Etwas Dunkles In Die Welt Tragen


Das ist das erklärte Ziel der EDITORS. Auch wenn sie hier arg fröhlich dreinschauen. Vermutlich freuen sie sich einfach darüber, dass mit ihrem dritten Album die ewigen Interpol-Vergleiche verstummen werden: Die Briten haben auf IN THIS LIGHT AND ON THIS EVENING Synthesizer an die Stelle von Gitarren gesetzt. Und am liebsten würden sie jetzt auch gleich noch den zweiten Teil von Tron zu vertonen. Aber da waren Daß Punk schneller.

„Great song – but where are the guitars?“ So verwirrt wie ein MySpace-User auf „Papillon“, die erste Single aus IN THIS LIGHT AND ON THIS EVENINC reagiert, dürfte es manchen ergehen, die das neue Editors-Album zum ersten Mal hören. Schon als Wochen vor der Veröffentlichung durchsickerte, dass die neue Platte „elektronischer“ werden würde, füllten sich Foren-Threads mit Befürchtungen über eine „Bloc-Partysierung“ der Editors, während andere ungeduldig mit den Hufen scharrten. Die Geschichte des dritten Editors-Albums (in vier Jahren) ist vor allem die Geschichte eines Austauschs. Die E-Gitarre, die den Editors-Sound bislang prägte, hat sich fast verflüchtigt. Stattdessen stapeln sich Synthesizersounds übereinander wie Turnmatten im Sportgerateraum. Beim eingangs erwähnten „Papillon“ fühlt sich der unvorbereitete Hörer wie auf einem Rummelplatz im Jahr 1984: Ein mechanischer Discodrumbeat stampft den Rhythmus vor, dazu schlängelt sich eine cheesy Keyboardmelodie in den Vordergrund, bis Tom Smith harsch „It kicks like a sleep fwitch“ in den überraschenden Break, in den leeren Raum hinein bellt – es ist dies der fiese Widerhaken der Vorabsingle. Aber nicht der einzige Moment der nachdrücklichen Erinnerung an die Pionierzeiten des Düsterrocks und der DX7-Synthesizersounds. Staunen darf der Hörer über die Verwandlung von Tom Smith in den Dunkelgrafen Andrew Eldritch (The Sisters Of Mercy) im Titelstück, die Michael-Cretu-Keyboards (Sandra, Enigma) in „You Don’t Know Love“ und die Depeche-Mode-Werdung (ca. auf Höhe von BLACK CELEBRATION) der Editors in „The Big Exit“. Um mit dem Black Rebel Motorcycle Club zu sprechen: „Whatever happened to my Rock ’n ‚Roll? „

Sängerund Songschreiber Tom Smith, Keyboarder und Gitarrist Chris Urbanowicz und Drummer Ed Lay sind nach Hamburg gekommen, um sich dieser und anderen Fragen zu stellen, vor allern aber woh 1 dieser. Bassist Rüssel Leetch ist krank zu Hause geblieben. Die Drei versinken hinter einem massiven Schreibtisch vom Ausmaß eines Möbels, an dem sich sonst Größen wie Barack Obama und Dmitri Medwedew zum Weltpolitikgipfel einfinden. Und Chris Urbanowicz mit seiner offen zur Schau gestellten Arroganz macht es einem nicht eben leichter, so etwas wie Nähe aufzubauen. Er hält alle Musikjournalisten für Idioten. Hat er mal gesagt. Na prima.

Ihr habt auf eurem neuen Album „Goodbye!“ zu eurem alten Freund, der Gitarre, gesagt. Stattdessen tummeln sich dort jede Menge neue Bekanntschaften, vor allem Synthesizer. Wie kam es dazu? Tom Smith: Ja. die Keyboards sind so etwas wie unsere hippen neuen Freunde, (lacht) Zum Glück ist der Umgang mit diesen Instrumenten ziemlich leicht. Und wir wollten einfach was Neues ausprobieren … um unsere Fans nicht zu langweilen. Wären wir nicht gleich mit den ersten Resultaten zufrieden gewesen, hätten wir diesen Weg aber auch ganz schnell wieder verlassen. Und es gibt ja auch sehr wohl noch Gitarren auf dem Album, sie sind nicht komplett verschwu nden.

