Farin Urlaub über Individualismus
Er ist sich selbst genug, findet sich aber nicht interessant, weil: „Ich bin mir selber völlig klar. Er ist Farin U.: Arzt, Reisender, Teilzeit-Eremit. Und er hat manchmal so Anwandlungen.
Wenn Ihnen beim nächsten Sahara-Urlaub ein grinsender Motorradfahrer über den Weg braust, der bei voller Fahrt in ein Diktiergerät singt – nicht wundern: Das ist dann höchstwahrscheinlich Farin Urlaub, der sich gerade Lieder für eine neue Platte ausdenkt. „Man muß das Ding im richtigen Winkel zum Helm halten, damit der Fahrtwind nicht die Aufnahme versaut. Mit etwas Übung geht das.“ Die hat der 41 jährige, der bis zu sechs Monate im Jahr allein auf Reisen ist und dabei „Lieder schreibt wie andere Leute eben wo sie gehen und stehen ständig zeichnen“. So darf man sich wohl auch die erste Phase der Arbeit an Urlaubs zweitem Soloalbum AM ENDE DER SONNE vorstellen, das er völlig allein in seinem Heimstudio eingespielt hat. So mag er es am liebsten: allein. Urlaub alias Jan Vetter hatte schon immer einen sehr eigenen Kopf. Als Kind sei er „extrem störrisch “ gewesen, sagt der bekennende Egozentriker, stolze Rundum-Abstinenzler und treibende Kraft hinter dem kompromißfreien Gebaren der vielleicht unkorrumpiertesten Band ihrer Liga ist: Die Ärzte. Sein unbedingter Optimismus und ausgeprägter Mangel an Selbstzweifeln treibe auch heute die Leute um ihn herum mitunter in die Verzweiflung. „Das ist alles nicht so sympathisch, was ich hier sage“, hält er beim Gespräch an einem Kölner Spätwinternachmittag inne, „aber es ist zumindest wahr.“ Na, Hauptsache, Kant hält Wache im Hinterkopf.
Bist du schon vorgewarnt? Ich wurde gerne mit dir…
FARIN URLAUB: … ein Drogengeschäft aufmachen?
Ja. Aber erst würde ich gern mit dir über Individualismus reden. Weil ich dich als den konsequentesten Individualisten im, sagen wir, Deutschrockgeschäft sehe.
Das nehme ich jetzt erstmal als Kompliment. Ich mach halt das, wozu ich Lust hab, und bin in der seltenen und glücklichen Position, das auch zu können.
Viele, die es auch könnten, tun es nicht so konsequent.
Vielleicht haben die mehr Angst, ihren Status zu verlieren. Die geht mir völlig ab, behaupte ich. Mein Ziel im Leben war und ist es nicht, Rockstar zu sein. Ich bin es gerne, aber mein Leben zielt nicht daraufhin. Und das gibt mir Freiheit, damit spielerisch umzugehen.
Bist du kompromißfahig?
Ich würde sagen ja. Bela würde sagen „niemals!“ Ich bin … (überlegt) sehr davon überzeugt, daß das, was ich sage/mache/vorschlage, der einzig richtige Weg ist. Und dann geht’s manchmal über Stunden, Tage, daß ich überlege: Naja, man könnte ja vielleicht die Dinge auch anders sehen. Es wäre zwar falsch! (lacht) Aber, was, wenn man es täfe? Und es kommt darauf an, wie wichtig mir der Punkt ist. Ein Thema bei den Ärzten, das immer wieder heiß diskutiert wird, sind diese Award Shows. Wo ich sage: Nein, da wollen einem die falschen Leuten aus den falschen Gründen was verleihen. Und Bela ist zwar nicht komplett konträrer Ansicht, führt aber gültige Argumente dafür an, da mal aufzutauchen, und sagt mittlerweile: Jetzt hast du dich 15 Jahre geweigert. Der Fairneß halber war ich jetzt mal dran, Recht zu bekommen.“ Aber da fällt’s mir haltschwer, einen Kompromiß einzugehen.
Von solchen Prinzipien weichst du nie ab?
