Fast wie neu


Die Zeit des Darbens hat ein Ende. Abba sind wieder da! Und die Doors! Von den Beatles ganz zu schweigen. Wen kümmert's da, daß die neuen Modelle völlig unwe- sentliche Abweichungen aufweisen.

Abba — Bjern again Edelreservisten auf der Ersatzbank. Frida Longstokin, Agnetha Falstart, BJern Volveuse und Benny Anderwear, besser bekannt unter dem Namen „Bjern Again“, lassen in ihrer Heimat Australien die Originale längst vergessen. Alles ist (fast) echt — sogar der rührende schwedische Akzent bei den Zwischenansagen.

hamburg, Große Freiheit 36, weit nach Mitternacht: Schweißtriefend steigt „Angus Young“ auf die Schultern des langmähnigen Shouters vor ihm. Wild gestikulierend und mit irrem Bück läßt er die ersten Riffs von „Highway To Hell“ durch den überfüllten Saal peitschen. Im Nu sind die knapp 2000 AC/DC-Fans nur noch eine einzige tobende Masse. Hunderte von Händen recken sich den Musikern entgegen, immer wieder wird die Bühne als Sprungbrett zum Stagediving geentert. Bon Scott haben es wieder einmal geschafft: Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt. Bon Scott??

“ Unsere Show bietet den Fans eine perfekte Illusion“, erklärt Bassist und Bon Scott-Sprecher Stefan Anowski das bizarre Phänomen. Mit vier Freunden gründete der Diplom-Chemiker vor fünf Jahren die (nach dem 1980 verstorbenen Bon Scott benannte) Revival Band der australischen Hardrock-Berserker und schwimmt seitdem auf einer Woge des Erfolges.

„Die Leute haben einfach keine Lust mehr auf anonyme Stadion-Konzerte. Bei uns können sie stattdessen ein rauhes Club-Konzert ihrer Stars erleben“, begründet Heinrich Hönemann, Gitarrist der Stones-Kopie Sticky Fingers den momentanen Siegeszug unzähliger Revival-Bands auf der ganzen Welt. ¿

Wie ihr Vorbild Madonna verbringt auch Rosemary den halben lag im Fitness-Studio. Auch sie ernährt sich makrobio-Usch. Inzwischen hat die Australierin sogar weitere Ähnlichkeiten zwischen sich und dem Original entdeckt.

„Ich bin genauso ehrgeizig wie Madonna“, meint sie. „Nur meine Stimme ist besser.“

Brothers im Blues In den 60er Jahren spielte Joe Nau (46) mit Tony Sheridan und Tony Ashton (Ashton, Gardner & Dyke); 20Jahre später sah Sohn Jörg (22) den Blues Brothers-Fllm und brachte Papa auf die Revival-ldee. Seitdem rollt der „Soultrain“ von Hamburg aus in die deutsche Blues-Provinz.

An Deck der Doria Ursprünglich war’s nur ein Jux, doch dann stiegen die Medien auf Udo Lindenberg-Imitator Ansger Hüttenmüller und „Panik Lindi“ ein. Gig-Angebote häuften sich, eine Single in bester Lindenberg-Manier gibt’s auch schon. Ein Fan von Udo ist Ansger trotzdem nicht.

Highway to AC/DC „Bon Scott“ zählen heute zu den Abräumern der deutschen Revival-Szene. Nicht selten führen die Hamburger an einem Abend 2000 Zuschauer auf den „Highway To Hell“. Neueres AC/DC-Material, aus der Zeit nach dem Tode Bon Scotts, spielen sie prinzipiell nicht.

Strawberry Fields forever

Über 2000 Konzerte hat die Beatles Revival Band in den 16 Jahren Ihres Bestehens gegeben. Nach großen Erfolgen Ende der 70er Jahre, floppten zwei LPs mit eigenen Stücken total. Mittlerwelle erklingen wieder unvergängliche Beatles-Klassiker von „She Loves You“ bis „Lucy In The Sky Wlth Diamonds“ auf Stadtfesten und Galas In ganz Europa.

It’s (not) the end

Mit langem Haar und schwarzem Leder nährt Stephen Griffith die Illusion, das Idol einer ganzen Generation sei noch am Leben. Respektvoll huldigt die Band dem Mythos Morrison durch originalgetreue Doors-Reproduktionen. Nur auf die öffentliche Präsentation seiner Genitalien verzichtet der Australier. „Mein Schwanz Ist leider nicht so groß wie Jims.“

Ein anderes, nicht minder plausibles Argument wirft Stephen Griffith, auferstandener Jim Morrison bei The Australian Doors, in die Diskussion: „Niemand kann die echten Doors jemals wieder live sehen. Also sehen die Leute eben zu uns.“

Was vor vielen Jahren mit einer Handvoll spleeniger Elvis-Imitatoren begann, hat mittlerweile den Charakter einer weltweiten Bewegung angenommen. Ob Lynyrd Skynyrd, Abba, Madonna oder gar das Kölner Original Jürgen Zeltinger: In Australien und Deutschland, den unangefochtenen Zentren der Revival-Szene, gibt es nichts, was es nicht gibt. Hunderte von Bands und Solisten halten entweder die Erinnerung an eine längst vergangene Zeit lebendig oder bieten beinahe perfekten Ersatz für überlange Tourneepausen und immer anonymere Großkonzerte.