Chris Urbanowicz: Wir haben darüber nicht groß nachgedacht. Allerdings hatte ich schon zu Beginn der Aufnahmen diesen Gedanken im Hinterkopf, was von den Gitarren rauszunehmen. Diese voluminösen Gitarrenschichten — ein Sound über dem anderen, alle machen im Grunde das Gleiche, dieser Wall of Sound – das musste nicht mehr unbedingt sein.

Und wieso habt ihr Synthesizer und Keyboards als Ersatz ausgewählt? Es hätten ja zum Beispiel auch Streicher sein können.

Tom: Orchester sind zuerst einmal viel zu teuer. Für uns waren diese elektronischen Sounds etwas völlig Neues. Es war schon Anreiz genug, sie in unsere Songs einzubauen. Ed Lay: Wir waren viel selbstbewusster beim Ausprobieren. Wir hatten zwei Alben draußen, es gab uns schon eine Weile, wir hatten genug Erfahrung, um uns etwas zuzutrauen. Eine sehr erfreuliche Erfahrung.

Synths und Keyboards als Antithese zur Rockgitarre. Was die Editorsfürsich neu entdeckten, weiter auf Seile

ist freilich ein alter Hut und hat seinen Ursprung in Postpunk und New Wave der späten 70er und frühen 80er Jahre. Am Anfang de wchtigste Inspiration für Künstler wie Gary Numan und Human League: die deutschen Elektronikpioniere Kraftwerk (siehe Dossier im ME 8/09). Kühl, glatt, perfektionistisch – das waren die auffälligsten Attribute, die man mit dieser Musik bis heute verbindet. Ein wichtiges Thema auch für die Editors.

Ihr habt viele der Songs live eingespielt. Damit der elektronische Sound nicht zu klinisch und kalt wirkt?

Tom: Wir wollten eine elektronische Platte machen, zu der man aber auch leicht Zugang finden kann. Die Seele hat. Weil sie live aufgenommen wurde, landeten einige Hintergrundgeräusche mit auf der Platte. Wir haben einige Songs auch auf Tape aufgenommen, so dass der Sound nicht zu glatt gebügelt, zu perfekt klingt. Ein Versuch, unsere Art live zu spielen auf Platte zu bannen.

Ed: Die Instrumente, die wir benutzt haben, hatten alle Charakter. Ob sie nun nagelneu waren und von Laien, also uns, programmiert wurden (lacht) oder ob es alte Instrumente waren, auf denen schon Dutzende Hitsingles komponiert worden waren – sie hatten alle etwas. Tom: Ich meine, wie viele der richtig großen Platten aus den letzten zehn Jahren haben sich denn toll angehört? IS THIS IT von den Strokes klang doch wirklich scheiße, oder? Das erste Arcade-Fire-Album ist soundtechnisch auch alles andere als perfekt. Sie fixieren aber einen Moment. Ich liebe diese Platten – gerade deswegen. Unser neues Album hat auch so einen Ansatz. Chris: Es ging uns immer darum, ein menschliches Element in all der Elektronik zu haben. Tom: Manchmal spielt die perfekte Grammatik keine Rolle, wenn es darum geht, deinen Standpunkt auszudrücken.

Tom, auch deine Art zu singen hat sich verändert. Bislang wurdest du vor allem mit Paul Banks von Interpol und Ian Curtis von Joy Division verglichen. Besonders bei den hohen Tönen und speziell beim Song „The Boxer“ erinnerst du mich jedoch an Morten Harket von a-ha.

Tom: Wenn das jetzt jeder behaupten würde, könnte mir das schon gefallen (lacht) aber nur weil ich weiß, dass wir als Band ja ganz und gar nicht nach a-ha klingen.

IN THIS LIGHT AND ON THIS EVE-NING wurde immens von Filmsoundtracks beeinflusst: Vor allem die „Terminator-Filmmusiken, komponiert von Brad Fiedel, dienten als Inspiration, ebenso wie andere Sci-Fi-Klassiker wie „Bladerunner“.

Die Melodie von „Bricks And Mortar“ erinnert stark an das Stück „It’s Over“ vom „Terminator 2“-Soundtrack.

Chris: Die ersten drei Noten sind exakt dieselben. Aber erwähn‘ das ja nicht! (alle lachen) Mögt ihr diese Art düsterer Filme?