Natürlich. Das Leben zwingt dich ständig zu Kompromissen. Weder bin ich so stark noch so allein auf der Welt, daß ich sagen könnte: „Ich hab mein Leben immer kompromißlos gelebt.“ Am Arsch!
Fallt es dir leichter, Soloplatten zu machen ?
Naja, ich hab so lange an diesem Album gesessen wie noch nie an irgendwas anderem vorher in meinem Leben. Insgesamt fünf Monate.
Aber da haderst du nur mit dir selber.
Ich bin der einzige Mensch im Studio. Da ist niemand.
Der Eremit im Studio. Stimmt es, daß du bis zu zehn Monate im Jahr auf Reisen bist ?
Nein. In guten Jahren sechs.
und dann allein.
Nicht immer, aber größtenteils.
Du bist sehr gern allem.
Ja, bin ich wirklich. Ich bin mir selbst genug. Aber wenn ich dann Leute treffe, dann sehrintensiv, nichtnebenbei. Also bin ich nicht wirklich ein Eremit. Das sind ja Leute, die gar nichts mit der Welt zu tun haben.
Gut: der mobile Teilzeit-Eremit. Jedenfalls pflegst du eine starke Reduktion von Kontakt. Woher rührt das?
Ich glaub, es fing an mit meiner ersten Motorradreise allein, wo ich merkte, wie schön das ist, wenn man mit sich allein ist. Das war 1989/90. Davor bin ich auch gern verreist, aber nicht so extrem und so lange. Und danach bin ich ja dann auch aufs Land gezogen.
Was war dein erster individualistischer Akt, an den du dich erinnerst?
Es gibt eine Sache, die ich schon mehrfach erzählt hab und bei der mir was bewußt wurde. In den 7oern gab es diese Jugendheime. Da ging man hin, um Kicker und Billard zu spielen und Rockmusik zu hören. Und die meisten anderen auch zum Saufen. Ich war 13,14, und da gab’s eine Rockerbande, die hatten das unvorstellbare Alter von 18 aufwärts und Lederjacken und Motorräder. Die haben mitgekriegt, daß ich keinen Alkohol trinke und fanden das doof. Und ich erinnere mich an die Szene – ich erinnere mich auch gerne daran, weil ich so heldenhaft reagiert habe, haha! – wie die irgendwann vor mir standen mit ’ner Pulle Wein: „Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder du trinkst oder wir schlagen dich zusammen.“ Da hab ich kurz überlegt und gesagt: Okay, dann müßt ihr mich halt zusammenschlagen. Das hat ihnen glücklicherweise Respekt eingeflößt, so (Rockerstimme) „Ey, du bist in Ordnung!“ Dann war ich erstmal so zwei Jahre, bis ich Punkrocker wurde, ihr Protege. Und dann fuhr ich nach London und kam zurück mit bunten Haaren und zerrissenen Klamotten, und da trennten sich unsere Wege. Mit Punkern konnten sie nicht so.
Was warst du. bevor du Punk warst?
Nix. Ich hab nicht richtig lange Haare, aber auch nicht kurze gehabt und so widersprüchliche Sachen gehört wie Stranglers und Dire Straits. Ich war ein Mensch ohne Richtung. Dann fuhr ich nach London, und plötzlich war alles anders. Da war wirklich so ein Schnitt. Richtig heftig, so mit Plattenwegschmeißen.
Warst du als Vor-Punk-Jugendlicher ein Außenseiter?
Ich war glücklicherweise Klassenclown, was ne sehr integrierte Art von Außenseiter ist. Dadurch, daß sie über dich lachen, grenzen sie dich nicht aus. Aber ich hatte oft einen Sonderstatus: „Der is‘ albern.“ Wahrscheinlich war ich auch hy… heute sagt man ADHD. Oder so? Attention Deficit Hyperactive Blabla.
Als Punk hast du dich aber einer Gruppe angeschlossen.
