Interview & Feature

Wir haben versucht, mit Franz Ferdinand über ihren Neuanfang zu sprechen: „Fick den Typen! Fick die Siebziger!“


Was macht man als Band, wenn eines der Gründungsmitglieder aussteigt? Die Strategie von Franz Ferdinand: ein Neuanfang, der aber nur in Teilbereichen kommuniziert werden darf. Ein Treffen, das dann doch noch ganz schön wurde.

Mitten im Eingangsbereich der „Gibson Guitar Lounge“ steht ein Elefant. Er ist so grau wie der Berliner Winterhimmel, sieht aber eigentlich recht freundlich aus. Trotzdem hat man Angst, dass er seine Ruhe verliert. Sich um die eigene Achse dreht. Das wäre ungut, denn er würde mit seinem dicken Hintern all die sicherlich sehr teuren Gibson-Gitarren zerstören, die das Unternehmen in seinem Showroom an die Wände gehängt hat. Das Komische: Außer dem Journalisten scheint sich niemand so recht für den Elefanten zu interessieren. Alle Anwesenden außer dem Journalisten marschieren einfach durch ihn durch.

Der Name des Elefanten lautet McCarthy, beziehungsweise, eigentlich ist es viel komplizierter. Der Elefant heißt „Die Nicht-mehr-Mitgliedschaft von Nick McCarthy bei Franz Ferdinand“. Der Journalist wurde vor dem Termin dazu angehalten, zu diesem Themenkomplex keine Fragen zu stellen. Man kennt solche Vorgaben aus der Welt der Riesenrockstars. Kanye West. Metallica. Eminem. Da wird man gebeten, gewisse Themenkomplexe zu umschiffen, meistens solche privater Natur.

Aber wenn Franz Ferdinand das erste Studioalbum ohne einen ihrer beiden bisherigen Hauptsongwriter abliefern, ist das doch etwas anderes. Das ist interessant. Aber man sollte einen Elefanten nicht reizen. Also quetscht sich der Journalist auf dem Weg zu dem Zimmer, in dem das Interview stattfinden soll, an ihm vorbei und partizipiert an dem Gespräch, dass zwischen Plattenfirmenfrau und Alex Kapranos stattfindet und das sich um den besonders hochwertigen, weil temperatursensiblen Teekessel des örtlichen Caterings dreht. Den würde Kapranos, das sagt er so halbironisch, gerne mitnehmen.

Da hängen Gitarren im Wert von mehreren Hunderttausend Euros an der Wand. Kapranos interessiert sich vor allem für den Teekessel.

Das ist ganz und gar wunderbar: An den Wänden hängen Gitarren im Wert von mehreren Hunderttausend Euros, viele Musiker würden erst mal diesbezügliche Schnorroptionen ausloten. Und Kapranos interessiert sich vor allem für den Teekessel, was eine Menge über diese Band sagt: Die Gitarre ist für sie ein Instrument, aber nicht mehr. Es ging den Schotten nie darum, Fähigkeiten auszustellen. „Musik, zu der die Mädchen tanzen“; so erzählten sie in ihren frühen Interviews, würden sie spielen wollen, und wer seinerzeit die einschlägigen Clubs frequentierte weiß, dass ihnen das gut gelang. Die Jungs tanzten auch, an den eckigen Beats von Songs wie „Take Me Out“ und „This Fire“ konnte man sich auch mit wenig Rhythmusgefühl entlanghangeln.

Die Indie-Disco, wo diese Songs liefen, ist in den letzten Jahren in eine mittelschlimme Krise gerutscht. Der Sound einer Generation ist zu Weißt-du-noch-Musik für Schmerbäuche geworden, die sich eigentlich nicht mehr für Musik interessieren. Franz Ferdinand war das egal, sie nahmen zuletzt 2015 unter dem Projektnamen FFS gemeinsam mit den Pop-Wunderlingen Sparks eine recht gute Platte auf, die das beste beider Welten kombinierte.

Nun haben sie sich also personell neu aufgestellt. Nick McCarthy ist raus. Dino Bardot bedient zukünftig die Gitarre, er spielte vor einigen Jahren bei den 1990s. Wichtiger: Mit Julian Corrie ist ein Musiker dazugekommen, der mehr als nur ein Ersatz ist, der mit seinem Instrumentenpark und einem sehr zeitgenössischen Soundverständnis, das sich eher auf verschiedene Elektronik-Spielarten bezieht – nun, die Band nicht neu erfindet, ihr auch keinen Richtungwechsel mitgibt. „Er ist ein menschliches Arpeggio. All das, was im Dance normalerweise programmiert wird, spielt er einfach live“, sagt Kapranos. Tatsächlich sorgt er – wie auch Produzent und French-House-Pionier Phiippe Zdar – dafür, dass man dem jetzt erschienenen ALWAYS ASCENDING, ein eingängiges, aber auch überraschendes Album, die sechs bis acht Monate Proben, die vor dem Aufnahmeprozess standen, durchaus anhört.

Corrie kam auf beste Empfehlung aus der Glasgower Szene zu Franz Ferdinand: Stuart Braithwaite von Mogwai sowie Paul Savage und Stewart Henderson von den Delgados brachten den Schlaks unabhängig voneinander ins Spiel. Gemeinsam ging man auf ein Curry, ein paar Tage später stand die neue Band. Für Corrie ist das Agieren auf großen Bühnen etwas völlig Neues, bisher fand er eher im Club-Kontext statt: „Mit meiner eigenen Musik versuche ich, Strukturen eher zu zerstören. Mich mit ihren Rändern zu beschäftigen. Aber ich liebe seit jeher die Idee von Pop. Darüber sprachen wir. Und bemerkten bald, dass wir klarkommen würden“, sagt Julian. Man glaubt das, vor allem, weil Corrie es sagt. Es ist ziemlich selten bei einem Pop-Interview, dass einem Neuzugang genauso viel Redezeit eingeräumt wird wie einem Gründungsmitglied.