Chris: O ja! Ich hatte mir gerade wieder mal „Terminator“ angesehen, als Tom uns die ersten Texte gemailt hat (Tom und Ed leben in England, Chris und Rüssel in den USA -Anm. d. Autorin). Ein wirklich cooler Soundtrack. Also habe ich die Musik zum Text auf einem Synth komponiert und dazu ein paar Drumparts gemacht, was gemeinsam eine sehr „Termmator“-mäßige Stimmung erzeugte. Ed: Man sollte überhaupt einmal darüber diskutieren, wie groß der Einfluss der Musik auf die ungeheure Wirkung dieses Films ist. Sie hat einen ungemein hohen Wiedererkennungswert. Songs zu schreiben, die eine ähnliche Wirkung haben, das ist großartig!

Tom: Das Cinematische zeigt sich darin, dass die Melodie etwas aussagt, nicht nur die Texte allein. Ich glaube, dass wir diesen Aspekt auch vorher schon in unserer Musik hatten. Ich habe mir auch über die Ästhetik dieser Filme Gedanken gemacht, und mir sind Leute wie Vangelis und der „Bladerunner“-Film eingefallen. Ich will es nicht einfach „Science Fiction“ nennen, es geht vielmehr um diese dunklen, futuristischen Visionen, die von der Endzeit handeln. Ich denke, viele Songs auf unserem neuen Album haben diese spezielle Spannung.

Wäre die Produktion von Soundtracks auch eine Option für euch? Welcher Film würde euch reizen?

Chris: Ich würde gern den Soundtrack für den neuen „Tron“-Film aufnehmen. Tom: Den haben Daft Punk doch schon gemacht. Chris: Wirklich? Shit! Okay, dann nehmen wir den nächsten „Tron“-Film. (lacht) Produziert wurde das Album von Flood alias Mark Elhs aus London, der vor allem durch seine Arbeit für Depeche Mode, Nine Inch Nails und U2 bekannt geworden ist. Begonnen hat er seine Produzentenarbeit allerdings mit New Order und Cabaret Voltaire. Sein Industrial/Goth/Synthpop-Background dürfte nicht ohne Einfluss auf das neue Editors-Album geblieben sein.

Was für ein Typ ist dieser Flood?

Chris: Er kam rein und trug ein T-Shirt, auf dem stand: „Beatles were shit“. Da wusste ich sofort, dass er in Ordnung ist. Unsere Demos, die wir mitgebracht hatten, waren bereits sehr dunkel und industrialmäßig. Genau wie die Art von Musik, die Flood ohnehin produziert. Tom: Ich glaube, er geht an die Sache ähnlich heran wie wir. Es macht ihm großen

Spaß, etwas Dunkles, fast Bedrohliches in die scheinbar so harmlose Welt der Popmusik zu transportieren. Schon als wir ihn das erste Mal trafen, fanden wir seine Art, über Sounds zu sprechen, sehr interessant und inspirierend. Seine Haltung ist: Wenn ein Groove da ist, wird alles gut. Chris: Es ist auch sehr leicht, nein zu ihm zu sagen, was ich sehr wichtig finde. Oft wird der Produzent ja als derjenige angesehen, der das letzte Wort hat. So war er nicht. Er war eher auf einem Level mit uns und hat sich hauptsächlich Gedanken darüber gemacht, was das Beste für die Songs ist.

E ine Sache ist geblieben bei den Editors: Zur dunklen Musik singt Tom Smith weiterhin über die dunklen Seiten der menschlichen Existenz. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er, 28 Jahre jung, Vater geworden ist. Seine Freundin, die britische TV- und Radiomoderatorin Edith Bowman, brachte im Juni 2008 einen Jungen zur Welt.

Im Titelsong heißt es „London’s become the most beautiful tbing I’ve seen“.

Es macht offensichtlich den Unterschied, wie man auf etwas blickt und es bewertet, oder? So kann der Moloch London schließlich wunderschön werden.