Wobei man sich heute schwer vorstellen kann, wie wenig Gruppe das damals war. Wo ich wohnte, war ich der einzige Punk, auf der Straße wurde ich beschimpft. Und das war nicht so wie heute, daß an einer Schule mit 2000 Schülern 600 Punks sind. Du warst schon Außenseiter. Auf dem Schulhof waren wir, glaub ich, zu fünft, bei 1000 Schülern. Ich fand diese Uniformierung und den Nihilismus schon attraktiv. Aber das ist schnell an Grenzen gestoßen. Ich war 19,20 und kam aus Italien wieder und hatte einen roten Wollpullover an. Und so ein Punk, mit dem ich mich immer bestens verstanden hatte, guckte mich an und meinte: „Was is’n jetz mit DIR los?“ Da hab ich mir gedacht, wenn das so eine engstirnige Bewegung ist, will ich dann Teil davon sein? Wenn’s da so einen engen Dresscode gibt? Das hat mich abgestoßen. Das war dann wieder ein Schritt mehr dahin: Mach deins und kümmer dich nicht drum, was andere sagen.
Wie weit ist es vom Individualismus zur Egozentrik?
Wenn ich nicht egozentrisch wäre, wäre ich wahrscheinlich noch nicht mal Künstler. Ich bin überzeugt, daß man das, was man macht, wirklich gut finden muß, sonst kann man’s nie glaubwürdig vertreten, (lacht) Und es mag Leute geben, die so genial sind, daß sie bei aller Individualität komplett altruistisch bleiben. Das ist bei mir leider nicht so. Wenn neue Probleme auftauchen, beleuchte ich die erstmal in Bezug auf: Was hat das für Konsequenzen für mich? Und dann erst in Bezug auf die nächstgrößere Einheit: Partnerschaft. Beziehung. Band. Etc. Das ist natürlich nicht wirklich cool, aber wenigstens wahr.
Du bist nicht von Selbstzweifeln geplagt.
(grinst) Null. Das ist richtig schlimm. Für mich ist es super, aber es stürzt viele Leute, die mit mir eng zu tun haben, in Verzweiflung. Ich bin immer sicher. Und mit so jemand ist schwer zu diskutieren, (überlegt) Wobei das mit der Egozentrik nicht so zu verstehen ist, daß ich nur mich selber interessant finde. Ich find mich selber nicht interessant. Ich bin mir ja völlig klar.
Hast du Züge, die du als spießig bezeichnen würdest?
Ich bin in der Arbeit sehr spießig. Mein Soloalbum fand statt nach einem Sportprogramm, täglich ab halb neun morgens. Da bin ich diszipliniert. Und wenn’s um die Organisation meiner Reisen geht.
Wenn du sechs Monate jährlich reist, dann am Stück?
Meistens ist es verteilt. Das längste, was ich bisher bei den Ärzten zusammengekriegt hab, waren vier Monate. Ich bin da in einer sehr glücklichen Position, mit so viel Urlaub. Und trotzdem gierig: Ich will noch länger am Stück verreisen. Wenn man zwei, drei Monate weg ist, wenn man’s richtig macht und nicht jeden Tag zu Hause anruft und E-Mails checkt, kommt man erst in diesen wirklichen Reisezustand. Den hab ich leider auch erst dreimal erreicht. Dann könntest du den Rest deines Lebens Weiterreisen, wenn das Geld reichen würde. Du bist im Hier und Jetzt, total aufnahmefähig, und die Nabelschnur, die dich mit deinem bisherigen Leben verbindet, wird immer dünner.
Suchst du dann Kontakte mit den Leuten oder bist du da nur der Beobachter, der so durchgleitet?
Manchmal ergeben sich Bekanntschaften, die mir Einblick in die Kultur erlauben. Aber ich bin grundsätzlich gerne unterwegs. Das Gefühl des Unterwegsseins befriedigt mich. Ich glaube, unter anderem deswegen sind wir (Die Ärzte) solche Tourschweine.
Du bist sehr selten überhaupt zu Hause.
Wenn ich absolut ehrlich zu mir war, würde ich gar keine Wohnung mehr haben. Ist halt für die Aufnahmen sehr praktisch, ein Wohnsitz mit kleinem Studio. Aber eigentlich ist es Blödsinn. Ich brauchte ein paar Container mit meinem Zeug drin, sonst nichts.
