Farin Urlaub im Blitzinterview: „Es kommt halt ständig Musik aus mir raus”


Eigentlich wollte Farin Urlaub sein neues Album mit alter Musik, BERLINER SCHULE, einfach spontan herausbringen, ohne großen Vorlauf und ohne es zu bewerben – im Gegenteil, er warnt ja regelrecht vor dem Kauf. Daher hat er auch nur ein einziges Interview gewährt, einem Radiosender. Für uns hat der große Blonde dann aber doch eine kleine Ausnahme gemacht. Blitzinterview mit dem Namensgeber des Farin Urlaub Racing Teams und „Streber“ der Ärzte, wie Bandkollege Bela B ihn nennt.

ME: Dafür, dass Die Ärzte am Anfang, mit Verlaub, musikalisch nicht sonderlich viel konnten, war euer Output damals schon riesig. Ist es leichter, einfach mal was rauszuhauen und produktiv zu sein, wenn man wenig weiß? Oder umgekehrt: Wird es immer schwieriger, gute Songs zu schreiben, wenn man professioneller Langzeitmusiker ist?

Farin Urlaub: Hahaha, als „professionellen Langzeitmusiker“ hat mich noch niemand bezeichnet! Für mich war und ist Musik fast immer ein Ausdruck von Lebensfreude, es besteht also höchstens ein innerer Zwang dazu. Über Produktivität kann ich wenig sagen, es kommt halt ständig Musik aus mir raus. Mal schlechte, mal gute – aber ich finde es heutzutage eher leichter, neue Wege zu beschreiten.

ME: Allgemein gefragt: Was zeichnet gutes Songwriting aus?

Das große Ä – Z über Die Ärzte
Farin Urlaub: Das liegt immer im Ohr des Hörers, denke ich. Als Konsument bin ich für vieles offen. Mittlerweile finde ich ungehörte Kadenzen und Melodien spannender als ewig das c-f-g-a-Moll unserer eigenen Anfangstage, aber wenn’s zu angestrengt originell wird, bin ich wieder raus. Grundsätzlich sollte mich ein Lied erfreuen, unterhalten, überraschen und/oder auf eine kleine emotionale Reise mitnehmen.

ME: Wie diskutieren Die Ärzte über neue Song-Ideen? Einer schlägt etwas vor, und die anderen reagieren mit klassischem Daumen-Hoch oder Daumen-Runter?

Farin Urlaub: Es gibt zwei Phasen: Wir spielen uns gegenseitig die Demos zum jeweiligen Album vor und treffen eine Vorauswahl. Dann werden die Lieder, die „im Rennen“ sind, genauer unter die Lupe genommen und jeder macht Verbesserungsvorschläge – oder ist beleidigt, je nachdem.

ME: Sind dir einige Verhandlungen über Songs besonders in Erinnerung geblieben?

Farin Urlaub: Ja, aber das bleibt zum Glück bandintern. Wäre ja noch schöner!

„Ich habe mich einmal abfällig über Blumfeld geäußert, das war unfair und tut mir heute leid.”

ME: Im Booklet zu BERLINER SCHULE erklärst du, nach welchen Kriterien Stücke abgelehnt oder angenommen wurden, also auch ein wenig, wie Die Ärzte damals so getickt haben. Das ist ganz schön privat für eine Band, die sonst am liebsten wenig von ihrem Innenleben preisgibt. Sind dir die Linernotes leichtgefallen?

Farin Urlaub: Nachdem ich mich zu dem Schritt der absoluten Offenheit – und der damit einhergehenden Angreiffbarkeit – entschlossen hatte, wollte ich dann auch wirklich so informativ wie möglich sein. Immer die Einschränkungen des Platzes im Booklet im Hinterkopf behaltend natürlich.

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ME: Du beschreibst die Songs von BERLINER SCHULE als „schlechte Lieder, die lausig klingen“. Wie sehr hast du mit dir ringen müssen, ehe du dich dazu entschieden hast, all diese übrig gebliebenen Stücke tatsächlich zu veröffentlichen?

Farin Urlaub: Über zehn Jahre lang habe ich mit der Idee gespielt, aber der Auslöser war tatsächlich Herr Haushofer mit seinem „CV of failures“ (Der Oberfranke Johannes Haushofer, 37, studierte in Oxford, promovierte in Harvard und Zürich, arbeitete am renommierten Massachusetts Institute of Technology. Ende April 2016 stellte der scheinbare Alleskönner seinen Lebenslauf des Scheiterns ins Netz: abgelehnte Artikel, Stipendien und Professuren, die er nicht bekommen hat – Anm. d. Red.). Was für eine großartige und mutige Idee!

ME: Laut den neuen Linernotes hättest du das Bela-Stück „Ignorama“ gern selbst geschrieben. Bei welchem Lied von Rod wünschst du dir, es würde aus deiner Feder stammen?

Farin Urlaub:
Bei ALLEN?!

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ME: Wann ist euch bewusst geworden, dass Die Ärzte größer sind, als ihr je gedacht hattet?

Farin Urlaub: Als wir zum ersten Mal das „Luxor“ in Köln restlos ausverkauft haben (Frühjahr 1984 – Anm. d. Red.).

ME: Welchen Moment würdest du aus deiner Karriere streichen wollen?

Farin Urlaub: Ich habe mich einmal abfällig über Blumfeld geäußert, das war unfair und tut mir heute leid.

ME: Ihr habt immer gesagt, dass ihr keine der Bands sein wollt, die ewig weitermachen und dann irgendwann „Möbelhäuser einweihen“, weil sie an Relevanz verloren haben. Warum sind Die Ärzte deiner Meinung nach im Jahr 2017 – trotz Pause – immer noch relevant?

Farin Urlaub: Sind wir das?

ME: Was willst du in deiner musikalischen Karriere noch erreichen?

Farin Urlaub: Etwas ganz Konkretes sogar: Ich will diesen Winter versuchen, „Jerry’s Breakdown“ (superschnell gespieltes Gitarrenstück, geschrieben von Jerry Reed, erstmals aufgenommen im Jahr 1971 von Jerry Reed und Chet Atkins – Anm. d. Red.) spielen zu lernen. Ich sage mal, die Chancen stehen so eins zu zweihundert.

(Fragen von Jördis Hagemeier, Nico Heister und Stephan Rehm)