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Ein Sound-Wizard also. Umso verblüffender sind die Regeln, die die Band für die Aufnahmen an der Platte aufstellte. „Die Devise lautete: Wir müssen uns beschränken. Man darf niemals mehr in einem Song hören, als die Band live in genau dieser Konstellation umsetzen könnte, sagt Alex Kapranos. Auf Platte klingt’s gut – im Interview nach einem etwas altertümlich müffelnden Dogma, das aber zu einer anderen Sache passt, die Kapranos dem Journalisten nicht ganz ernsthaft diktiert, als es um Probedisziplin geht: „Es gibt die James-Brown-Mentalität, was die eigene Arbeit angeht. Und es gibt die Libertines-Mentalität. Ich häng Ersterer nach.“ Dazu muss man wissen, dass James Brown als Bandleader nicht unbedingt beliebt war: Wer nicht präzise genug spielte, dem drohten Geldstrafen.

Regel Nummer zwei lautete: „Wir wollten nichts machen, was es so schon gibt. Sobald du das tust, hast du verloren!“ Für eine Rock-Band ist das ein ambitionierter Ansatz – und einer, dessen Logik fragwürdig ist. Bei allem Respekt: Befindet sich nicht jenes Genre, dem Franz Ferdinand anhängen, in einer Referenzschleife, die bis zum Blues der 30er-Jahre zurückreicht? Verwaltet es sich nicht andauernd selbst? Und ist das nicht der große Unterschied zu Dance oder Hip-Hop, wo aktuell die Impulse gesetzt werden? Kaparanos präzisiert: „Wenn wir Gitarre spielen, versuchen wir das auf eine neue Art und Weise zu tun. Wenn wir einen Synthie verwenden, auch.“ Jetzt zeigt er auf die vielen Gitarren, die an den Wänden hängen: „Diese Dinger haben für mich ein ähnliches Wirkprinzip wie ein Synthie. Es geht darum, was ich als Musiker mit ihnen anstelle. Beide Instrumente besitzen übrigens eine ähnlich lange Geschichte. Verdammt noch mal! Was ist bitteschön modern daran, einen Synthie zu verwenden?“

Ob er Nick McCarthy in der Band vermisst, möchte Alex Kapranos nicht sagen

Anschließend erzählt Kapranos eine Geschichte über den Verleger der Band. Der besuchte sie während der Albumaufnahmen in den Londoner „RAK Studios“. Das von Mickie Most 1976 gegründete Studio verströmt mit seinen Teppichverkleidungen an den Wänden und der verschwenderischen Teakholz-Ausstattung so viel Vintage-Charme, dass der Verleger sagte: „Ganz schön Seventies hier. Irgendwie … Disco!“ Die Band flippte nach seinem Abgang gepflegt aus: „Disco? Fick den Typen! Die Siebziger? Fick die Siebziger! Es klingt nach der Zukunft!“ Anschließend ging die Band noch einmal gewissenhaft durch sämtliche Aufnahmen und entfernte allzu augenfällige Referenzen.

Die halbe Interviewzeit ist vorbei. Kapranos redet gerade über die Perspektiven der Band nach dem Ausstieg von Nick McCarthy. Er vergleicht den Neuanfang mit dem Blick aus dem Fenster an einem kalten Wintertag. „Man kann rausschauen und sagen: ,Wie ekelhaft kalt. Ich bleibe heute lieber drinnen und kuschle mich ein.‘ Oder man geht raus und genießt die Sonne und die wunderbare frische Luft. Ich will der Erste sein, der seine Fußabdrücke im frischen Schnee lässt!“ Wir sind also quasi beim Thema Neuanfang. Da wird man doch mal nachfragen dürfen.

ME: Alex, vermisst du Nick manchmal?

(Jetzt tritt der Elefant, der schon ein paar Minuten an der Tür scharrte, ein. Er platziert seinen dicken, grauen Hintern mitten auf den Couchtisch.)

Kapranos: (gezwungen lachend): Danke für die Frage. Nächste Frage.

(Lange Pause. Zu lange Pause. Stille.)

Du möchtest nicht darüber sprechen?

Ich sehe einfach den Sinn nicht. Nick war an einem Punkt, wo er unglücklich war. Er hat zwei kleine Kinder und fühlte sich als ein schlechter Vater, weil er nicht da war, als sie an wichtigen Punkten ihres Lebens waren. Er wollte nicht weitere zwei Jahre verschwinden. Ich glaube, er wollte einfach kein Rockstar mehr sein. Das ist okay. Das ist toll.

Auf die eigentliche Frage gibt Alex Kapranos keine Antwort. Als wir später über die Songs sprechen, die wunderbar smart getextet sind, um die Ecken denken, um dann doch konkret auf der Zwölf zu landen, ist alles wieder gut. Nach dem Gespräch, als wir an den vielen Gitarren entlang zurück Richtung Lobby laufen, macht er sogar einen Witz. Erzählt, wie an dem Abend, als Julian einstieg, Schlagzeuger Paul zu ihm kam. „Er sagte: ,Eine Sache ist blöd, jetzt wo Nick nicht mehr dabei ist.‘ Ich fragte: ,Was ist denn das Problem?‘ Er antwortete dann: ‚Jetzt bin ich der Kleinste in der Band.‘“ Es scheint weiterzugehen bei Franz Ferdinand, immer weiter.