Bist du misanthropisch veranlagt?
Nee. Ich hab manchmal so Anwandlungen, aber das ist dann mehr eine Folge meines Egoismus als daß ich wirklich Misanthrop bin. Man ist ja als Künstler zu ’nem gewissen Grad gefallsüchtig, meiner Meinung nach. Das will keiner zugeben, aber niemand auf der Welt nimmt eine Platte auf, damit sie keiner hört.
War das nicht auch Punk, die Leute wegzuschrecken?
Und warum sind sie jetzt alle wieder unterwegs? Du bist gefallsüchtig und willst auch, daß da Leute stehen. Und die sollen es es eigentlich auch gut finden. Manchen reicht es auch zu polarisieren, aber vielleicht auch nur, weil sie nie erlebt haben, wie det is, wenn alle mitsingen. Klingt jetzt sehr arrogant, aber…
Die These in deinem Lied „Alle dasselbe“, daß uns das alle gleich macht, daß wir alle geliebt werden wollen, ist ja eine Relativierung des Individualismus.
Ja. In dem Lied stell ich die Frage: Wie weit geht und wie wichtig ist Originalität? Letztlich gibt es Dinge, die Szene- und politische-Meinung-übergreifend sind. Es gibt niemanden, der nicht geliebt werden will.
In dem Lied „Kein Zurück“ behandelst du Selbstmord als den ultimativen egoistischen Akt, so: Du bist deine Probleme dann los, aber denk mal, wie’s den anderen geht.
Ich wollte ein Lied machen, das zu dem logischen Schluß führt, daß Selbstmord totaler Scheiß ist. Und dann saß ich da und hab nach Worten gerungen. Ich war ja nie an diesem Punkt. Und ich glaub auch nicht, daß ich je da hinkommen werde, weil ich eine ganz andere Persönlichkeitsstruktur hab. Bei der ersten Strophe dachte ich so „hey, kuck doch mal, wie schön das Leben sein kann.“ Aber das haut ja überhaupt nicht hin. So bekam das Lied diese andere Richtung.
Es ist dein ernstestes Lied bisher. Wo kommt es her?
Ich hatte vorletztes Jahr sehr viel E-Mail-Wechsel mit Fans. Und da waren einige Borderliner dabei. Da ging so ne Tür auf, wo ich mir dachte, „huh, da weht’s aber kalt raus“. Das hat mich ziemlich beschäftigt, auch, weil’s mir eben so superfremd ist. Ist natürlich auch wieder egoistisch, so „hey, da mach ich’n Lied draus“ (lacht). Aber anders konnte ich damit auch nicht wirklich umgehen. Das mußte schon irgendwie raus.
In deinem Info steht: „Kategorischer Imperativ (gut)“. Der geht gut mit Individualismus zusammen, oder?
Ja. Es ist gut, wenn man als Individualist den kategorischen Imperativ beherzigt. Das hält einen von allzu schlimmen Egoismus-Exzessen ab.
Wenn man es bedenkt, ist der ja sogar der entscheidende Faktor. Sonst wird’s für andere unerträglich.
Genau. Und ick … bin halt manchmal an der Grenze.
Aber dann denkst du an Kant und alles wird gut?
(lacht) Naja, dann werde ich an Kant gedacht. Haha!
Was geht da eigentlich: Du hast Pink Floyd auf deiner Platte. Dieser Zwischenteil da in „Immer noch“.
(grinst zufrieden) Mhm. Schön geworden, oder?
Ja, schon wish you were here.
Ich versuche ja, das Gefühl nachzumachen, nicht 1:1 was nachspielen. Ich brauchte einen Zwischenteil und da dachte ich mir: Was ist denn eigentlich mit der outesten Band der Welt?
Moment! Die sind gar nicht mehr so out. Kein Distinktionsgewinn durch Pink-Floyd-Zitieren, ha!
Wirklich? Siehste, so viel nehm ich gar nicht wahr. Für mich sind die so was von out.
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