Feminist Shelf Control im Interview über ihren Podcast der Stunde
Auf einmal sind wir ‚Böse Hexen‘ & ‚feministische Clanführerinnen‘“ – Rebekka Endler & Annika Brockschmidt im Talk.

Eigentlich wollten sie in „Feminist Shelf Control“ nur über schlechte Liebesromane lästern. Aber mittlerweile schaffen es die Journalistinnen Rebekka Endler und Annika Brockschmidt mit dem haltungsstarken Podcast, immer wieder gesellschaftliche Debatten anzustoßen – zuletzt im Dezember mit ihrer Folge über die ARD-Kultursendung „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“ und den Autor Thilo Mischke. Dieser sollte erst der neue Moderator der Sendung werden und dann, nach Kritik aufgezeigt durch „Feminist Shelf Control“, doch nicht. Auch ME-Autorin Aida Baghernejad war in der Folge als Kommentatorin dabei. Was ist da eigentlich passiert und worum ging es wirklich? Und ist Cancel Culture wirklich das große Problem – oder doch etwas anderes?
Aida: Zwei Monate nach der „Causa Titel, Thesen, Temperamente“. Es war ein ziemlicher Wirbelsturm, um es mal nett auszudrücken – wie schaut ihr zurück?
Rebekka Endler: In der Zeit musste ich eigentlich mein neues Buch „Witches, Bitches, It-Girls“ fertig machen. Das war eine ganz schöne Doppelbelastung. Aber dafür habe ich dann neue Sachen gefunden, die ich in mein Buch schreiben konnte. Eigentlich war es fertig, doch vieles von dem, was in dem Diskurs um „ttt“ und Thilo Mischke debattiert wurde, war genau das Thema, worüber ich schreibe: patriarchale Mythen und wie sie uns bis heute prägen. Vielleicht war es Karma, die ganze Sache auch am eigenen Leib zu durchfahren.
Wie meinst du das?
Rebekka: Wir machen etwas, wir gehen mit einem Anliegen an die Öffentlichkeit, es wird darauf reagiert, wir haben unerwartet Erfolg damit – und in dem Moment, in dem wir uns eigentlich ein Stückchen darüber hätten freuen können, dass die Aktion erfolgreich ist, bricht eine große Backlash-Welle über uns herein und wir sind auf einmal „böse Hexen“ und „feministische Clanführerinnen“. Uns wurde eine Wichtigkeit zugeschrieben, die wir niemals hatten und wahrscheinlich nie haben werden. Das fand ich absurd.
Annika Brockschmidt: Der Gipfel der Absurdität war erreicht, als ein Social-Media-Post von unserem Account einen ganzen Artikel in der Tageszeitung „Die Welt“ zur Folge hatte. Wir seien „machthungrig“, wurde uns vorgeworfen, weil wir auch den Einkauf des Comedyspecials von Felix Lobrecht durch die ARD kritisiert haben. Aber das passt ja ganz gut in dieses ewige Paradox von Anti-Cancel-Culture-Autor:innen, die einer vermeintlichen „Linken“ vorwerfen, so leicht getriggert zu sein, selbst jedoch einem einzigen, dahingeschriebenen Satz auf Social Media einen ganzen Kommentar widmen.
Lasst uns ein paar Schritte zurück gehen: Es ist vor Weihnachten 2024, auf Instagram kündigt die ARD-Kultursendung „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“ an, dass der Journalist und Autor Thilo Mischke der neue Moderator werden sollte und damit die Nachfolge von Max Moor antritt. Er sollte, wie schon Moor, im Wechsel mit Siham El-Maimouni alle zwei Wochen das Gesicht der Sendung werden. Warum habt ihr beschlossen, dazu eine Sonderfolge eures Podcasts „Feminist Shelf Control“ zu machen?
Rebekka: Ich hatte Mischke noch im Kopf, weil ich mich in meinem ersten Buch mit Reiseliteratur befasst hatte. Unter anderem, weil es seit der Zeit des Kolonialismus als Genre existiert und darin historisch vor allem weiße Männer darüber schreiben, wie sie die Welt bereisen. Und von Anfang an ging es auch immer um sexuelle Erfahrungen. In dem Kontext hatte ich Thilo Mischkes Buch „In 80 Frauen um die Welt“ von 2012 als sehr unangenehmes Beispiel im Kopf.
Das als Memoiren vertriebene Buch handelt davon, dass er nach einer Trennung mit seinen Freunden wettet, auf einer Weltreise mit achtzig Frauen zu schlafen. Und sollte er es schaffen, würden ihm seine Freunde die Weltreise bezahlen. Ich habe das Buch auch gelesen und bin … kein Fan. Wegen der abwertenden Sprache, mit der über Frauen gesprochen wird, wegen Szenen, in denen etwa heimliche Nacktfotos von einer Frau herumgezeigt werden und so weiter.
Rebekka: Als ich mein Buch geschrieben habe, war es ja erst sechs Jahre alt und damit zeitgenössisch. In „Das Patriarchat der Dinge“ war es am Ende eine Fußnote, aber deswegen kannte ich ihn und auch, was er danach gemacht hat, war mir ein Begriff. Auf Social Media war es schon ein Thema und wir warteten darauf, dass es auch größere Medien aufgreifen und die Sache kritisch beleuchten. Aber als dann am 22. Dezember abends immer noch nichts dazu erschienen war und sich alle für die Weihnachtsferien bereit machten, dachten wir: „Okay, dann müssen wir es selbst machen.“ Wir haben dann die Journalistinnen Isabella Caldart und Anja Rützel als Gäste für der Folge und euch alle als Stimmen und Kommentatoren angefragt und alle, die wir gefragt haben, wollten dabei sein.
