Es darf gegruselt werden
Hereinspaziert, liebe Leute, ins Gruselkabinett der Flimmerkiste. Hier machen Sie die Bekanntschaft von Knochenhauern und Blutsaugern, von Monstern, die töten, und Leuten, die Tote erwecken. Es sei der Hinweis erlaubt, daß Gruseln und die Angst davor existieren, seit es Menschen gibt und daß zu den absoluten Meistern der Horrorkunst u. a. die Herren Sophokles (mit dem Höhepunkt des "Ödipus" und dem Mord an Agamemnon) und Shakespeare gehören.
Die Werke des letzteren schwappen nur so über von Schreck und Blut. Doch so gut auch Erzählungen und Darstellungen früherer Zeiten sein mögen, erst der Film erwies sich als das ideale Medium für die Lust, andere zu erschrecken und erschreckt im werden. Man ist so richtig hypnotisiert im dunklen Kinoraum vor der hellen Leinwand und fühlt sieh unseren Vorfahren verbunden. Denn wie die haben wir Angst vor den, ach so fotogenen Vampiren, Geistern und Monstern, auch wenn wir in einer Zeit geringer Religionsgläubigkeit und technischem Materialismus leben. Wo der Computer regiert, hat das brodelnde, bruddelnde, dampfende, zischende, krachende Labor des Herrn Frankenstein an Faszination nichts verloren. So treten wir ein in die 1. Abteilung, die da heißt:
Geschichte des Horrorfilms
Keine Sorge, wir lassen uns das Vergnügen am Sehreck nicht durch zu viele nüchterne Zahlen nehmen. Doch sollten wir nicht vergessen, daß wir um das Blut nach Rezepten von vorvorgestern gerinnen lassen. Der erste Filmschocker erschien in knapp Minutenlange bereits 1893 und rekapitulierte die Hinrichtung Mary Stuarts, der streitbaren Schottenkönigin 1910 präsentierte dann Edison den ersten Frankenstein. Allein zwwischen 1896 und 1911 verzeichnet unser Archiv zwölf Faust- und Satansfilm3, und schon 1916 verzeichnen die Annalen den ersten amerikanischen Vampirfilm. Bloß meinte man damals nicht den gräflichen Blutsauger, sondern den Vamp als Frauentyp (wer da dumme Bemerkungen macht, gehe bitte gleich in die 4. Abteilung und prüfe nach, ob es da wirklich keinen Unterschied gibt). Wir anderen gehen zur 2 Abteilung.
Böse Doktoren und andere Wahnsinnige
Beginnen wir mit zwei Filmen aus der einmaligen Schule des deutschen Horrorfilms nach dem ersten Weltkrieg! die bis heute richtungweisend sind 1919 taucht Werner Kraust als Dr. Caligart auf und fabriziert in seinem Kabinett die meisten der Grundelemente des Horrorfilms. Dieser Caligari läßt einen Schlafwandler auf den Jahrmarkt einer kleinen Stadt los – und wird nachher für eine Reihe von Morden verantwortlich gemacht. In der Reihenfolge ihres Auftritts erscheinen dann der verrückte Wissenschaftler und das Monster (beide in Gestalt des Doktors), der scheinbar Tote und der Zombie (als Schlafwandler, der in einem sargförmigen Kasten schläft und seinem Herrn automatisch folgt) und das in weiße und wehende Gewänder gekleidete und ewig verschleppte Mädchen des Horrorfilms (allgemeiner Ausdruck für Isolation und Platzangst).
Mit viel praktischeren Absichten geht Rudolf Klein-Rogge als verrückter Wissenschaftler (oder Genie?) 1926 in Fritz Längs berühmten „Metropolis“ ans Werk. Für die Bedienung der Maschinen in der künstlichen Stadt will er künstliche, willenlose Menschen schaffen und versucht, einer Metallplastik das Leben einer jungen Frau (Brigitte Helm) zu übertragen. Wer den Film sah, wird diese Übertragung mit immer grelleren Lichtblitzen bestimmt nicht vergessen.
Allein mit sich selbst und seinem Ich ist Dr. Jekyll, Titelheld einer Stevenson-Erzählung, beschäftigt. Im literarischen Original beschreibt ein Augenzeuge: „Er setzte das Glas an die Lippen und leerte es mit einem Zuge. Ein furchtbarer Schrei ertönte, er taumelte, er stürzte vorwärts und klammerte sich krampfhaft an den Tisch; er starrte mich an mit fürchterlichen Augen, er atmete schwer und kurz, mit weit geöffnetem Mund wie ein Erstickender. Und während ich ihn ansah, schien eine merkliche Umgestaltung mit ihm vorzugehen – er schwoll an, er wurde größer, die Züge seines Antlitzes verschwammen ich sprang auf, fiel gegen die Wand zurück, und mit ausgestreckten Armen versuchte ich, mich gegen dieses Ungeheuer zu wehren. Meine Sinne umnachteten sich.“ Mehrmals verwandelt sich Dr. Jekyll in den tierischen Mr. Hyde und zurück. Doch besonders die erste Verwandlung in Rouben Mamoulians Film zählt bis heute zu den Sternstunden des Horrorfilms. Ohne Schnitte, allein mit Licht- und Filtereffekten verwandelt sich ein Gesicht in ein anderes. Ebenso unerreicht ist der hypnotische Effekt des Sounds an dieser Stelle: Mamoulians eigener Herzschlag und ein rückwärts abgespielter Gongschlag wirken, als könnte man mit verstopften Ohren das eigene Herz schlagen und das Gehirn singen hören.