Tom: Es geht um diesen einen kurzen Augenblick. Man sieht oder erlebt etwas immer und immer wieder, und irgendwann trifft man den Moment, in dem alles perfekt passt. Dem ganzen Album dient London als Kulisse, es hat diese gewisse Urbanität. Ich lebe dort seit fünf Jahren und habe jetzt erst das Gefühl, dass ich die Stadt allmählich verstehen lerne. Auf unserem letzten Album war es so, dass die Songs spezifische kleine Dinge und Situationen reflektierten, die mir passiert waren. Ich habe versucht, sie zu beschreiben, wenn auch in einer etwas konfusen Art und Weise. Dieses Mal habe ich mehr aus einer Distanz heraus geschrieben, mehr beobachtet, was die Leute um mich herum tun. „The Boxer“ etwa beschreibt diese Art von Typen, auf die man bevorzugt Freitag Nacht in der Stadt trifft, eine Art von ziemlich angegriffenen, verstörten Menschen. Alle Songs haben diese urbane Atmosphäre. Es ist kein Konzeptalbum, aber als wir das Ergebnis betrachteten, wurde uns klar, dass es zwischen allen Songs diese Verbindung gibt.

Es muss aber nicht zwingend London sein, es kann auch jede andere Großstadt sein, oder? Wie New York, wo Chris und Ross leben. Und du, Ed, lebst in Birmingham … Ed: Ja (irritiert)… wieso lachst du, wenn du Birmingham sagst? Ist das keine Großstadt?

(Die Editors wurden in Birmingham gegründet -Anm. d. Red.) … nein, ernsthaft. Es ist interessant, was Tom gesagt hat. Dass er London erst nach einer Weile verstehen gelernt hat. Mir geht es mit Birmingham ähnlich. Ich habe die Stadt gehasst, als ich dorthin kam.

Warum?

Ed: Ich glaube, ich habe sie nicht verstanden. Ich habe meinen Job dort gehasst und wusste nicht, wie ich damit klar kommen soll. Es dauert auch einfach, bis man sich einlebt. Birmingham war und ist immer noch die größte Stadt, in der ich je gewohnt habe. Und es ist eine interessante Stadt – wenn du sie erst mal ein wenig besser kennst. Tom: Wir sind alle immer noch recht jung. Und diese romantische Vorstellung einer Großstadt bei Nacht hat uns schon immer gefallen. Ich denke, das neue Album fängt diese Stimmung gut ein. Und man hört dieses spezifische Summen, all diese Hintergrundgeräusche einer Großstadt, das andauernde Klappern und Schlagen von Türen, unter den Songs.

Zur Albumveröfientlichung erhielten Journalisten in diesem Fall nicht den sonst üblichen, mit Superlativen und Floskeln versetzten Promotext. Sie bekamen einen „Letter from Tom“. In dein bat der Editors-Sänger die Journalisten darum, seine Bitte an die Kundschaft weiter zu tragen, sie möchten IN THIS LIGHT AND ÜN THIS EVENING doch am Stück durchhören.

Warum ist euch das wichtig, dass die Leute euer Album am Stück hören?

Tom: Es ist unser letzter verzweifelter Versuch, an alten Traditionen wie dem Langspielplattenformat festzuhalten (lacht). Heute konsumieren viele Hörer Musik ganz anders als wir, als wir jünger waren. Und wie gesagt, so alt sind wir ja noch gar nicht. Wir haben neun Songs zusammengeschweißt und finden, dass es wichtig ist, dass die Leute sie auch am Stück hören. Erst dadurch bekommt die Platte ihren Flow. Chris: Neulich habe ich mir einen Song auf YouTube angehört und festgestellt, dass die Seite, auf der ich ihn gefunden habe, die offizielle Webseite des Künstlers war. Dort lautete einer der Userkommentare: „Wo kann ich den Song kostenlos herunter-laden?“. Und jemand antwortete: „Versuch’s bei Limewire!“. Das fand ich schon unverschämt. Aber das schien völlig normal zu sein für diese Leute.

So umstürzlerisch der neue Sound der Editors einem anfangs auch erscheinen mag (das gibt sich, am schnellsten durch ein, zwei Durchläufe bei einer Tour durch die Nacht oder am offenen Fenster mit Blick auf die schlafende Stadt): Im Kern ihres Wesens gehören die vier Briten zu den verlässlichen, fast ein wenig altmodischen Vertretern des Kunsthandwerks Popmusik. Das kann man nicht nur zwischen den Zeilen lesen, sie sprechen es sogar offen aus. Und es ist in ihren Songs zu hören. Ist das schlimm? Nein.