So gründet der Erfolg von The Love Cats und The Imaginary Boys, zwei australischen Cure-Epigonen, auf der Tatsache, daß die echten Cure seit zehn Jahren kein Konzert mehr auf dem fünften Kontinent gegeben haben — nicht zuletzt ausgelöst durch die Tatsache, daß Cure-Guru Robert Smith eine panische Angst vorm Fliegen hat. Selbst eine entsprechende Petition von 30.000 Fans ließ Smith & Co. (bislang jedenfalls) kalt. Kein Wunder, daß unter derartigen Umständen mehr oder minder perfekte Doppelgänger Hochkonjunktur haben.

Doch lebt die australische Revival-Szene nicht nur von der geographischen Abgeschiedenheit des Landes. Der in Sidney beheimatete Musikjournalist Jon Casmin glaubt, eine andere Erklärung für das Phänomen gefunden zu haben: „Diese Bands sind ein Produkt der allgemeinen Wirtschaftskrise. Wie die Marathon – Tanzveranstaltungen der 20er Jahre stellen sie schlicht und einfach eine neue Möglichkeit dar, Geld zu verdienen.“ Nicht zuletzt die Clubs, so Casmin, profitieren davon.

„Gäbe es diese neuen Publikumsattraktionen nicht, hätten viele Clubs in Australien schon längst schließenmüssen.“

Eine Tatsache, die auch in Deutschland zum Tragen kommt.

„Die Veranstalter gehen immer mehr auf Nummer sicher“, hat Sticky Fingers-Bassist Thomas Frambein festgestellt. „Bei einer unbekannten Amateurband übersteigen die laufenden Kosten ßr Thekenpersonal, Strom und Miete leicht die Einnahmen durch das oft nicht allzu zahlreiche Publikum. Wird jedoch eine Revival-Show gebucht, ist der Laden in der Regel gerappelt voll. “ Auftritte zu bekommen, so der hauptberufliche Sozialarbeiter, sei für seine Band deshalb kaum noch ein Problem.

Über mangelnde Gig-Angebote kann auch Stefan Anowski nicht klagen, der neben seiner Karriere bei Bon Scott auch noch für die Status Quo-Kopie den Baß zupft und die Booking-Firma Cover Concerts betreibt, mit der er Bands wie Pfefferminz (Marius Müller-Westernhagen) oder Bar B.Q. (ZZ Top) vermarktet.

Was sich im ersten Moment nach enormer Professionalität und gewinnbringendem Fulltime Job anhört, ist jedoch auch für einen Wirbelwind wie Anowski nur wenig lukrativ. „Mehr als 800 Mark kommt dabei im Monat nicht rum“, erklärt er. „Und wenn ich die Zeit zusammenrechne, die ich dafür am Telefon oder im Auto sitze, springt ein vollends lächerlicher Stundenlohn heraus.“

Sem Kollege Joe Nau von der Blues Brothers-Revival Band Soultrain ergänzt: „Mit dem Austragen von Zeitungen ist sicher mehr zu verdienen. “ Selbst Bands, die auf eigene Plattenveröffentlichungen zurückblicken können, wie Jam Today (The Jam) oder Panik Lindi (Udo Lindenberg) sind kaum in der Lage, von ihren Gagen die Miete zu bezahlen. Warum in aller Welt gehen sie dennoch diesen dornigen Weg?

„The Jam waren immer unsere Lieblingsband“, erklärt Alt-Punk Luey von Jam Today, die inzwischen eigenen Stücken den Vorzug geben.

„So wie sie wollten wir auch spielen. Dabei ging’s nicht um Geld, sondern ums Bier trinken und Spaß haben. Im Grunde verstanden wir uns als ihre Nachlaßverwalter, denn als wir ¿

mit Jam Today begannen, hauen sich Weller und Co. ja schon längst aufgelöst. “

Ein Statement, das typisch ist für die deutsche Revival-Szene. Ohne die totale Begeisterung für „ihre“ Stars und deren Musik, ohne permanente Selbstausbeutung und nie versiegenden Enthusiasmus könnte kaum eine Band bestehen. Lohn für kraftzehrende Wochenenden mit stundenlangen Autobahnfahrten und viel zu wenig Schlaf ist schließich kein prallgefülltes Bankkonto, sondern „lediglich“ die Begeisterung des Publikums.“.Wenn ich sehe, daß die Leute vorder Bühne im Stones-Rausch sind, ihre T-Shirts durchschwitzen, tanzen und johlen, dann ist das für mich der beste Lohn“, resümiert Heinrich Hönemann (Sticky Fingers).

