Fast alle lieben Rodney


Frage: Was haben Jerry Jeff Walker, Jonathan Edwards, Johnny Cash, Emmylou Harris, Alber Lee, Gary Stewart, Waylon Jennings, Bobby Bare, Willie Nelson, Guy Clark, The Dirt Band, Carlene Carter usw. usw. gemeinsam?

Antwort: Sie alle haben einen oder mehrere Songs von Rodney Crowell aufgenommen. Insgesamt sind’s z.Zt. 41 Titel, die obige Herrschaften und viele, viele mehr auf Platte bannten, und vor kurzem war Rodney gar simultan mit drei Hits in den Country- und Pop-Charts zu finden. Nur, der Witz ist der, auch diese drei Titel sang und spielte der Meister nicht selbst.

Vielleicht ist ja ein Körnchen Wahrheit an jenem Ausspruch, der da lautet: Begnadete Komponisten sind in den seltensten Fällen auch begnadete Sänger. Ich meine, singen kann Rodney schon, doch um sich mit Waylon Jennings, Guy Clark oder selbst seiner Frau Rosanne Cash messen zu können, da müßte Rodney schon ein bißchen üben.

Vor ein paar Tagen stellte er im Roxy (L.A.) seine zweite LP BUT WHAT WILL THE NEIGH-BORS THINK vor. Begleitet wurde er von einigen ehemaligen Kumpanen aus Emmylou Harris‘ Hot Band, den Gitarristen Frank Reckard und Hank DeVito und dem Bassisten Emory Gordy Jr., plus Tony Brown am Piano, Larrie Londin am Schlagzeug und Larry Willoughby als Background-Sänger. Es war wirklich (fast) wunderschön, und das Publikum, das selbstredend jeden Song mitsingen konnte, fraß ihm buchstäblich aus der Hand, doch als er z.B. den Hit „I Ain’t Living Long Like This“ intonierte, da mußte man sich schon fragen, ob man richtig gehört hatte. Jesus, der Text ist so richtig schön „down and dirty“, aber Rodneys Stimme ließ einen glauben, man lausche dem Vorsinger eines Kirchenchors. Und nett sah er obendrein aus. Jedenfalls viel zu nett, daß man ihm Zeilen wie „I looked for trouble and I found it son/Straight down the barrel of a lawman’s gun“ ernsthaft hätte abnehmen können.

Doch damit wir uns nicht etwa mißverstehen, Rodney Crowell mag zwar ein nur durchschnittlicher Performer sein, als Komponist ist er jedenfalls ein kleines Genie, und wie gesagt so erfolgreich, daß man schon ein paar Worte über ihn verlieren sollte. Denn wer weiß, vielleicht steht sogar eines Tages ein Outlaw wie Waylon Jennings neben ihm wie ein Buchhalter da.

Rodney Crowells Elternhaus in Houston, Texas, war ausgesprochen musikalisch. Einer seiner Großväter war Leiter des lokalen Kirchenchors (aha!), der andere Bluegrass-Banjo-Picker, und sein Gitarre spielender Vater war eine bekannte Figur in den Honky-Tonks und Bars von Houston. Rodneys erste musikalischen Gehversuche fanden am Schlagzeug statt, doch dann entschied er sich, der leichteren Handhabung wegen, für die Gitarre. Und es versteht sich von selbst, daß auch er, beseelt von dem Gedanken, im Country & Western-Geschäft es zu was zu bringen, Anfang der 70er nach Nashville pilgerte.

Sein erster Brötchengeber wurde Jerry Reed, der damals dank seiner beiden einzigen großen Hits „When You’re Hot, You’re Hot“ und „Arnos Moses“ zu den Country-Top-Stars zählte. Rodney schrieb ein paar nicht sehr erfolgreiche Titel für Reed, der ihn dafür the tricks o/ the trade lehrte.

Ein weitaus größerer Einfluß für Crowell sollte jedoch Guy Clark werden, ein ebenfalls nach Nashville emigrierter Texaner. Clark, seinerseits stark von Townes Van Zandt inspiriert, galt nach seinem ersten Album OLD NR. 1 für viele Kritiker als der absolut beste texanische Singer/Songwriter. Clark jedenfalls war es, der Crowell dazu brachte, seinen Balladen zur Abwechslung mal einen etwas satirischen Touch zu geben.

Wie’s der Zufall und Produzent Briem Ahern wollten, fanden Rodneys nächste kompositorische Gehversuche bei der damals schon recht bekannten Emmylou Harris Anklang. 1975 nahm sie sein „Bluebird Wine“ und „Till I Can Gain Control Again“ auf, 1976 sang sie sein „Amarillo“, und da war Rodney bereits Aherns Rat gefolgt und Mitglied in Emmylous Hot Band geworden. In den folgenden zweieinhalb Jahren machte er alle Tourneen der Band mit, bis er Ende ’78 ausstieg, um endlich sein längst überfälliges Debüt-Album aufzunehmen.

Als I AIN’T LIVING LONG LI-KE THIS, natürlich ebenfalls von Brian Ahern produziert, erschien, waren die Kritiker zwar einhellig begeistert, doch das Publikum gab sich überraschend zurückhaltend. Nur die Ingeskonkurrenz schien wirklich zu wissen, welch Juwel Crowell da geschaffen hatte, und von nun an ging ein wahrer Run auf jedes Lied des texanischen Songwriters los. Der Titelsong der LP allein wurde von Albert Lee, Gary Stewart, Waylon Jennings, Jerry Jeff Walker und (selbstredend) Emmylou Harris gecovert.

Zwar war Rodney, der fortan mit ehemaligen Mitgliedern der Hot Band auf Tour ging, nun der Star der Truppe, doch leider passierte es ihm allzu häufig – und daran hat sich bis heute kaum etwas geändert – daß seine Hit-Songs bejubelt wurden, das Publikum aber der irrigen Ansicht war, die Titel stammten von ihren Lieblingen wie Willie Nelson oder Waylon Jennings.

Seine kürzlich erschienene zweite LP BUT WHAT WILL THE NEIGHBOURS THINK steht dem Erstling in nichts nach, wieder hat der Meister mit lokkerer Hand den für unbezwingbar tief gehaltenen Graben zwischen Country und Pop überbrückt, doch in Anlehnung an den Titel muß man sich auch diesmal fragen: But what will the audience think?

Dabei hat Rodney solch idealistische Ansprüche, sagt er doch: „Ich möchte Songs schreiben, die etwas zu sagen haben. (Wer möchte das nicht? – Red.) Egal, ob’s Country oder Pop genannt wird, meine Lieder müssen halten, was sie versprechen. Ich möchte besonders das jüngere Publikum als Entertainer, Poet und Musiker ansprechen, denn ich glaube, daß diese Leute spüren, daß ich anders bin.“ Man sollte ihm diesbezüglich die Daumen drücken, und angesichts solch fragwürdiger „Entertainer“ wie Styx, Van Haien und Journey, die die Charts blockieren, kann man sich eigentlich nichts sehnlicher für Rodney wünschen. Doch andererseits braucht man sich keine allzu traurigen Gedanken über sein Wohl und Wehe zu machen, denn dank seiner bislang 41 Coverversionen (aus denen bestimmt noch gute 80 werden) kann sich Rodney Crowell schon heute auf einem gut qepolsterten Bankkonto zur Ruhe begeben.

Und darüber, was wohl die Nachbarn denken werden, braucht er sich erst Recht keine grauen Haare wachsen zu lassen. Die lieben ihn alle, und ich lieb‘ ihn auch!