Annika: Und man muss auch dazu sagen, dass wir keine investigative Recherche durchgeführt haben, um zu zeigen, dass die Wahl für den neuen Moderator angesichts seiner vorherigen Arbeit vielleicht nicht ganz die richtige war. Das waren alles Quellen, die jedem zugänglich waren. Später stand ja auch in Zeitungsberichten, dass auch der Redaktion von „ttt“ vermutlich ähnliche Äußerungen und Textstellen, wie wir sie gefunden haben, bekannt waren und sie die an ihre Vorgesetzten herangetragen haben.
Der konkrete Fall ging damit aus, dass sich große Teile der Kulturszene überraschend einig waren, dass Mischke kein angemessener Moderator einer der letzten großen Kultursendungen in der deutschen Fernsehlandschaft sein würde. Vielleicht auch, weil er schon im Ankündigungsvideo von einem „unterkomplexen“ Kulturbegriff als etwas Positivem sprach, gerade in Zeiten grassierender Kürzungen und Angriffe auf den Kulturbetrieb. Es gab einen offenen Brief, sogar in eher konservativen Zeitungen wie der „FAZ“ wurde die Ernennung kritisch beleuchtet. Anfang Januar zog die ARD dann ihre Entscheidung zurück, aber statt einzuräumen, dass der Moderator für diese spezifische Sendung vielleicht keine gute Wahl war, schienen die Verantwortlichen eher das Schreckgespenst „Cancel Culture“ auspacken zu wollen. Warum glaubt ihr, dass diese Sache so große Wellen geschlagen hat?
Annika: Relativ schnell wurde die Kommunikationsstrategie der ARD mit ihrem Versuch, die Situation aussitzen zu wollen, selbst zur eigentlichen Geschichte. Die Personalie war und ist ein Symptom eines strukturellen Problems. Sie hätte zwar auch zu anderen Zeiten innerhalb der Kulturszene für Empörung gesorgt, aber mit den aktuellen Debatten fühlt es sich so an, als ob wir mitten in einem Backlash gegen „#MeToo“ und alles wären, was versucht, an patriarchalen Strukturen zu sägen. Da hat sich in diesem Moment eine Kombination und Wut und Hilflosigkeit gebündelt.
Rebekka: Es ging ja nie um den Menschen an sich, sondern um Systemkritik und um Bewusstsein für die Boys-and-Girls-Clubs im Medienbetrieb. Ich hadere damit, dass ich bei der ganzen Sache meine persönliche Zuversicht, was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen Bildungsauftrag angeht, verloren habe. Ich arbeite selbst immer wieder für den ÖRR und sehe ihn auch als Pfeiler der Demokratie. Aber der Umgang mit der Kritik hat ein Stück meines Vertrauens in Teile des Rundfunks erschüttert, obwohl ich ein Riesenfan bin.
Mir geht es ähnlich. In meinem Gastbeitrag in eurem Podcast war es mir ja auch wichtig zu sagen, dass es nicht um die Einzelperson geht und dass man Menschen sowieso nicht aus der Welt canceln kann oder wollen sollte. Aber es wäre eine Chance für Diskurs und Aufarbeitung gewesen. Es war spannend, zu sehen, dass so viele Menschen Kritik aus Liebe, Glauben und Respekt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Sendung „ttt“ geäußert haben.
Rebekka: Genau, an der gleichen Stelle hätte man auch sagen können: „Wie schön, uns war gar nicht bewusst, wie viel diese Sendung den Leuten bedeutet, wir schätzen das und nehmen daraus etwas mit.“
Annika: Ich glaube auch, dass Mischke seinen Job hätte behalten und die öffentliche Diskussion drehen können, hätte man anders reagiert. Wenn kommuniziert worden wäre: Was ich in der Vergangenheit gesagt habe, ist mir peinlich. Ich höre euch, ich verstehe euch, ich lerne dazu und ich bin mir der Verantwortung in dieser Rolle bewusst. Aber das ist leider nie gekommen.
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Rebekka Endler wurde 1984 in Köln geboren. Nach ihrem Studium der Sozialwissenschaften erschien 2021 ihr Buch „Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt“, avancierte zum Bestseller und lag bereits 2022 in polnischer, französischer und türkischer Übersetzung vor. Im April desselben Jahres startete sie und Annika Brockschmidt den Pod cast „Feminist Shelf Control“, in dem sie Literatur, Feminismus und Politik diskutieren.
Annika Brockschmidt kam 1992 in Berlin zur Welt. Als freie Journalistin arbeitet sie unter anderem für das ZDF, „Tagesspiegel“ und „Zeit Online“. 2017 veröffentlichte sie mit Dennis Schulz das Buch „Goethes Faust und Einsteins Haken. Der Kampf der Wissenschaften“. Dem folgte vier Jahre darauf der Bestseller „Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“. 2024 erschien „Die Brandstifter. Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen“.