In der Abteilung der gelehrten Wahnsinnigen haben wir noch einen ganz besonderen Mann zu bieten: Dr. Fu-Mandschu, der verschlagenste, intelligenteste und hypnotischste aller Filmwissenschaftler. In einem Wort: Die gelbe Gefahr, wie man sie schon zu Stummfilmzeiten kannte. Bekämpft vom tapferen. braven, abendländischen Scotland Yard-Beamten, verlegte der asiatische Bösewicht je nach politischer Weltlage sein Domizil von China nach Japan und agiert heutzutage aus der dritten Welt…
Was nicht in Brehms Tierleben steht
„Und nun, meine Damen und Herren, bevor ich Ihnen mehr erzähle, führe ich Ihnen das größte Lebewesen vor. das es auf der Welt gibt. Es war König und Gott auf einer fernen Insel. Aber jetzt kommt es zu uns in die Großstadt, der Freiheit beraubt – ein Schaustück zur Befriedigung Ihrer Neugier. Meine Damen und Herren, Sie sehen Kong, das achte Wunder der Welt.“ So wird in „King Kong“ (1933) das gefangene Riesentier dem schaudernden Publikum vorgestellt, nachdem er betäubt in einem Käfig übers Meer transportiert worden war. Als er noch Herr über seine Insel war, bekam Kong jährlich ein Frauenopfer. Der Zufall wollte es, daß eben zur Zeit des Opfers ein Filmteam auf die Insel kam und mit ihm Ann Darrow, eine weiße Frau, die von den Eingeborenen gekidnappt, Kong geopfert wird. Kong verliebt sich in Ann und läßt sich deswegen als Schaustück vorführen. Als er Ann bedroht glaubt, bricht er aus, löst in New York eine Panik aus und wird schließlich auf der Spitze des Empire State Buildings von Flugzeugen bekämpft.
Die Geschichte vom übergroßen Affen, der einen Menschen in der Hand hält, war als Idee bereits hundert Jahre früher in Gullivers Reisen enthalten und führte zu einer ganzen Serie von Tiermonstern: „Konga“, „Mighty Joe Young“ und selbst King Kongs Sohn stritten sich um den Platz des Nachfolgers.
1954 tauchte „Der Schrecken vom Amazonas“ im Kino auf, ein Kiemenmensch, der, wie der bekannte Eisenhans in Grimms Märchen, seine Opfer von der Wasseroberfläche auf den Grund des Flusses zieht.
Ebenfalls Mitte der 50er erschienen dann massenhaft weibliche Tiermönster (ansonsten ist die Monster- und Horrorwelt eine männliche): Da tummelten sich Riesenspinnen (frißt Männchen!), Katzenfrauen, Affenfrauen und andere genetische Mißerfolge auf der Leinwand. Und schließlich 1957 machte die „Attack Of The 50ft. Woraan“ Schlagzeilen, die Geschichte von der Riesenfrau (die gleiche Größe wie King Kong), die mit echten Autos spielte wie wir mit Matchboxes.
Interessanter ist das Phänomen der verschiedenen Filminvasionen durch Riesentiere. Des öfteren ist in der Zeitung von Heuschrecken-, Mäuse-, Frosch- und anderen Plagen zu lesen, was sich hervorragend im Horror-Film darstellen läßt. Neben dem Massenaufgebot tauchten immer wieder filmische Einzelgänger auf, die Riesenspinne „Tarantula“, „Gorgo’*, der Saurier, und besonders in Japan ein „Godzilla“, „Gamera“ und „Gappa“ nach dem anderen. Nur war es hier nicht New York, sondern Tokio, das zerstört wurde, und das bringt einen auf die Idee, daß die Japaner per Gleichung Atombombe = Monster ihre jüngste Vergangenheit bewältigen wollten . . . Wie überhaupt das moderne Unwohlsein im Tiermonster so schön konkret-irreale Gestalt annimmt; eine Umweltbedrohung, für die der Mensch nicht zuständig sein kann. Wie dann auch das klassische Waffenarsenal im Film versagt und Naturphänomene wie Kälte oder Hitze die Supertiere vernichten.
