Foo Fighters: Some Kind Of Kuschelmonster


Um die Rocker unter ihren Fans nicht zu doll zu verwirren, haben die Foo Fighters ein Doppelalbum mit zwei Gesichtern aufgenommen - zumindest eins davon grinst wieder ziemlich breit. Dave Grohl kann eben nicht anders, auch wenn er genug Scheiße für 100 Jahre Traurigkeit gesehen hat.

Irgendwie wirkt so eine goldene Schallplatte unwirklich, wie ein märchenhaft verzauberter Zwilling des schnöden schwarzen Vinyls. Sie ist eine Würdigung der Musikindustrie, eine Anerkennung des Marktes, aber auch tückisch. Denn aufgehängt und hinter Glas verliert die goldene Schallplatte ihre magische Aura und verwandelt sich ins Gegenteil – in Gerumpel, glitzernd und wertlos wie alte Orden. Weswegen viele Künstler ihre goldene Schallplatte höchstens auf dem Klo aufhängen.

Hier, im Studio 606, hängen die Auszeichnungen überall, im Foyer, im Treppenhaus, Gold und Platin aus aller Herren Länder, Schallplatten von den Queens Of The Stone Age bis zu Tenacious D, von Nirvana bis zu Probot, eine verwirrende Vielfalt, die doch auf einen einzigen Nennerzubringen ist: Dave Grohl. „Früher, in Virginia“, erzählt er und zündet sich eine Marlboro Light an, „da habe ich die Dinger im Keller verstaut, weil ich einfach nicht genug Platz dafür hatte. Heute noch hängen ein paar der Platten bei meiner Mutter. Aber das hier… „, sagt er und breitet so dynamisch die Arme aus, daß der Qualm seiner Zigarette einen Kondensstreifen bildet, „… das hier ist genau der richtige Ort für eine solche kleine Ausstellung“.

Für 700.000 Dollar hat Dave Grohl ein altes Lagerhaus bei Los Angeles zum Studio und Hauptquartier seiner Band umbauen lassen, den Foo Fighters. Nach der langen Odyssee, die Grohl all die schillernden Auszeichnungen eingebracht hat, ist das Studio vor allem ein gemauertes Bekenntnis zur Beständigkeit: Als wäre da jemand hemmungslos fremdgegangen und dann doch heimgekehrt, um seiner Familie einen Palast zu errichten. Und die Familie ist vereint, stolz, zufrieden. Da ist Taylor Hawkins, Schlagzeuger und so etwas wie das Sorgenkind der Gruppe. 1997 ersetzte er William Goldsmith, der wegen „künstlerischer Differenzen“ mit dem Chef während der Arbeit am zweiten Album, The Colour And The Shape, das Handtuch geworfen hatte. Künstlerische Differenzen? Es ist eben ein undankbarer Job, Schlagzeug in der Gruppe eines Über-Schlagzeugers zu spielen. Auch bei der Arbeit an dem neuen Album In Your Honour wurde wochenlang an den Schlagzeugspuren gebastelt, bis sie so klangen, wie sie nach dem Grohl’schen Glaubensbekenntnis klingen müssen: „mächtig, fett, schnell“.

Taylor Hawkins nahm’s gelassen. Vielleicht auch deswegen, weil er weiß, was er Grohl zu verdanken hat: Im August 2001 mußten die Foo Fighters ihre Europa-Tournee abbrechen, weil ihr Schlagzeuger sich mit Drogen außer Gefecht gesetzt hatte. Anstatt aus der Band zu fliegen, durfte sich Hawkins in aller Ruhe erholen. Zwar setzte sich Dave Grohl sofort selbst hinters Schlagzeug, allerdings bei den Queens Of The Stone Age. Auf Einladung seines Kumpels Josh Homme beteiligte er sich an den Aufnahmen zu Songs For The Def auf. Als Grohl – entzückt, erstmals seit dem Ende von Nirvana wieder als Vollzeit-Drummer arbeiten zu können – die Queens dann auch noch auf Welttournee begleitete, wähnten viele das Schicksal seiner eigenen Band besiegelt. „Ich habe für ein paar Tage wirklich darüber nachgedacht, die Foo Fighters aufzulösen“, sinniert Grohl kopfschüttelnd: „Weil ich es cool finde, wenn eine Band auf dem Höhepunkt ihrer Karriere Schluß macht. Aber dann erinnerte ich mich daran, warum ich die Band einmal gegründet hatte.“

