dann wird alles, was darüber hinaus geschieht, eine Art Bonus.

Also: „Tiefstapeln, dann wirst du niemals enttäuscht?“

Ha, danke! Das werde ich mir merken. Es macht einfach keinen Sinn, riesige Erwartungen zu haben, wirklich nicht. Am Ende verletzt dich das nur.

Es ist die erste Platte, auf der (der langjährige Gitarrist) Alain Whyte nicht mitspielt. Hat das die Aufnahmen beeinflusst?

Es hat sich eigentlich gar nichts verändert. Ich mache das alles schon lange und habe mit vielen verschiedenen Musikern zusammengearbeitet, und der Kern liegt generell in der Identität, die ich der Musik hinzufüge. Also steht und fällt alles damit – und nichts anderem.

Wie war die Arbeit, mit (Pretenders-Sängerin) Chrissie Hynde (Auf „Shame Is The Name“, der B-Side zur Single „I’m Throwing My Arms Around Paris“) Sie versteht offensichtlich etwas von ihrem Handwerk … Ja, das tut sie, haha! Ich hatte zuvor mit ihr auf der „My Love Life“-Single zusammengearbeitet, sie ist eine bemerkenswerte Person. Sie ist so lustig und weiß es nicht mal. Sie ist ein außergewöhnlicher Wirbelwind aus Humor, Elan, Leben und Hysterie, und dazu noch mit einer außergewöhnlichen Stimme. Ein Unikat.

Was war die Idee hinter dem Albumcover?

Ich hatte das Gefühl, dass mein ganzes Leben — manche Leute nennen es eine Karriere — eine Verweigerung von praktisch allem gewesen ist, eine Entscheidung, sich nichts zu unterwerfen. Ich finde, Sebastian (das Kind auf dem Albumcover) verleiht dem ganzen ein menschlicheres Element, deswegen ist er dabei.

Er hat einen Juwelen-Schmetterling auf seiner Stirn …

Er wurde damit geboren!

Und du hast ein Juwelen-Reptil auf deinem Arm?

Ich wurde damit geboren.

Wenn Oscar Wilde heute noch am Leben wäre, was würde er über dieses Album sagen?

Er wäre absolut begeistert davon und würde es endlos, unablässig während seiner gesamten Freizeit hören … Ich habe keine Ahnung. Wirklich. Ich habe keine Ahnung, was irgendjemand davon halten wird, um ehrlich zu sein.

Was macht dieses Album zu deinem besten?

Es ist es einfach. Ich weiß einfach, dass es mein bestes ist, und alle anderen scheinen zu wissen, dass es das ist. Es hat etwas mit Überleben zu tun nicht einfach die Anerkennung, dass man gelitten und durchgehalten hat. „Oh, ist es nicht unglaublich, dass du nach all diesen Jahren noch auf einem Bein und mit schielenden Augen herumhumpelst“ es ist nicht nur dieser Gedanke, obwohl der auch auf jeden Fall eine Rolle spielt. Die Songs sind stärker, und in meinem Leben ging es immer nur um Songs. Nichts anderes. Ich bin aus keinem anderen Grund hier.

Bist du erleichtert, dass deine Aussagen in „America Is Not The World“ („Where the President is never black, female orgay / until that day you have nothing to say to me“) widerlegt wurden? Ich bin sehr zufrieden, ja. Ich bin erleichtert, dass ich ein veraltetes Instrument geworden bin, haha. Ich hatte nicht erwartet, dass es (die Wahl eines Schwarzen zum US-Präsidenten) so schnell geschehen würde oder dass es überhaupt geschehen würde. Es ist bezeichnend dafür, dass das Unerwartete immer noch passieren kann. Und natürlich ist es wunderbar für Amerika, und wir müssen ihm eine Chance geben. Wenn man bedenkt, wie kleinkariert Amerika generell ist, ist es bemerkenswert. Wenn es nicht passiert wäre, glaube ich nicht, dass die Welt Amerika jemals verziehen hätte. Wenn das Land wieder zu John McCain und Sarah Palm, diesem furchtbaren Wesen, dass hinter ihm stand, zurückgekehrt wäre … ich glaube, Amerika wäre für immer verflucht gewesen.

Hast du etwas Besonderes für das Konzert anlässlich deines 50. Geburtstags in Manchester geplant? Irgendwelche Überraschungen? Ich habe in meinem Leben noch nichts Spektakuläres oder Besonderes geplant. Was auf Erden könnte ich tun, dass spektakulär ist? Die Überraschung ist, dass ich noch lebe, dass ich diesen jetzigen Punkt erreicht habe, dass ich lebe und nicht in einem Leichensack stecke. Darüber hinaus wünsche ich mir nichts.

Bist du denn nicht glücklich darüber, dein Geburtstagskonzert in deiner Heimatstadt spielen zu können?

Doch, aber nicht, weil ich erwarte, das etwas Besonderes passiert. Es ist einfach eine weitere nette Episode in einer sehr bizarren Geschichte.

Jerry Finn, der Produzent des neuen Albums, starb einen Monat nach der Fertigstellung von YEARS OF REFISAL.

Er starb sehr schnell und unerwartet, mit 38. Ich erinnere mich noch, wie wir alle in seinem Haus waren und uns YEARS… anhörten. Eine Woche später hatte er einen Herzanfall, einen Tag danach erlitt er eine Gehirnblutung. Ich verbrachte die letzten zwei Wochen seines Lebens mit ihm im Krankenhaus und sah, wie er dahinschwand. Es ist eine Lektion für uns, aber eine, die wir nie würdigen. Wir machen uns weiterhin wegen der unbedeutenden Dinge im Leben Sorgen und lassen uns von lächerlichen Sachen runterziehen. Es ist sehr traurig, denn es gibt auf keiner Ebene so etwas wie Sicherheit.

Der neue Sound ist überraschend rockig. Waren die Songs so beabsichtigt, oder hat sie die Studioarbeit so verändert?

Meistens folgt der Song der Stimme, und wenn die Stimme herausfordernd ist, wird es die Musik auch sein. Nein, es gab nie so etwas wie einen Masterplan, es läuft einfach.

Du schreibst gerade deine Autobiografie. Wie geht es damit voran?

Das Buch macht gute, interessante Fortschritte. Zunächst dachte ich, dass es die Zivilisation umhauen wird, aber ich bin mir nicht mehr ganz so sicher. Es scheint, dass vom Verlag eine Menge erwartet wird und dass die Leute auf einmal denken, dass ich besonders viele faszinierende Geschichten zu erzählen habe, und sie haben ja nicht Unrecht. Aber wir werden sehen.

Du warst letztens bei einem Oasis-Konzert in L.A….

Sie sind zunächst einmal nette Leute. Ich habe sie während der letzten Jahre ein paar Mal getroffen, sie sind sehr lustig, und wir waren in der Nähe, und es gibt normalerweise eine Menge Alkohol… mehr Gründe brauche ich nicht! Aber ich will keine bösen Geschichten über sie lesen, und natürlich sind sie aus Norwich … ich meine, Manchester.

Allbumkritik: S. 71