Er will keine Schokolade
Es ist die kurioseste und vielleicht begrüßenswerteste Begleiterscheinung des 80er-Jahre-Revivals, daß mit den Buttons, den Vans, den schlechten Frisuren und dem New-Wave-Pop auch das Interesse am Umweltschutz und den Problemen der dritten Welt zurückgekehrt ist. „Letztes Jahr konnte ich kaum mehr arbeiten, weil mich das mit dem Klimawandelfast um den Verstand gebracht hat“, sagte Thom Yorke kürzlich der englischen Zeitschrift Dazed & Confused, die diesem ernsten Thema ihre ganze Juli-Ausgabe gewidmet hatte. „Ich denke zur Zeit zehn Mal am Tag darüber nach. Aber ich kann nicht einfach aufhören, auf Tournee zu gehen, obwohl es die größte Luftverschmutzung ist, unser ganzes Equipment hin- und herzufliegen.“ Um sein Gewissen zu beruhigen, denkt er nun darüber nach, für jeden gebuchten Flug ein paar Bäume zu pflanzen (www.futureforests. om). Zudem treibt seine Unterstützung der Organisation Friends Of The Earth zahlreiche Menschen auf deren Seite www.thebigask.com. „Bei „The Big Ask“ geht es darum, so viel Druck auf Politiker auszuüben, daß sie handeln müssen “ erklärt Yorke. Unter „Cinema Ad“ und „Message Of Support“ finden sich auf der Seite Audioclips und eine kurze, reichlich kuriose Videoansprache des bisweilen sonderbar verspulten Musikers, der trotz aller Sorgen bis 2006 mit einem neuen Radiohead-Album fertig sein will.
Sir Bob Geldof hat den Versuch, für die Kunst einen klaren Kopf zu bewahren, längst aufgegeben. Nachdem er sich viele Jahre lang bitterlich darüber beklagt hatte, daß sein Name auf der ganzen Welt nur selten mit „Musiker“ und viel öfter mit „Organisator Thom Yorke: „Wie süß schmeckt Schokolade noch, wenn du weißt, daß die Hersteller von ihrem Lohn nicht einmal ihre Familie ernähren können? www.maketradefair.com von Band Aid und Live Aid“ in Verbindung gebracht wurde, hat er nun mit der Neuauflage Live 8 ein Event auf die Beine gestellt, das auch den letzten Menschen vergessen läßt, daß dieser Mann einst „I Don’t Like Mondays“ geschrieben hat. Sein Portal www.bobgeldof.info enthält gleich auf der Startseite einen Link zu www.makepovertyhistory.org, wo man nachlesen kann, daß Live 8 offenbar so gut wie keinen Einfluß auf die Beschlüsse hatte, die beim G8-Gipfel getroffen wurden. Der Artikel „Response to G8 Communique“, in dem die angeblichen Erfolgsmeldungen der Regierungschefs kritisch kommentiert werden, zeigt, daß es für einen Mann wie Geldof in den nächsten Jahren noch viel zu tun geben wird.
Dem Ernst der Lage entsprechend ist derzeit auch das Ex-KLF-Mitglied James Cauty höchst aktiv. Der radikale britische Musiker, der KLF1992 auf Eis gelegt hat, „bis Frieden auf der ganzen Welt herrscht ‚, arbeitet inzwischen aufrecht kreative Weise daran, seinen Mitmenschen das Problem der globalen Erwärmung näherzubringen: The Blacksmoke Organisation (www. blacksmoke.org/danger) ist ein Multimedia-Kunstkollektiv, das sich „der Verbreitung audio-visuellen Lärms verschrieben“ hat und das „Inspiration aus globalen umweltpolitischen £i;ents“bezieht. Zusammen mit Greenpeace hat James Cauty das „Danger Global Warming“-Projekt ins Leben gerufen: Noch bis Juni 2006 sind Fotografen angehalten, die größten Umweltsünden bildlich festzuhalten. Jeden Monat werden die schockierendsten Bilder in dieser Galerie des Grauens von Blacksmoke prämiert. Nicht nur die systematische Zerstömngunserer Lebensgrundlagen, auch die Ungerechtigkeiten im Welthandel erregen seit einigen jähren wieder die Gemüter der Menschen. Seit sich Chris Martin bei öffentlichen Auftritten Slogans auf die Hand schreibt, um auf die Website www.maketradefair.com und die Probleme verarmter und ausgenutzter Bauern in der dritten Welt hinzuweisen, ist kaum mehr vorstellbar, daß sich Prince vor knapp zehn Jahren nur deshalb „Slave“ auf die Backe geschrieben hatte, um die ganze Weltan seinen privaten Problemen miteiner großen Plattenfirma teilhaben zu lassen. Zwar muß jeder Aktivist auch Kritik einstecken können (Liam Gallagher: „Was soll der Scheiß mit den ‚Freier Welthandel‘-Botschaften auf seiner Hand? Wenn er was aufschreiben will, kann er von mir einen Scheiß-Stift und ein Blatt Papier haben. Doofer Studentenhaufen.“), doch zeigt das Beispiel Bono – the Godfather of gute Taten -, daß das gezielte Engagement eines Popstars viel Gutes bewirken kann. Da auch Chris Martin eines Tages von sich behaupten können will, zahlreiche Brunnen in Afrika finanziert zu haben, die heute knapp 20.000 Menschen mit reinem Wasser versorgen (Einzelheiten unter www.u2.com/hc.1rtsminds) ist für den Coldplay-Sänger die Marschrichtung klar:
„Ich fühlte mich früher wie ein viertklassiger Bono. Dann fiihlte ich mich wie ein drittklassiger Bono und hoffentlich steigere ich mich noch, bis ich mich eines Tages wie ein vollwertiger Bono fühle.“