Vor mehr als zehn Jahren war das, als Dave Grohl, noch erschüttert durch den Selbstmord von Kurt Cobain, bei heruntergelassenen Jalousien in seinem Apartment in Seattle hockte, in den rauchenden Trümmern der größten Band der Welt. Einer Band, der der Junge aus Virginia angehört hatte, seit er 20 Jahre alt war – und die ihn binnen kürzester Frist mit ungesunder Wucht in extreme Höhen des Ruhms katapultiert hatte. Und nun? Als Ex-Drummer von Nirvana mußte er sich um eine Karriere als Session-Musiker keine Sorgen machen: „Oh, ich hatte viele Angebote, von Danzig und anderen Bands. Ich war kurz davor, ein Engagement als Tour-Drummer bei Tom Petty anzunehmen. Tom ist nett und alles das, aber… verdammt, er ist halt leider einfach auch Tom Petty!“

Bei Nirvana war Grohl nur ein einziges Mal (auf einer B-Seite) als Komponist in Erscheinung getreten, hatte aber nebenbei an eigenen Songs gearbeitet. Anstatt mit Petty auf Tour ging er im Herbst 1994 ins Studio. Er spielte alle Instrumente selbst und hatte innerhalb von nur fünf Tagen ein Demo-Tape fertig. „Zu diesem Zeitpunkt dachte ich gar nicht daran, eine eigene Band zu gründen“, erinnert er sich und grinst sein breites Dave-Grohl-Grinsen, „es war mehr so ein Witz für meine Freunde“. Mit lärmenden Gitarrenwänden, tosender Dynamik und vor allem – verblüffend sonnigen Melodien war das Tape aber auch ein unwiderstehlicher Köder für die Plattenfirmen, die sich darum rissen, den Ex-Nirvana-Mann unter Vertrag zu nehmen. Capitol machte das Rennen, es war die Geburtsstunde der Foo Fighters – benannt nach der US-Geheimtruppe, die im Zweiten Weltkrieg unbekannten Flugobjekten nachspüren sollte. Das Debüt erschien am 4. Juli 1995, die Single „Big Me“ avancierte zum Crossover-Hit, und das Album erreichte Platin-Status. Hängt diese Platin-Auszeichnung nicht auch irgendwo hier…?

„Donuts! Willst du auch Donuts? Du ißt jetzt einen Donut!“ Nate Mendel ist ein angenehmer Mensch von bassistenhafter Schweigsamkeit. Wenn es um die Musik geht. Beim Essen ist das etwas anderes. Hat er nicht bisweilen gefürchtet, daß sein Kumpel Dave irgendwann gleich auf einer der vielen Hochzeiten bleiben würde, auf denen er tanzte? Statt einer Antwort zeigt er ein breites, fast Grohl’sches Grinsen. Gefürchtet?

Nie im Leben. „Dave ist einfach unglaublich produktiv.“ Sagt Chris Shiflett, der da neben Mendel auf der breiten Ledercouch versinkt – auch er ist schweigsam, und noch weitaus reservierter. Seit 1999 ist er dabei, war vorher Gitarrist bei No Use For A Name und würde jetzt gerne lieber über den faszinierenden Produktionsprozess von In Your Honor reden. Geht aber nicht, weil Dave Grohl noch schnell etwas erklären will: „Hey, sind dir die Kissen hier aufgefallen? Die sind aus dem Stoff meiner alten Band-T-Shirts, die ich als Teenager auf Konzerten gekauft habe. Meine Mutter hat den Stoff umgearbeitet. Toll, oder?“ Gewiß.

Nine Inch Nails„, meldet sich wieder Taylor Hawkins und zählt an den Fingern ab, mit wem Dave Grohl zuletzt so alles kollaboriert hat, „Garbage, Killingjoke…“ Grohl unterbricht die Aufzählung mit einer beschwichtigenden Geste: „Es war einfach wichtig, die Perspektive zu wechseln. Und es macht Spaß. Aber die wahre Herausforderung war es, nach zehn Jahren ein Album mit den Foo Fighters aufzunehmen, das die Foo-Fighters-Fans nicht erwarten – am besten gleich zwei. „Es ging Grohl um nichts Geringeres als ein Doppelalbum, wie es die Rock-Welt bisher noch nicht erlebt hat: „Ich hatte das komplett im Kopf, bevor wir ins Studio gingen, genau genommen sogar, bevor das Studio überhaupt gebaut war“

Platte No. 1 wurde in einer spontanen Session heruntergespielt. Foo Fighters as usual. Doch dann machten sich die Musiker an die akustische Platte. Spur für Spur. „Als diese Arbeit endlich getan war“, sagt Chris, „hörten wir uns nochmal die schon fertige Rockplatte an und dachten: Nee, das geht nicht, das kriegen wir noch besser hin…“ Im Ergebnis ist In Your Honor von einer leicht euphorischen Schizophrenie. Zwei Platten mit völlig verschiedenem, fast gegensätzlichem Material.

