Festival-Nachbericht: Pop-Kultur, wie geht es dir?
Ein Festival namens "Pop-Kultur" ist geboren. Zum ersten Mal findet es als Nachfolger der Berlin Music Week statt und will einen radikalen Neuanfang. Die Location: das legendäre Berghain. Die Message: Hier wurde Geschichte geschrieben. Das Gefühl: zwiegespalten.
„It began in Berlin“, steht auf der ersten Seite des Festival-Booklets. Ein knapp 90 Seiten starker Versuch, den Begriff und Namensgeber der Veranstaltung „Popkultur“ mit Leben zu füllen. „Genießen Sie die Gespräche, die Atmosphäre, die Konzerte, DJ-Sets, Lesungen und Talks!“ So steht es dort, schwarz auf weiß. Ein Imperativ, der wie eine Reisekatalogwerbung klingt. Wohlfühlen soll man sich auf diesem neuen Festival in Berlin, klar, aber bitte nicht zu sehr und auf die Idee kommen, Fotos zu schießen. Wir sind schließlich immer noch im Berghain, dem wohl bekanntesten Club unseres Landes mit unergründlich straffer Türpolicy und dem legendären Walk of Shame, den die Gestraften, die es nicht in die heiligen Hallen für elektronische Musik geschafft haben, auf sich nehmen müssen, wenn sie an der wartenden Besucherschlange mit hängendem Kopf zurückschlurfen müssen.
Spätestens wenn man das Festivalgelände betritt, spürt man den theoretischen Widerspruch zwischen kuscheligem Gettogether und rauer Clubkultur ganz real. Rund um das Berghain und die dazugehörige Kantine, in der auch sonst Konzerte stattfinden, reihen sich kleine Stände mit Platten, Büchern, Jutebeuteln und Snacks. Erstaunlich, dass hier wirklich noch bedruckte Jutebeutel verkauft werden. Nagut, wohlwollend interpretiert sollen sie vielleicht nur eine Stecknadelmarkierung auf der großen Popkultur-Landkarte sein. Irgendwo zwischen 2007 und 2009. Während man am Grillstand nebenan jemanden „darf’s noch ein Kräuterwürstchen sein?“ fragen hört, wird es am Eingang des Berghain ernst. Es ist ein bisschen so wie in alten Disneyfilmen, sobald die böse Hexe das bunte Treiben der gutmütigen Protagonisten zerstört und Rache will: „Smartphone dabei?“, will einer der kantigen Türsteher wissen. Hier hört der Spaß auf. Die meisten Besucher nicken demütig und legen ihm das Handy in die ausgestreckte Hand, sodass er die eingebauten Kameras mit kleinen Stickern abkleben kann. Immerhin sind sie bunt. Ein bisschen Disney.
So war’s am Mittwoch beim Popkultur Festival 2015 in Berlin
Der erste Festivaltag, ein Mittwoch, beginnt um 17:30 Uhr mit Sven Regener und Andreas Dorau. Nach ihrer gemeinsamen Lesung stehen sie noch für ein paar Stunden im lauen Hof des ehemaligen Heizkraftwerks und plaudern mit Freunden. Regener plaudert länger und steht verräterischerweise auch viel näher am Bierstand als Dorau. Im Anschluss „talken“ André de Ridder und Matthew Herbert in der Garderobe über, logisch, Popkultur. Gewitzelt wird hier nur stiefmütterlich, das Publikum wirkt versteinert. Im Hintergrund brummt etwas Undefinierbares. Eine Mischung aus zehn gleichzeitig gedrückten Toilettenspülungen und einem gigantischen Staubsauger. Vielleicht feilt die Putzkolonne an letzten Details? Plötzlich kann man sich besser denn je vorstellen, dass das weltbekannte Berghain hinter den Kulissen ein penibel geführtes, sauberes Businessprojekt ist.
Auf der anderen Seite des Clubs öffnen sich die Türen zweier Hallen. In einer davon spielt Pantha Du Prince. Er hat ein Stipendium hinter sich, erfährt man aus dem Programmheft. In einer Villa in Los Angeles schraubte er an neuer Musik. Nach seinem imposanten, im direkten Wortsinn lange nachhallenden „Bell Laboratory“-Projekt fällt „Pantha Du Prince feat. The Triad“ wieder eine Nummer kleiner aus: drei Herren, verkleidet in Gewändern und wechselnd mit tellergroßen Hohlspiegeln und silbernen Masken vor den Gesichtern, walten an ihren verkabelten Pulten. Blicken sie nach oben, reflektiert ihr Kopfschmuck die Bühnenlichter, blicken sie nach unten, spiegeln sie die abgewohnten Wände des Berghains. Scott Mou (Panda Bear), Bendik Hovik Kjeldsberg und Hendrik Weber aka Pantha bauen an einem Sound, der nahe an Panthas etabliertem Sound House in dunkle Täler und große Hallräume trägt. Aus abstrakterem Geklöppel schält sich bald schon ein klarer Groove, eine melancholisch-süße Bimmelmelodie. Die Menschen in der Halle am Berghain bewegen sich wie Härchen im auffrischenden Wind.