Fräulein in den Wechseljahren


Ein Fräulein kommt in die Jahre: Nenas erste Single wird 10, und ein neues Album feiert alte Hits.

Feste muss man feiern wie sie fallen: „Zehn Jahre Nena“, sagt die Dame von der Plattenfirma, „das ist doch ’n Thema.“ NENA — DIE BAND heißt die entsprechende Geburtstagsgabe — fünfzehn Hits aus fünf goldenen Jahren, in denen Gabriele Kerner vielleicht das erste und letzte Kapitel deutscher Popgeschichte schrieb. „Neee, ein Jubiläumsalbum ist das für mich nicht,“ sagt Nena und strahlt aus üppigen Sofakissen einer nicht weniger üppigen Berliner Altbauwohnung. „Ich bin nur irgendwie wieder in den Carlo (Karges, Ex-Nena-Gitarrist) und den Uwe (Fahrenkrog-Petersen, Ex-Nena-Keyboarder) ‚reingerumpelt. Die Platte war eine ganz spontane Idee, wenn’s da um Ausverkauf ginge, hätten wir das doch schon viel früher machen können. “ Ihre kontemplative Ader betonend fügt sie hinzu: „Zehn Jahre sind das schon bald, mein Gott, wie die Zeit vergeht.“ Und „diese Zeit“, vor allem die ersten Jahre, hätte sich kein noch so armseliger Seifenoper-Drehbuchautor besser ausdenken können: Aufstieg einer Rotzgöre über Nacht, achtmal Platin, fünfmal Gold. Schlagzeilen, Amerika, Japan und plötzlich wieder weg vom Fenster. Danach noch ein persönliches Drama für die Träne im Knopfloch der Zeitungsleser — die gefallene Prinzessin bekommt ein behindertes Kind und verliert es nach Monaten der Pflege.

Heute, 31 jährig, ist Nena stolze Mutter eines 18-Monate-alten Zwillingspärchens und hat keinerlei Probleme mit der persönlichen Vergangenheitsbewältigung: „Ich habe mir nie gedacht: ,wärst du doch einfach Goldschmiedin geblieben‘. Ich habe nicht eine Sekunde seit diesem Tag 1982 bereut, und mir geht es heute sehr, sehr gut. Ich hüb‘ mich freigeschaufelt. Und ich mach sowieso nur noch das, was ich will — ob das nun mal eine Platte mit Kinderliedern oder zwischendurch eine Weihnachtsplatle ist. Wenn ich das brauche, dann mach ich es einfach.“ Ein breites Grinsen straft jeden Lügen, der Frau Kerner gerne zum traurigen Exempel gescheiterter Pop-Träume stilisiert hätte.

Aber natürlich ist sie angreifbar, promotet sie doch im dafür recht hohen Alter noch Lieder, die vor fast zehn Jahren pubertierenden Teenies feuchte Träume beschert haben … „Na und? Ich finde, das sind wunderschöne Lieder, die soll uns erstmal jemand nachmachen. Sie bringen die Sache auf den Punkt, und funktionieren heute noch genauso wie damals. Ich habe echt keine Veranlassung die aus meinem Programm zu streichen, da war‘ ich ja schön blöd.“ Nenas Programm heißt heute keineswegs „Trautes Heim, Glück allein“, ihre zweite Soloplatte ist in Arbeit, und im kommenden Jahr will sie auf Tour gehen. „Mann, ich hab’seit 1986 keine Konzerte mehr gegeben, und ich freu‘ mich drauf wie blöde! Ich hatte Jahre lang einfach Schiß, mich vor Leuten zu produzieren. Ich wollte schon weiter Musik machen, nur sehen sollte mich keiner.“ Ein gebranntes Kind. Fragt man Nena heute, was ihr an unangenehmen Erinnerungen aus der Hoch-Zeit geblieben ist, kommt die Antwort prompt: „Das war einfach zu hysterisch, und ich fühlte mich oft ungerecht behandelt. Ich hatte damals keine Lust mehr, Fragen zu beantworten, ich haue einfach nichts mehr zu sagen, ich war leer, und wurde immer weiter gelöchert. „

Jetzt macht sie nur noch „was ihr Spaß macht“, und genießt seit fünf Jahren mehr oder minder zurückgezogen die Freiheit, keine übersteigerten Erwartungen mehr erfüllen zu müssen. „Die ganze Zeit damals, die kann ich jetzt erst so richtig genießen. Wir sind um die ganze Welt gereist, und konnten gar nichts richtig aufnehmen, weil alles so schnell ging. Mir macht das Spaß, jetzt in aller Ruhe in der Vergangenheil zu schwelgen, wenn ich die alten Lieder höre, und das hat nichts damit zu tun, daß ich mich davon nicht lösen kann. Schließlich ist das ein Teil von mir, diese Musik, die leb‘ ich immer noch.“

Nena 1991, die Luftballons baumeln von der stilvollen Stuckdecke — Überreste vom letzten Kindergeburtstag, und in der Wohnküche wird der nächste Urlaub geplant.

„Eigentlich wollte ich seit August im Studio sein, aber mir fehlt irgendwie die richtige Inspiration, deswegen fahren wir jetzt erstmal alle nach Jamaica.“

Ihr liebster Satz ist „man darf das alles nicht so ernst nehmen“, und damit ist sie allemal glaubhafter als gefallene Stock/Aitken/Waterman-Engel auf der verzweifelten Suche nach Schlips und Bügelfalten. „Ich werd‘ nie älter als fünfzehn, und für die Leute werde ich sowieso immer die mit den ,99 Luftballons‘ sein, und das stört mich überhaupt nicht, im Gegenteil. Vor drei Jahren war ich in Hawaii, mach‘ das Radio an und hör ,By the way, Nena is on the island, and here is her song!‘. Das muß man erstmal erleben! Und sowas soll ich verleugnen, warum denn?“ Also gar keine Alterserscheinungen? „Der rote Minirock, den ich bei unserem ersten Auftritt im Musikladen anhatte, der hängt seither in einem Bilderrahmen und drüber steht ,Man nehme:‘. Aber da paß ich wohl heute nicht mehr rein.“