Ganz so selbstlos mag Ansgar Hüttenmüller, seines Zeichens Udo Lindenberg-Imitator und mit der Band Panik Lindi in Festzelten und Jugendzentren zuhaus, das alles nicht betrachten. „Ich war nie ein großer Lindenberg-Fan“, bekennt er. „Die Idee, ihn zu kopieren, war anfangs nur ein Jux, dient jetzt aber eindeutig dazu, Geld zu verdienen. Wenn ich von Musik leben will, bleibt mir derzeit einfach keine Alternative.“ Klar, daß Hüttenmüller und seine fünfköpfige Band mittlerweile nur noch auftreten, wenn die Kohle stimmt. „Für ein paar hundert Mark stell ich mich bestimmt nicht auf die Bühne“, verkündet er unumwunden.

Was für Panik Lindi gilt, trifft auf Deutschlands dienstältesten Nachspiel-Act, die Beatles Revival Band, erst recht zu. Vor nunmehr 16 Jahren gegründet und Ende der 70er Jahre mit ihren Platten und Shows kurzfristig zu nationalem Starruhm gelangt, ist die Frankfurter Version der Fab Four zu einem krisensicheren Arbeitsplatz für vier Berufsmusiker geworden. Daß sie auf Stadtfesten und Galas die ewiggleichen Beatles-Gassenhauer von „Help“ bis „Hey Jude“ herunterdudeln müssen, nimmt „John Lennon“ alias Gregor Ziegler gelassen hin. „Wir haben uns eben damit abgefunden, keine eigenständigen Popstars zu sein“, zuckt er die Schultern und verweist auf die Tatsache, daß er und seine drei Kollegen vom Nachspielen zumindest ganz gut leben können. Das tröstet selbst über langweilige Routine hinweg.

Während in Deutschland mit dem perfekten Covern fremder Songs nur in Ausnahmefällen der Lebensunterhalt zu bestreiten ist, verdienen sich in Australien nicht wenige Revival-Cracks eine goldene Nase. Steve Hyland. der unter anderem die Village Girls, eine weibliche Version der schwulen Disco-Truppe Village People. managed, sieht sich selbst in der Tradition der Fließband-Produzenten Stock‘ Aitken/ Waterman. .,VV;>

überlegen uns sehr genau, welche Gruppe gecoven werden sollte, und wählen dann die passenden Songs aus. Erst danach sehen wir uns nach geeigneten Musikern um. “

Bis zu 70.000 Mark müssen in Einzelfällen investiert werden, um einen neuen Act zu lancieren. Doch selbst diese horrende Summe macht sich in der Regel schnell bezahlt. „Australier lieben die Songs und weniger die Künstler“, erklärt Hyland die Tatsache, daß seine Revival-Bands auf ihren langen Tourneen fast immer in ausverkauften Häusern spielen. „Die anonymen Songs aus dem Radio einmal live erleben, ist alles, was diese Zuschauer wollen. “ Da bleiben sogar für die Musiker leicht ein paar tausend Dollar pro Abend übrig.

Zwei von ihnen, The Australian Doors und Björn Again, wagten unlängst gar den Sprung über den großen Teich und tourten mit Riesenerfolg durch Großbritannien. Dabei überzeugten die Abba-Epigonen nicht nur durch ihr Hit-gespicktes Potpourri von „Waterloo“ bis „Super Trouper“, auch ihr originalgetreues Bühnen-Outfit von weißen Hot Pants bis hin zu japanischen Kimonos ließ in punkto Werktreue nichts zu wünschen übrig. Selbst den schwedischen Akzent imitierte das Quartett perfekt. Sentimentale Abba-Fans und angetrunkene Nachtschwärmer waren jedenfalls gleichermaßen begeistert.

Bei den Konzerten der australischen Doors ließ so mancher gar seinen Tränen freien Lauf.

„Es war, als sei Jim zurückgekehrt und endlich wieder unter uns“, beschrieb ein Fan den Moment, als er seine Gefühle nicht mehr zurückhalten konnte.

Für die Musiker indes sind solche Augenblicke oft mehr als zwiespältig. Bei aller Freude über die Resonanz des Publikums wird ihnen überdeutlich, daß sie nichts anderes sind als Stellvertreter. Von ihnen und ihren eigenen Songs will niemand etwas wissen. Die können sie nur im Übungsraum spielen und dabei vom eigenen Starmhm träumen. „Wir sind fiir perfekte Unterhaltung zuständig. Ambitionierte Musiker wollen weder Veranstalter noch Publikum sehen“, meint Heinrich Hönemann (Sticky Fingers) illusionslos. „Aber besser Coverversionen spielen, als überhaupt nicht auf einer Bühne stehen. “ Holger True

Von Abba bis Zeltinger — niemand ist vor den Imitatoren sicher

Meist sind es die abgelegten Songs, die von den Imitatoren aufgetragen werden. Wenn Peter Kinsky von „Sticky Fingers“ (ganz o.) den Mick Jagger macht, kriegt jeder seine Satisfaction. „Plaatquadrat“ aus Köln, die das Erbe von Jürgen „Plaat“ Zeltinger verwalten, „spielen die alten Songs, auf die er keine Lust mehr hat“ — und dürfen den Chef auf der kommenden Tour als Vorgruppe begleiten. „Jam Today“ (u.) aus Hamburg hingegen haben sich vom Revival-Act zur eigenständigen Gruppe gemausert und spielen nur noch eigenes Material.