Aktuelles Beispiel für diese Abteilung unseres Rundganges ist der weiße Hai, der derzeit hierzulande ganz hübsche Gruselwellen schlägt. Weiter geht’s zur 4. Abteilung, die da heißt:
Der Graf mit den spitzen Zähnen
Da ist er, der übernatürliche Feind in Reinkultur. 1896 als echte Sensation auf dem Buchmarkt erschienen, 1922 erstmals im Stummfilm präsentiert. Bram Stoker, seines Zeichens Horrorschreiber, recherchierte, daß es im 15. Jahrhundert in der Walachai einen Woiwoden oder Militärgouverneur gegeben haben muß, der wegen seiner Grausamkeit einfach „der Aufspießer“ genannt wurde. Daraus entstand dann in Briefund Tagebuchform die Geschichte vom Grafen Dracula, der irgendwo in Transsylvanien in den kaukasischen Bergen sein blutsaugendes Unwesen treibt.
Daß der Herr Graf durch seinen Biß andere infiziert und zu Mit-Vampiren machte, und daß er vor Kruzifix und Knoblauch weicht wie der Tiger vorm Feuer, dürfte bekannt sein.
Weniger bekannt ist, daß er seit den 30ern dem ungarischen Schauspieler Bela Lugosi zu Dauerrolle und Wohlstand verhalf, daß er der Ursprungsfilm der britischen Firma Hammer wurde, die bis heute „Hammer Horror“ als Markenzeichen führt, daß es inzwischen von Draculas Tochter, Sohn des Dracula, die Bräute des Dracula usw. ein rundes Dutzend Nachfolge-Filme gibt.
Dracula wurde eine der Archetypen des Horrorfilms und ist zusammen mit dem Star unserer 5. Abteilung für die meisten Monster kleineren Kalibers wie Werwölfen, Zombies und irgendwelchen Dingern zum Ziehvater geworden. Und nun Gong und Käfig auf für
Frankenstein
Wer weiß, ob es ihn je gegeben hätte, wäre nicht die Frau des Poeten Shelley bei einem Urlaub in der Schweiz mit einem 18jährigen Mädchen zusammengekommen, das diesen gigantischen Traum hatte. Gigantisch in der Dimension einer gotischen Schreckensgeschichte, gigantisch im Anspruch des Dr. Frankenstein, gottgleich einen Menschen nach seinem Willen schaffen zu wollen. Merkwürdig übrigens, daß das an sich namenlose Monster vom Publikum den Namen seines Schöpfers erhielt…
1931 erschien der berühmte „Frankenstein“-Film mit Boris Karloff, doch bereits 1914 war das eigentliche Monster als „Der Golem“ (Paul Wegener) im gleichnamigen Film auf der Leinwand erschienen. Es war die Geschichte eines Rabbis im alten Prager Judenviertel, der einen Tonriesen baut und ihm Leben einhaucht.
Die Parallele zu Frankenstein ist klar. Mit dem interessanten Unterschied, daß die vom Menschen geschaffene Figur im 1914er Film ihr Leben durch Magie und Beschwörung bekam, 1931 aber bereits der Privatmediziner Frankenstein mit chemischen Reagenzien und elektrischem Strom arbeitet. In beiden Fällen gerät das Monster außer Kontrolle, läuft Amok und wird zerstört: der Golem, als er sich in die Tochter seines Meisters verliebt, der Ur-Frankenstein, als er ein kleines Mädchen, der einzige Mensch, der nicht vor ihm davonrennt, wie eine Blume auf dem Wasser schwimmen lassen will und es dabei ertränkt. Als die künstlichen Menschen menschlich werden, werden sie von den echten Menschen gejagt . . . Dabei kann man gleich mal darüber nachdenken, warum die Blumenszene mit dem Mädchen herausgeschnitten wurde, so daß der Tod der Kleinen völlig absurd und bösartig erscheint, und warum der Name Frankenstein heute zum Synonym für unbeschreibliches Grauen, extremes Unheil usw. gilt.
Daß die Figur unsterblich geworden ist, verdankt sie zum Teil der phantastischen Darstellung durch den Horror-Star Boris Karloff und der patentierten Maske von Jack Pierce, dem Maskenbildner der Universal Pictures, der auch noch die Mumie und den Wolfsmann kreierte. Wenn Karloff alias Frankensteins Monster Drehtermin hatte, mußte er 3 1/2 Stunden bei Pierce für das Auflegen der Maske, 1 1/2 für das Abnehmen zubringen. Die Augenlider wurden durch Wachsschichten beschwert, damit sie halb geschlossen blieben, Drahtklammern an den Lippen wölbten die Mundwinkel, der „aufgesetzte“ Schädel wurde aus Baumwollgewebe modelliert, die Stöpsel am Hals mit einer Spezialmixtur angeklebt. Beim „Ausziehen“ ging’s mit Ölen, Säuren und nicht wiederzugebenden Flüchen zu …
Lassen wir den Blick hinter die Kulissen, blicken wir davor. Und siehe da: „Frankenstein Junior“ macht derzeit die Runde und wird als eines der wenigen gelungenen Beispiele für die Kombination von Horror- und Komödienfilm in die Annalen eingehen. Regisseur Mel Brooks gab seine „Liebeserklärung an die unsterblichen Horror-Filme der 30er Jahre“ bekannt, und das bringt mich auf die Idee, Sie zu bitten, unser Horrorkabinett freundlichst weiter zu empfehlen.