Grohl: „Es wäre schwierig gewesen, beides ineinanderfließen und die Platte dennoch homogen klingen zu lassen. Schwierig, aber nicht unmöglich …“ – „Wir hätten Übergänge schreiben müssen „, meint Chris: „Aber Übergänge bedeuten Ballast. Und der mußte weg. Jetzt haben wir sozusagen eine Tag- und eine Nachtplatte gemacht.“ – „Oder eine Mädchen- und eine Jungensplatte“, wirft Taylor ein: „Ich liebte früher schon Doppelalben, zum Beispiel physical Graffiti von Led Zeppelin. Und jetzt stell dir mal ein paar Jungs vor, die im Auto unterwegs sind zu einer Party und In Your Honor einlegen, zum Anheizen. Die lachen sich doch schlapp, wenn nach jedem Knaller irgendwas fein ziseliert Akustisches kommt!“

Die Angst, im Set der Foo Fighters könnte es nun auch bald einen akustischen Mittelteil geben, in dem das Licht gedimmt und die Barhocker auf die Bühne geschleppt werden, wischt Grohl beiseite: „Das wird nicht passieren. Auch wenn’s blöd klingt: Wir rrrocken einfach zu gerne.“ Wer das für eine Worthülse hält, der wird schon durch den Ablauf der Sessions für in your honor eines Besseren belehrt. Eigentlich wollte Grohl seine Foo Fighters um illustre Gäste erweitern, ganz im Stil der Queens Of The Stone Age. Aber dann lief’s so gut und schnell und effizient, daß es – neben Josh Homme – nur wenige der angefragten Leihkünstler auf die Platte geschafft haben. Mit John Paul Jones ist auf der akustischen Platte aber immerhin der ehemalige Bassist und Keyboarder von Led Zeppelin vertreten. Rami Jaffee, der Keyboarder der Wallflowers „klimperte seinen Kram“, wie Grohl launig kommentiert. Und auf der Rockplatte singt… Norah Jones!? „Genau das ist es, was die Foo Fighters ausmacht“, freut sich der Chef: „Wir sind frei. Und Freiheit bedeutet auch, das wir uns auch von Die-Hard-Harcore-Fans nicht vorschreiben lassen, wie wir zu klingen und mit wem wir zu arbeiten haben.“

Woran liegt es nur, daß solche Sprüche nicht nach einer billigen Rechtfertigung klingen, wie sie andere von sich geben, die eben auf den Mainstream schielen, sondern tatsächlich wie ein spätes Echo der Ideale des Punk, nach Spaß an der Provokation und am ausgestreckten Mittelfinger? Das ist Dave Grohl, dem nachgesagt wird, er sei „the nicest guy in rock“. Nun ist „nett“ ein Attribut, daß Karrieren in einem Geschäft beenden kann, das sich gerne seine Finsternis zugute hält. Von Motörhead bis Metallica, von Lemmy Kilmister bis zu James Hetfield – Bösewichte, wohin das Auge schaut. Und selbst die sprechen mit Respekt von dem netten Dave, der eine entwaffnend offene und nüchterne Erklärung für sein Image hat: „So bin ich“, sagt er, denkt nach und fügt an: „So bin ich geworden. Weißt du, ich habe soviel Scheiße gesehen, daß es für vier Karrieren und zwei Leben gereicht hätte. Ab einem bestimmten Punkt ist mir klargeworden, daß ich der größte Glückspilz der Welt bin. Ich habe überlebt, das gibt Gelassenheit.“

Im vergangenen Jahr kam es zum ersten wirklichen Zoff in der Band, schmutzige Wäsche, harte Worte. „Egal, worum es ging“, sagt Dave Grohl, weil es ihm wirklich egal ist: „Ich dachte die ganze Zeit, ich wäre in der falschen Band oder im falschen Film – nämlich bei Metallica und in ‚Some Kind Of Monster‘. Aber wir sind die Foo Fighters. Wir brauchen keinen fucking Psychiater. Meine Überzeugung ist: Alles auf dieser Welt, sogar das große Ganze insgesamt, wird besser, als wir es uns jemals vorstellen können. Und wie könnte das gehen?“, fragt er und blinzelt durch einen klitzekleinen Spalt zwischen Daumen und Zeigefinger: „Indem sich jeder einzelne nur ein klitzekleines bißchen anstrengt und lernt: Wir alle können über unsere Schatten springen.“ Der Mann muß es wissen. Schließlich ist er endgültig und in jeder Hinsicht längst über den verdammt langen und verdammt dunklen Schatten von Nirvana gesprungen.

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